Übertragungsstandards optimieren Highspeed-Netze fürs automatisierte Fahren

Edwin Fischer neu_CMYK.JPG Foto: Thomas Ollendorf 4 Bilder

Sollen Lkw und Pkw teil- oder vollautomatisiert fahren, müssen sie auch das Stauende hinter der nächsten Kurve "sehen". Das geht nur mit Mobilfunk. Mit steigenden Anforderungen stößt das heutige Mobilfunknetz jedoch an seine Grenzen. Deswegen arbeitet die Deutsche Telekom zum einen daran, die Latenzzeiten im LTE-Netz zu senken. Zum anderen werden mit dem LTE-Nachfolger 5G nicht nur Bandbreite und Kapazität deutlich steigen, sondern auch virtuelle Netzabschnitte möglich.

Ultraschall- und Lidar-Sensoren, Infrarot-Sichtgeräte und Kameras – moderne Fahrzeuge verfügen über eine Vielzahl an Sensoren. Doch mit diesen können sie nicht viel weiter sehen als bis zu zweihundert Meter. Dasselbe gilt für direkte Funkverbindungen mit nahen Fahrzeugen und Ampeln: Auch der WLAN-basierte Standard "802.11p" im Frequenzband 5,9 Gigahertz ermöglicht Kommunikation nur über Entfernungen von wenigen Hundert Metern – bei freier Sicht. Doch dieser Radius reicht nicht unbedingt aus, damit Fahrzeuge automatisch bremsen oder gar komplett selbstständig fahren. Ein Beispiel: Ein Lkw, der mit Sensoren und Nahfunkmodul ausgestattet ist, fährt auf der Autobahn hinter einem anderen Lkw.

Dadurch werden Sicht- und Funkkontakt nach weiter vorne unterbrochen. Bremst nun ein Fahrzeug vor dem Lkw plötzlich stark ab, bemerken das weder die Sensoren des hinten fahrenden Fahrzeugs noch kommt eine Warnung per Funk durch. Erst wenn der erste Lkw bremst, bemerkt der zweite Lkw die Gefahrensituation und reagiert – womöglich zu spät.

Datenstau im Mobilfunknetz

Je schneller Fahrzeuge unterwegs sind, desto weiter müssen sie sehen können – deutlich weiter, als es WLAN erlaubt. Sie sind auf Informationen angewiesen: über die Situation hinter der nächsten Kurve oder Hügelkuppe oder den Zeitpunkt des nächsten Platzregens. Möglich macht das die Mobilfunktechnologie. Doch die Anforderungen an die Mobilfunknetze sind hoch, besonders bei Telematik-Diensten und sicherheitskritischen Fahrfunktionen: Die nötigen Daten müssen zuverlässig und in Echtzeit übertragen werden. Echtzeitkommunikation bedeutet dabei eng definierte, konstante Übertragungszeiten und Latenzen von wenigen Millisekunden. Zu den Telematik-Diensten zählen alle Funktionen, die das Fahren direkt unterstützen, etwa Navigation und Bremsassistent. Die Telematik-Dienste senden und empfangen nur kleine Datenpakete, sobald ein bestimmtes Ereignis auftritt – etwa wenn ein vorausfahrendes Fahrzeug ein vereistes Straßenstück erreicht.

Um diese Daten zu übertragen, ist das heutige LTE-Netz gut aufgestellt: mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 300 Mbit/s und Latenzzeiten von deutlich unter 100 Millisekunden. Die Herausforderung liegt an anderer Stelle: Zum einen müssen die Mobilfunknetze schon heute gewaltige Datenmengen bewältigen. Das mobile Datenvolumen in Deutschland hat sich laut des "Jahresberichts 2015" der Bundesnetzagentur zwischen 2010 und 2015 verneunfacht – auf 591 Millionen Gigabyte. Zum anderen bieten vernetzte Fahrzeuge auch Infotainment-Dienste, wie Videostreaming über einen Hotspot im Innenraum. Diese datenintensiven Dienste könnten den Telematik-Diensten die Netzkapazität streitig machen. Sind zum Beispiel die Straßen in einer Funkzelle voller Fahrzeuge und die Mitfahrer in den Autos streamen Musik, schauen Internetvideos und surfen, werden sowohl diese genau wie die Telematik-Daten über denselben Mobilfunkmast übertragen. Wenn die Übertragungskapazität auf der Luftschnittstelle ausgeschöpft ist, werden auch die – mitunter sicherheitskritischen – Telematik-Daten zeitverzögert übertragen.

Kleine Rechenzentren entlang der Straße

Um solche Laufzeitverzögerungen zu vermeiden, arbeitet die Deutsche Telekom in dem Projekt "Car2MEC" an der Car-to-X-Kommunikation der nächsten Generation – zusammen mit den Partnern Continental, Fraunhofer-Institut ESK, Nokia Networks und der Porsche-Beratungstochter MHP. Die Technologie "Mobile Edge Computing" hilft dabei, die Latenzzeiten zu reduzieren, indem sie den Übertragungsweg der Daten verkürzt. Bisher wurde etwa die Information über einen Stau von einem stehenden Fahrzeug über einen LTE-Mast und das Netz in ein Rechenzentrum übertragen. Wurden die Daten dort verarbeitet, gelangen sie über das Netz und einen LTE-Mast zum herannahenden Fahrzeug. Wie lange diese Übertragung dauert, hängt unter anderem davon ab, wie weit das Rechenzentrum vom Ort des Geschehens entfernt ist. Angenommen, die Latenz inklusive Datenverarbeitung betrüge 500 Millisekunden, wäre ein 100 km/h schnelles Fahrzeug während der Datenübertragung schon 15 Meter weitergefahren.

Mobile Edge Computing holt die Rechenkapazität daher an den Rand des Mobilfunknetzes, in ein sogenanntes "Cloudlet", ein kleines Cloud-Rechenzentrum nahe der LTE-Basisstation. Die Daten werden also in unmittelbarer Nähe der Straße verarbeitet und nicht in einem weit entfernten Rechenzentrum. Ende 2015 zeigten die Partner zum Projektauftakt auf dem "Digitalen Testfeld Autobahn", der A 9 zwischen Nürnberg und München, eine erste Demonstration, die von einer Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie ausgezeichnet wurde. Dabei erreichten sie bereits Latenzzeiten von weniger als 20 Millisekunden. In dieser Zeit hätte das 100 km/h schnelle Fahrzeug gerade mal 60 Zentimeter zurückgelegt.

LTE-Nachfolger ermöglicht virtuelle Netzabschnitte

Weiteres Potenzial, um die Datenübertragung bei der Mobilfunkkommunikation vernetzter Autos zu beschleunigen, bietet die Übertragungstechnologie. Mit 5G, dem Mobilfunkstandard der nächsten Generation, werden Bandbreite und Kapazität deutlich steigen und gleichzeitig die Latenz spürbar sinken. Entscheidend – auch für vernetzte Fahrfunktionen – wird aber sein, dass sich mit 5G auf einer Infrastruktur erstmals verschiedene virtuelle Netzabschnitte, sogenannte Network Slices, betreiben lassen.

Diese virtuellen Netzabschnitte ermöglichen es, Datenverkehre mit einer bestimmten Qualität zu übertragen, also zum Beispiel besonders schnell. Mit einem leistungsfähigen virtuellen Netzabschnitt gelang dem Telekom-Innovationslabor "5G:haus" bereits ein Weltrekord: eine Ende-zu-Ende-Übertragungsdauer von unter einer Millisekunde. Telematik-Funktionen könnten dann ein virtuelles Netz nutzen, das für eine hohe Reaktionsschnelligkeit ausgelegt ist. Infotainment-Dienste könnten auf einem anderen virtuellen Netz senden, das für Video und Audio optimiert ist und die Übertragung der Telematik-Daten nicht beeinflusst. Wie genau sich die Vorteile von 5G für das vernetzte Fahren nutzen lassen, wird das industrieübergreifende Konsortium "5G-ConnectedMobility" in den kommenden Jahren auf der A 9 erproben.

Auch für den Notfall einen Plan

Um Telematik-Daten zuverlässig weiterzugeben, muss das Mobilfunknetz auch flächendeckend verfügbar sein. Das deutsche LTE-Netz steht dabei laut Bundesnetzagentur schon gut da. Nach Aussage der Behörde gab es Ende 2015 rund 38.800 LTE-Basisstationen – gegenüber 2014 ein Plus von 28.700. Die Deutsche Telekom erreicht mit ihrem LTE-Netz 95 Prozent der deutschen Bevölkerung. Sollte das Netz aber dennoch einmal nicht für die Telematik-Dienste ausreichen, muss ein vernetztes Fahrzeug das erkennen. Daher sollte es die Netzverbindung kontinuierlich überwachen und abgestufte Rückfalllösungen finden: zum Beispiel den Wechsel in ein alternatives Mobilfunknetz oder die Anpassung der Geschwindigkeit auf die Reichweite der fahrzeugeigenen Sensorik. Mobilfunktechnologie lässt sich auch für die direkte Kommunikation zwischen Fahrzeugen – etwa beim Platooning – sowie für die Kommunikation mit Ampeln und Schranken einsetzen.

Dafür hat die Standardisierungs-Organisation 3GPP im März 2017 die Spezifikation des Standards LTE-V (LTE-Vehicular) verabschiedet. LTE-V nutzt denselben Frequenzbereich wie 802.11p, nämlich 5,9 Gigahertz, ermöglicht jedoch höhere Reichweiten und eine robustere Signalausbreitung als der WLAN-Standard. Zudem kann LTE-V im koordinierten Modus die Übertragungsverzögerung bei gesendeten Nachrichten senken. Denn bei 802.11p übermitteln die Fahrzeuge ihre Nachrichten grundsätzlich unkoordiniert. Das bedeutet: Wenn zufällig zwei Fahrzeuge gleichzeitig auf demselben Kanal senden möchten, kollidieren diese Nachrichten. Die Übertragung schlägt fehl. Deswegen sieht der WLAN-Standard vor, die Sendeversuche nach einer zufälligen Zeitspanne zu wiederholen, bis die Übertragung funktioniert. Bei LTE-V hingegen können die LTE-Basisstationen als Koordinator dienen. Sie geben jedem Fahrzeug einen bestimmten Takt vor, in dem es – und kein anderes – senden darf. Das vermeidet Nachrichtenkollisionen und führt in der Summe zu weniger Verzögerung und einer höheren Kommunikationskapazität als bei 802.11p.

Mehr Weitsicht als der Fahrer

In einem ersten Test auf der A 9 bei Ingolstadt haben Audi, Deutsche Telekom, Huawei, Toyota Motor Europe und weitere Partner bereits gezeigt, dass sich LTE-V für Sicherheitsfunktionen wie Kollisionswarnungen und Smart-Mobility-Anwendungen etwa zum Kraftstoffsparen eignet. Dazu hatten die Partner die Mobilfunkinfrastruktur und die Forschungsfahrzeuge mit LTE-V-Hardware ausgerüstet. Die Telekom plant zudem als Mitglied der 2016 gegründeten "European Automotive-Telecom Alliance", LTE-V entlang eines Abschnitts der A 9 zu erproben. Ziel ist es unter anderem zu zeigen, wie effektiv und effizient Fahrzeuge über diesen Standard kommunizieren können.

Ein weiterer Vorteil von LTE-V: Fahrzeuge benötigen nur noch eine Kommunikationseinheit, weil sie sich über eine Technologie direkt mit anderen Verkehrsteilnehmern, der Verkehrsinfrastruktur und den Mobilfunkmasten vernetzen. Das senkt die Kosten für die benötigte Hardware. Auf diese Weise erfassen Autos per Mobilfunk nicht nur die nächste Umgebung, sondern erlangen eine Fernsicht, die sogar über die des Fahrers hinausgeht. Damit sind Stauenden hinter Kurven, plötzliche Regenschauer und Hindernisse auf der Fahrbahn für teil- und vollautomatisierte Fahrzeuge keine Überraschung mehr.

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