VDL Citea SLF-120 Stadtbus der es in sich hat

Selbst vielen Kennern ist er bislang noch unbekannt, doch das könnte sich schnell ändern. Mit dem soeben aufgefrischten Citea SLF-120 hat VDL einen Stadtbus aufgelegt, der es in sich hat.

Ein Fremder ist in der Stadt. Dieser Satz verspricht Spannung sowohl in zweitklassigen Western als auch in Städten mit erstklassigen Verkehrsbetrieben. Der Fremde hier trägt einen unschuldig weißen Lack und ein holländisches Nummernschild. In der Citaro-Stadt Stuttgart voller gelber Linienbusse mit Stern und einigen mit dem MAN-Löwen fällt er auf wie ein Schneemann in der Sahara. Die Blicke der Linienbusfahrer der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) auf der schweren Linie 42 sind abwechselnd neugierig und anerkennend, fast nie unbeteiligt: Stuttgarts Busfahrer haben ein Auge für ungewöhnliche Linienwagen. Der VDL Citea zählt in Deutschland zu den raren Exemplaren, sein neu gestaltetes Gesicht ist noch unbekannt. Behalten hat er die vorwitzige A-Null-Säule im Stil des Bestsellers Mercedes Citaro. Sie geht hier wie dort in einem eleganten Bogen ins Dach über – es gibt schlechtere Vorbilder. Verschwunden sind die dicken Hamsterbacken und der verkniffene Mund der ersten Citea-Jahre. Jetzt nimmt unten eine dunkle Blende dem Bug die Wucht, trägt der Citea stolz das große neue Markenzeichen von VDL und vor allem detailliert ausgeformte Kunststoffteile aus Verbundwerkstoff. Im gleichen Schritt hat VDL das Heck renoviert – das Citea-Hinterteil kann sich ebenfalls sehen lassen. Wichtiger als die Optik ist in der Praxis Wartungsfreundlichkeit: Die Frontklappe ist schnell demontiert, die Lampenträger lassen sich zum Birnenwechsel fix aufklappen. Auch an anderen Stellen achtet VDL auf den Service: Die Batterien ruhen vorn links auf einem ausschwenkbaren Träger. Die GFK-Seitenwände tragen im unteren Bereich Blenden aus Kunststoff. Sie sind gesteckt und geschraubt, somit nach kleinen Rempeleien schnell gewechselt. In LED-Technik führt VDL Einstiegsleuchten über den Türen aus, Positionslampen, Seitenstrahler und Rückleuchten. Im Heck findet sich eine automatische Ölnachfüllung; das Schauglas fürs Kühlwasser versteckt sich allerdings, vielleicht weil’s etwas mickrig geraten ist. Halb so wild: Hinter der gemeinsamen Tankklappe für Diesel und Adblue zeigen Leuchtdioden den Füllstand von Kühlwasser, Motoröl, Adblue und Scheibenwaschwasser an. Zu beachten ist auch die Konstruktion des Citea: Das komplette Dach besteht aus einem Aluminiumsandwich, das Gerippe des Aufbaus aus rostfreiem und die Bodengruppe aus galvanisiertem Stahl. Knapp fällt das Modellangebot aus. Den Citea gibt es ausschließlich mit zwölf Meter Länge als Vollniederflurwagen mit Motor in Turmbauweise. 

Eine Heckgestaltung mit liegender Maschine ist nicht zu haben. Zur Wahl stehen immerhin Zwei- und Dreitürer und eine einflügelige Vordertür. In Verbindung mit ihr passt vorn auf den Radkasten ein weiterer Sitz. Den Fahrgastraum hat VDL funktionell und schlicht gestaltet. In der getesteten, auf Stehplätze ausgelegten Ausführung mit Einzelsitzen auf der rechten Seite wirkt das Interieur einschließlich der Haltestangen ein wenig unruhig. Es liegt am Layout, nicht am Bus. Die Tanks verbergen sich geschickt in den Podesten vor der Hinterachse und nehmen im Innenraum keinen Platz weg. Die offen sichtbaren gläsernen Dachklappen sehen weniger elegant aus als eine verkleidete Decke, lassen jedoch zusätzlich Licht herein. VDL montiert die Innenbeleuchtung seitlich oberhalb der Fenster – für Zeitungsleser sehr angenehm, doch die Köpfe stehender Fahrgäste sind im Dunkeln. Die Vollpolstersitze Kiel Ideo 30 des Testwagens verbinden das Angenehme (die Polsterung) mit dem Nützlichen (geringes Gewicht, Cantilever-Befestigung). Zum Test zusätzlich mit knapp fünf Tonnen Sandsäcken möbliert, überzeugt der Citea mit einem sehr ausgewogenen Fahrverhalten. Der niedrige und fahrdynamisch günstige Schwerpunkt resultiert in diesem Fall aus der Beladung, der Komfort aus ZF-Achsen, vorn mit feiner Einzelradaufhängung. Trotz der vergleichsweise sanften Abstimmung des Fahrwerks zeigte die Einrichtung auf harscher Piste ein Eigenleben: Da knarrte und ächzte es arg im Citea. Die Geräusche fielen umso mehr auf, als der Bus generell leise auftritt. Der schlank gebaute DAF-Motor grollt zwar kraftvoll wie ein Großer, arbeitet aber gleichzeitig turbinenartig dezent und beweist eine hohe Laufkultur. In Zahlen: Maximal 74 dB(A) in der letzten Reihe bei voller Beschleunigung sind ebenso herausragend gut wie 68 dB(A) bei Konstantfahrt in der Stadt mit 50 Sachen. Am angenehmen Fahrkomfort ist als weitere Komponente das Diwa-Getriebe von Voith beteiligt. Von wenigen Situationen abgesehen, flutschen die Gänge watteweich hinein. Das Getriebe hält den Diesel auf Trab: Drehzahlen unter 1.000 Touren sind tabu, beim kräftigen Beschleunigen liegen häufig 1.600 oder 1.700 Umdrehungen an, bei Volldampf auch 2.000. Technische Feinheiten wie die Programmsteuerung Sensotop oder das neue Ecolife-Getriebe von ZF sind für den Citea zurzeit noch nicht lieferbar. Doch das Jahr ist noch lang. Trotzdem ist der Antriebsstrang des Citea eine Empfehlung. Generös ausgestattet mit der stärkeren Variante des DAF (228 kW/310 PS) zischt der Citea temperamentvoll und geschmeidig durch die Stadt, ebnet selbst die deftigen Steigungen der berüchtigten Linie 42 souverän ein. Die Kraftreserven sind hoch, der Fahrer fährt in der Ebene und an leichten Steigungen nicht digital, sondern gleitet souverän mit hohem Teillastanteil durchs Verkehrsgewühl. Dazu fährt der Citea selbst an Steigungen schneidig an, erzielt dank seinen Leistungsreserven hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten, wo immer es im Stadt- und Vorortverkehr möglich ist. Trotzdem fällt der Verbrauch des Citea moderat aus. 

Zumal der Testwagen auf Winterreifen rollte und ein paar Kilo Übergewicht mit sich führte. Nicht zuletzt war die Übersetzung so lang ausgelegt, dass der Bus erst bei exakt 50 Sachen in die höchste Stufe schaltete. Daran ließe sich durch Getriebe-Feinabstimmung à la Sensotop noch einiges zugunsten des Verbrauchs drehen. Ebenfalls in guter Form präsentiert sich der Fahrerplatz. Er liegt im Citea zwei Stufen über dem Boden – der Fahrer sitzt erhaben auf Augenhöhe mit eintretenden Fahrgästen. Seine Kabine ist geräumig. Kleiderbügel, Kleiderhaken, Ablage in der Kabinentür für die große Fahrertasche – alles da. Indes spart sich VDL jegliche Ablage für Kleinkram. Und lieblos wirkt der einfache Klapp-Getränkehalter aus dem Zubehörregal, eine größere Wasserflasche nimmt er nicht auf. Einen gewissen Ausgleich bietet die gelungene Citea-Instrumentierung. Sie orientiert sich am VDV-Standard, basiert jedoch auf einem eigenen Instrumententräger. Er wirkt angenehm luftig und leicht, an der Bedienung gibt es nichts auszusetzen. Die Verstellung erfolgt wie gewohnt zusammen mit dem Lenkrad. Hübsch ist das Zentraldisplay zwischen den Uhren mit Piktogrammen als Hinweis auf einzelne geöffnete Türen. Nur ein einsames DIN-Einschubfach oben unter der Decke ist allerdings etwas wenig. Der Testwagen rollte mit den wuchtigen Außenspiegeln vor, die einst MAN eingeführt hat. Ihr Blickfeld ist hervorragend, jedoch erkauft mit Nachteilen: Das ausladende Spiegelgehäuse rechts klinkt zwar bei Berührung aus, doch eine Beule ist trotzdem garantiert. Der Spiegel links versperrt die Sicht in Augenhöhe, lästig beim Abbiegen oder in engen Kurven. Positiv fällt dagegen ein Sichtfenster unten rechts in der B-Säule auf, auch das geschickt angeordnete Rollo – nur elektrisch sollte man’s betätigen können. So weit die Habenseite der Bilanz, weniger angenehm sind die Windgeräusche der Innenschwenktür vorn: Ab Tempo 60 rauscht’s im Gebälk. Die stehenden Pedalen sind in einem arg flachen Winkel angeordnet; die Fußbremse packt kräftig zu, verlangt beim Anbremsen jedoch nach Feingefühl. Die straffe Lenkung lässt ein wenig Fahrbahnkontakt vermissen. Der sympathisch knappe Wendekreis indes überzeugt. Das gilt für viele Details am VDL Citea, er bringt ausgezeichnete Anlagen mit. Und da auch der Preis stimmt, ist anzunehmen, dass er in so mancher Stadt bald nicht mehr zu den Fremden zählt.

Fazit

Wenn ein Reisebushersteller wie VDL einen Stadtbus entwickelt, ist ein großer Wurf nicht gerade garantiert – zu unterschiedlich sind die Lebenswelten. Hier aber ist’s gelungen: attraktive Optik, aufgeräumtes Interieur, bedienungsfreundlicher Fahrerplatz, vergleichsweise leiser und laufruhiger Motor, komfortables Fahrwerk, wartungsfreundliche Konstruktion – was will man mehr? Manche Verkleidungen und Ausstattungsdetails sind ein wenig schlichter als anderswo, angesichts des Preises kein Nachteil. Heikler: Die Einrichtung des Testwagens zeigte auf schlechter Fahrbahn ein akustisches Eigenleben – VDL ist nicht für exquisite Verarbeitung bekannt. Bekommt VDL diesen Punkt in den Griff und flankiert den Citea-Solowagen noch mit einem Gelenkbus, dann steht ihm eine große Karriere offen

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