V8-Vergleich Scania gegen Audi Tausche R730 gegen R8

Was passiert, wenn Lkw- und Pkw-Tester die Fahrzeuge tauschen? trans aktuell und AUTO Straßenverkehr haben sich auf das Experiment mit ihren V8-Testwagen eingelassen.

Stefan Cerchez, ein Pkw-Mann im Lkw

Zugegeben, sie ist eine beeindruckende Erscheinung. Die Scania-Zugmaschine, die ich auf Einladung des Kollegen Braun heute bewegen darf, ragt knapp 3,90 Meter hoch in den stahlblauen Eifelhimmel und lässt den nur 1,25 Meter hohen Audi R8 direkt daneben noch flacher erscheinen, als er ohnehin schon ist. So richtig aerodynamisch wirkt das kubische Fahrerhaus des R730 zwar nicht, dieses Manko kann der Schwede aber mit üppigen Motordaten kompensieren: 16,4 Liter Hubraum, 730 PS Leistung und ein Drehmoment von 3.500 Newtonmetern sind Grund genug, mich für einen Testtag auf einen Autotausch einzulassen. Also mache ich mich auf, den Mythos Scania V8 zu verstehen.

Vier Trittstufen bis zum Lenkrad

Zuvor muss ich allerdings erst einmal ins Obergeschoss des R730 gelangen – denn im EG hat sich der mächtige Achtzylinder eingenistet. Also Tür auf, vier Trittstufen hochgehangelt und hinein in die gute Stube. Neben dem obligatorischen Gestühl für Fahrer und Beifahrer und der Armaturentafel empfängt mich das durchaus ansehnlich ausstaffierte Topline-Fahrerhaus mit zwei Liegen, einem Kühlfach und immerhin sechs Flaschenhaltern. Verdursten muss hier also niemand. Dazu kommen Staufächer mit einem Gesamtvolumen von mehr als 700 Litern. Das überbietet nicht nur das zierliche Audi-Gepäckfach, sondern auch so ziemlich jeden Pkw-Kofferraum.

Hütte mit guter Aussicht, zumindest in die Ferne

Die Aussicht aus der Kabine des Scania ist prächtig. Die umliegende Landschaft wirkt durch Front- und Seitenscheiben betrachtet wie ein Panorama-Bild. Das Einsehen des näheren Umfelds gestaltet sich allerdings ungleich schwerer, um nicht zu sagen unmöglich. Direkte Sicht nach hinten: Fehlanzeige. Direkte Sicht unmittelbar vor und neben das Fahrzeug: ebenfalls negativ. Wie soll man so bitte Spur oder Abstand halten, geschweige denn präzise rangieren? Die Frage nach Parkpiepser und Rückfahrkamera verkneife ich mir fürs Erste und mache mich mit den mächtigen Spiegelauslegern vertraut. Insgesamt sechs der Sichthelfer lassen vor und seitlich der Zugmaschine zwar keinen toten Winkel mehr. Aber das schnelle Hin- und Herspringen zwischen den jeweils richtigen Spiegeln ist mangels Routine eine echte Herausforderung für mich. Nur gut, dass wir auf dem Nürbugring viel Platz zum Üben haben.

Rohe Kräfte kultiviert gebändigt

Abgesehen von der schieren Zahl der Schalter und Knöpfe wirkt das Cockpit vor mir vergleichsweise konventionell. Zwischen Tacho und Drehzahlmesser thront ein großes Infodisplay, gestartet wird wie gewohnt per Zündschlüssel. Tief unter mir nimmt der V8 grollend seine Arbeit auf und verfällt in einen erstaunlich kultivierten Leerlauf, der kaum etwas davon ahnen lässt, welche brachialen Kräfte dort bei Bedarf wirken können.
Trotz prinzipiell geringerer Marschgeschwindigkeit und großzügiger Leistungsreserven des Motors hält das Scania-Getriebe beachtliche zwölf Vorwärtsgänge plus zwei Kriechstufen bereit. Die Wahl der passenden Übersetzung übernimmt zum Glück eine automatisierte Schaltung, die nicht nur für Gelegenheitskutscher wie mich eine erhebliche Erleichterung darstellt.

Sanftes Anfahren im vierten Gang

Also den Ringschalter am Lenkstockhebel auf D gestellt, die Feststellbremse gelöst und vorsichtig den rechten Fuß von Bremse aufs Gas gesetzt. Opticruise wählt den vierten Gang und kuppelt sanft ein. Schon knapp über der Leerlaufdrehzahl hangelt sich das Getriebe nach oben, springt gleich um zwei oder sogar drei Gangstufen. Am Ende der Geraden, knapp unter Autobahntempo, liegt schon der Elfte an. Klare Sache: Die Elektronik hat erkannt, dass wir ohne Auflieger unterwegs sind. Das müsste doch auch noch flotter gehen, oder? Also kehrt Marsch und Generalappell für die 730 Pferde.

Video zum Thema
Scania R730 gegen Audi R8

Traktionsprobleme ohne Auflieger

Doch wirklich flink kommen wir trotzdem nicht in die Gänge: Leises Klicken und die hektisch blinkende ASR-Kontrollleuchte signalisieren, das die Traktionskontrolle nicht mit meinem Kommando einverstanden ist. Klar – ohne Last auf der angetriebenen Hinterachse haben selbst die Zwillingsreifen keine Chance, die V8-Power auf den Asphalt zu bringen. Also probieren wir für den Fotografen ein paar zügigere Runden über den Grand-Prix-Kurs. Dabei lerne ich: Dem Fahrersitz fehlt es an Seitenhalt und ein voll gefedertes Fahrerhaus kann seekrank machen. Spaß macht es aber trozdem. Markus Braun winkt derweil gelangweilt aus dem Audi herüber.

Voll beladen spielt der Scania seine Trümpfe aus

Szenenwechsel: Zum Schluß unseres Austauschprogramms steht das Fahren mit Auflieger und in freier Wildbahn an. Endlich vertrautes Terrain für den Scania, dafür aber verschärfte Bedingungen für den Aushilfsfahrer. Der R730 zieht seinen Ballast so souverän, als hätten wir Balsaholz statt Betonplatten geladen. Steigungen bügelt der V8 einfach weg, untermotorisierte Leicht-Lkw und Pkw-Gespanne werden auf einmal zu Verkehrshindernissen. Das fest einprogrammierte Tempo-90-Limit grenzt für den King of the Road hart an Majestätsbeleidigung.

Unsere letzte Prüfung ist der Kreisverkehr am Autohof. Mein neuer Freund der Rückspiegel zeigt mir den Pfad der Aufliegerachsen, ich versuche bei Ein- und Ausfahrt nicht zu weit auszuholen. Immerhin: Bankett-Bepflanzung und Reifenflanken bleiben verschont, wir erreichen den Parkplatz ohne Blessuren. Und mit einem Hauch Wehmut darüber, dass die Ausfahrt mit diesem etwas anderen V8 schon vorbei ist.

Markus Braun, vom 40-Tonner in die Sport-Flunder

Ein echter Abstieg – vom Scania R730 geht es weit hinunter in den Audi R8. Ob das die richtige Entscheidung war einen V8-Lkw gegen einen V8-Pkw zu tauschen? Naja, es ist ja nicht für immer. Trotzdem – 300 PS und mehr als 3.000 Newtonmeter weniger im Tausch gegen ein Auto mit gerade einmal 225 Kilogramm Nutzlast, einem überschaubar großen Kofferraum (100 Liter) an der Stelle, wo sonst der Motor sitz – und eine Anhängervorrichtung ist auch nicht zu sehen. Zu allem Unglück übergibt der Kollege von AUTO Straßenverkehr auch noch einen Benziner. Da fällt Zweifeln nicht schwer.

Abfahrtskontrolle in Sekunden

Sei’s drum, abgemacht ist abgemacht. Aus Gewohnheit führen mich die ersten Schritte ums Fahrzeug. Die Abfahrtskontrolle ist aber schnell erledigt, denn beim Audi R8 hat die Elektronik alles im Blick. Nicht einmal den Ölmessstab darf ich herausziehen. Das obliegt laut Vermerk am oberen Ende des Stabs nur Audi-Werkstätten. Und dass sich Steine in den Niederquerschnittsreifen verfangen, ist auch eher unwahrscheinlich.

Also begebe ich mich auf die Fahrerseite und betätige den Türgriff auf Kniehöhe. Die Einstiegsluke in den Karbon- und Lederverkleideten Innenraum scheint nicht für große Menschen gemacht zu sein. So brauche ich einige Sekunden, um eine Einstiegsstrategie zu entwerfen. Im Angesichte der schmunzelnden Kollegen gelingt es mir schließlich meinen Körper hinters Lenkrad zu zwängen.

Platz für Kaffee und Körper

Hat man erst mal Platz genommen, wirkt der R8 recht gemütlich. Das Gestühl schmiegt sich von allen Seiten an den Körper an und die ideale Lenkradposition ist gleich gefunden. Sogar einen Platz für den Kaffeebecher gibt es in der Mittelkonsole.

Die Schalteinheit des manuellen Sechsgang-Getriebes ist in Alu gehalten und wirkt edel. Der Schalthebel läuft in einer Aluplatte, die für jeden Gang eine eigene Aussparung hat, was Verschalten unmöglich macht. Ansonsten ist das Fahrzeug eher spartanisch ausgestattet. Aber der wahre Wert liegt auch hinter der Fahrgastzelle unter einer verglasten Motorhaube – der 4,2 Liter V8-Motor.

Benziner-V8 meldet sich stimmgewaltig zu Wort

Zeit die Zündung zu betätigen. Das Aggregat quittiert die Drehbewegung des Schlüssels mit einem garstigen Brummen. Der Drehzahlmesser bewegt sich zum Start von Null auf Maximum und zurück, um im Standgas zu verweilen. Durch die beiden Schalldämpfer am Heck gluckert ein tiefer Bass respekteinflößend. Noch liegt die Tachonadel ruhig in der Startposition und wartet darauf sich in Richtung 350 am Ende der Anzeige vorzuarbeiten.
Erster Gang, langsam einkuppeln und zärtlich Gas geben – der Sportwagen startet erstaunlich entspannt in die erste Runde auf dem Nürburgring. Das ist in Ordnung, schließlich braucht es eine Eingewöhnungsphase von ein bis zwei Runden.

Zudem ist die maximale Drehzahl elektronisch noch auf 6.000 Touren begrenzt, bis das Öl die richtige Temperatur hat. In der dritten Runde lässt die Elektronik dem Drehzahlmesser endlich freien Lauf. Mit Tempo 30 biegt der Audi auf die Start- und Zielgerade ein. Ich schalte zurück in den zweiten Gang und trete das Gaspedal gefühlt bis zur Bodenwanne durch. Die Geschwindigkeitsnadel bewegt sich so schnell im Uhrzeigersinn, wie beim Lkw der Drehzahlmesser. Als ich mich entschließe in den dritten Gang zu schalten, zeigt der Tacho schon mehr als 100 km/h an.

Längsdynamik gefällt dem Tester

Während sich die Tachonadel stramm auf die 200 zubewegt, sehe ich die Rechtskurve am Ende der Geraden kommen. Ob ich schon bremsen sollte? Mittlerweile bin ich fast drei mal so schnell, wie es der Begrenzer im Scania erlaubt. Die Kurve ist nur noch wenige Meter entfernt, deshalb steige ich voll in die Eisen. Die mächtige Verzögerung drückt mich in den Sicherheitsgurt. Kurz vor der Kurve steht der Audi nahezu still. Wahnsinn!
Alle anfänglichen Zweifel sind auf einmal verflogen. Allein Beschleunigung und Verzögerung überzeugen mich auf ganzer Linie. Hinzu kommt eine Klasse Traktion dank Allradantrieb. So begebe ich mich auf die nächste Runde. Ich fahre immer schneller und bremse immer später. Die Kollegen sehnen sich mittlerweile dem Ende entgegen, während ich immer noch eine Runde fahren will, fahren muss.

Ein Glück ist der Audi R8 ziemlich durstig, sonst wäre noch lange nicht Schluss. Das Auto macht süchtig. Nach einer Stunde auf dem Grand-Prix-Kurs fahre ich in die Boxengasse. Mein Adrenalin-überfluteter Körper braucht erst einmal eine Pause. Etwas zittrig quäle ich mich durch die Einstiegsluke wieder nach draußen und freue mich insgeheim über den Abstieg vom Scania in den Audi. Ein V8 im Pkw ist doch nicht so schlecht, wie anfangs gedacht.

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