Vorbeugende Ausfalldiagnose Mit Weitblick

Vorbeugende Ausfalldiagnose Foto: Volvo 6 Bilder

Elektronisch vernetzte Systeme lassen sich per Telemetrie diagnostizieren. Im Idealfall weist sich ein Lkw selbst in die Werkstatt ein, bevor es unterwegs zu einer Panne kommt. Mit dem Volvo FH ist das schon möglich. Daimler will in Europa bald nachlegen.

Telematikanwendungen versorgen Flottenbetreiber mit allerlei essenziellen Informationen – allem voran mit dem Kraftstoffverbrauch einschließlich Daten zum Fahrstil des Lenkers sowie Angaben zur Ladung und zum Status des Anhängers. Und dies, ohne den Lkw auf dem Speditionshof in Augenschein nehmen zu müssen, sondern über weite Distanzen. Wesentliche Informationen zur Wirtschaftlichkeit des Lastzugs liegen damit dem Transportunternehmen ständig vor.

Doch mittlerweile lässt sich noch mehr mit der sogenannten Telemetrie bewerkstelligen. Volvo Trucks etwa hat mit Vorstellung des neuen FH auch eine vorausschauende Ausfalldiagnose eingeführt. Der Schlüssel dazu ist die Elektronikarchitektur des Lkw. "Wir können theoretisch alle Fahrzeugsysteme über die Ferne diagnostizieren, die mit Sensoren oder Steuergeräten verbunden sind", erklärt Emanuel Lauf, Leiter des Aftersales-Bereichs von Volvo Group Trucks in Mitteleuropa.

Volvo Trucks sieht Verschleiß von Bremsen und Getriebe voraus

Zu den diagnostizierbaren Systemen zählen in Volvo-Lkw aktuell der Verschleiß an Bremsen und Getriebe sowie der Zustand von Batterie und Luftentfeuchter. Nach und nach können laut Lauf weitere Systeme eingebunden werden. Weisen diese Fahrzeugsysteme darauf hin, dass bald eine Panne droht, warnt der Lkw selbstständig den Flottenbetreiber und weist sich obendrein frühzeitig in die Werkstatt ein.

Voraussetzung für die Ferndiagnose à la ­Volvo ist, dass der Kunde den bestmöglichen Servicevertrag abschließt, der bei den Schweden den Namenszusatz „Gold“ trägt. In den Vertragsgebühren enthalten sind auch die Kosten für die ständige GSM-Verbindung, ein grundlegender Bestandteil der Ferndiagnose.

Datenübertragung via GSM

Denn die Daten gelangen per GSM über das Volvo Telematics Gateway an den Heimat-Servicebetrieb. Auch dieser wird mit dem Vertragsabschluss nach Kundenwunsch festgelegt. Dort haben die Mitarbeiter alle zugeordneten Fahrzeuge am Rechner im Blick und erhalten automatisch Warnungen, sollten die Fahrzeugsysteme übermäßigen Verschleiß oder andere unerwünschte Veränderungen melden.

Die Warnungen sind unterschiedlich gewichtet, woran der Servicebetrieb die Dringlichkeit des Anliegens erkennt. Im schlimmsten Fall liegen laut Lauf zwischen Warnung und Panne immer noch rund 2.000 Kilometer Laufleistung.

Werkstatttermin bei Bedarf

Bei Bedarf setzt sich der Servicemitarbeiter mit dem Verantwortlichen im Fuhrunternehmen in Verbindung und vereinbart einen Termin in der Werkstatt. Ohne das Einverständnis des Fahrzeugeigentümers geht es also nicht, eine Zwangseinweisung durch den Fahrzeughersteller ist somit nicht möglich.

Diese Parameter tragen auch dazu bei, die Wartungsintervalle an die tatsächliche Einsatzhärte anzupassen. Schon beim Fahrzeugkauf nehmen die Volvo-Mannen die Daten zum geplanten Einsatz auf und konditionieren entsprechend die Wartungsintervalle. Über die Nutzungsdauer können diese Parameter sich aber verändern. Die notwendigen Anpassungen der Serviceintervalle laufen damit weitgehend selbstständig ab. Auch das schützt vor ungeplanten und unnötigen Werkstattaufenthalten.

Software-Updates fürs Getriebe per Telemetrie

Das Volvo-System kann aber noch mehr. Per Telemetrie lassen sich auch Software-Updates an verschiedenen technischen Komponenten wie dem Getriebe vornehmen. "Sollte bekannt sein, dass eine Software in neuerer Version vorliegt und dies entscheidende Vorteile für den Fahrzeugbetreiber bietet, können wir per Fernzugriff die Software aufspielen", erklärt der Aftersales-Leiter. Möglich sei auch eine Live-Anpassung des Begrenzers an nationale Tempo-Limits. Jedoch gehe auch das nicht ohne die Zustimmung des Fahrers. Er bekommt laut dem Volvo-Mann einen Hinweis auf dem Multifunktionsdisplay im Armaturenträger und muss den Ferneingriff erst bestätigen, sonst passiert gar nichts.

Volvo behält die Ferndiagnose noch dem FH vor. Theoretisch sei es aber möglich, sie auf die weiteren Lkw-Baureihen auszuweiten. Einen Zeitpunkt für eine solche Maßnahme gebe es aber noch nicht, erläutert der Aftersales-Leiter. Es werde aber immer auch Defekte geben, die man nicht vorbeugend diagnostizieren könne. "Dazu zählen alle mechanischen Schäden, also dort, wo kein elektronischer Sensor im Spiel ist", sagt Emanuel Lauf. Kommt es also trotz vorausschauender Ausfalldiagnose unterwegs zu einer Panne oder einer anderen Störung, die eine Weiterfahrt unmöglich macht, dann birgt das System immer noch den Vorteil, dass der nächstgelegenen Werkstatt die Daten des Fahrzeugs wie Fahrgestell- und Zulassungsnummer sowie Fehlercodes vorliegen. Das vereinfacht die Fehlerdiagnose. Außerdem hat das Pannenservice-Fahrzeug die passenden Ersatzteile an Bord, sodass sich der Schaden vor Ort in möglichst kurzer Zeit beheben lässt.

Volvo-Action-Service-Taster überträgt Daten

Übertragen werden die Daten im neuen FH über den Volvo-­Action-Service-Taster (VAS) im Armaturenträger. Zudem beinhaltet das System auch ein nicht zu verachtendes Komfortfeature. Es sorgt dafür, dass der Pannenservice den Fahrer in seiner Muttersprache anspricht.

Das Angebot werde gut angenommen, gemessen an der noch recht kleinen Zahl der neuen FH, die sich schon auf der Straße befinden. "Wir beabsichtigen, so viele FH wie nur möglich mit der Ferndiagnose auszurüsten", erklärt Lauf. Mit dem Ziel, Werkstattaufenthalte und -kosten zu minimieren und die Einsatzdauer des Fahrzeugs zu maximieren. "Ich bin mir sicher, dass wir durch das System keine zusätzlichen Aufenthalte provozieren, sondern ganz im Gegenteil die Fahrzeugverfügbarkeit für den Kunden erhöhen", verspricht der Serviceexperte.

Daimler hat vergleichbares System in Planung

Bei Daimler ist ein vergleichbares System in Planung. Das sagt Dr. Ralf Forcher, Geschäftsführer von Fleetboard, einem Unternehmen des Daimler-Konzerns. Das Grundgerüst steht bereits. "Auf geplante Wartungen weist das Telligent-Wartungsystem hin. Es errechnet Wartungsumfänge und -termine dynamisch und nimmt dabei Rücksicht auf tatsächliche Fahrleistungen und Einsatzbedingungen." Entscheidet sich der Kunde darüber hinaus für das sogenannte Mercedes-Benz-Truck-Wartungsmanagement, dann geht der Servicebetrieb selbstständig vor Wartungsfälligkeit auf den Kunden zu, nennt die Dauer der Arbeit, einen Preis- sowie einen Terminvorschlag.

"Ein ungeplanter Servicefall muss dagegen flexibel und so schnell wie nur möglich abgewickelt werden", erklärt Thilo Lakner, Produktmanager Servicekonzepte Lkw. Daimler setzt dazu auf die Telediagnose. Basis ist die Daimler-eigene Flottentelematik Fleetboard. Das Modul muss im Lkw verbaut und aktiviert sein.

Notruf über Tii-Rec-Knopf

Im Schadensfall lässt sich über den Tii-Rec-Knopf im Modul ein Notruf einschließlich Fahrzeugposition und Diagnosedaten absetzen. Die Werkstatt kann mit diesen Aufgaben schon Fehler eingrenzen und voraussichtlich benötigte ­Ersatzteile ins Servicefahrzeug packen. So weit der Standard, den heute auch fast alle anderen großen europäischen Lkw-Hersteller bieten ­(siehe unten "Das Angebot der anderen").

Eine vorbeugend wirksame Ausfalldiagnose, wie sie Volvo heute schon anbietet, ist bei Daimler indes noch auf Südafrika beschränkt. "Wir haben das System dort vor vier Jahren erprobt und eingeführt, weil dieses Land besondere Anforderungen an den Service stellt", erklärt der Fleetboard-Chef. Südafrika sei ein großes Land mit einem dünnen Servicenetz.

Zwischen den einzelnen Werkstätten würden oft 300 bis 400 Kilometer liegen. Wer dort liegen bleibt, verliert meist viel Zeit, bis er wieder auf Achse ist. Umso besser, wenn eine drohende Panne frühzeitig erkannt und behoben wird. Daher ist die Telematikanwendung Fleetboard dort auch Serienstandard im Mercedes Actros.

Priorität 2 ist am kritischsten

"Wir fragen zur vorbeugenden Ausfalldiagnose rund 400 technische Daten ab", berichtet Forcher. "Vorfälle mit der Priorität 0 und 1 lassen sich bei der nächsten geplanten Wartung beheben", erklärt er. Auffälligkeiten mit Priorität 2 seien dagegen kritische Zustände und müssten außerplanmäßig und so schnell wie möglich behoben werden.

Die Daten werden über die Daimler-Telematik Fleetboard verschickt. Der Servicemitarbeiter nimmt dann Kontakt zum Kunden auf und weist darauf hin, dass beispielsweise die Kupplung in den nächsten Tagen den Dienst quittiert. Die Reaktion erfolgt laut Forcher in der Regel innerhalb weniger Minuten nach der Warnung.

Abgesehen davon verschickt Fleetboard in Süd­afrika wöchentlich einen Zustandsbericht an die Kunden. Die behalten damit den Flottenzustand immer im Blick. "Es ist aber nicht vorgesehen, Software-Updates über den Fleetboard-Rechner auf den Lkw aufzuspielen", erklärt Pascal Weiss, Vertriebsleiter Daimler Fleetboard.

System kommt von Südafrika nach Europa

Sobald wie möglich soll der Dienst nach Europa kommen. "Wir befinden uns derzeit in der Konzeptionsphase. Die Technik steht bereits", erklärt Forcher. Die Aussichten scheinen günstig, der Nutzen für die Kunden lässt sich sogar in Zeit und Geld ausdrücken. Für Südafrika hätten Berechnungen ergeben, dass sich die Betriebszeit eines Actros im Schnitt um 3,6 Stunden je Telediagnosefall erhöhen ließ und der Kunde wiederum 620 Euro an Reparaturkosten pro Fall gespart hat.

Dennoch werden Veränderungen am Konzept nötig sein. In Südafrika ist die vorbeugende Ferndiagnose an einen Wartungsvertrag sowie an eine Mobilitätsgarantie gekoppelt. Letztere greift dort nach zwei Tagen Standzeit. "In Europa wäre eine Verkürzung auf einen halben Tag sinnvoll", argumentiert Weiss. Theoretisch sei es dann möglich, den Service für alle neuen Baureihen anzubieten.

Das Angebot der anderen


Die Ferndiagnose (auch Telediagnose) ist weitgehend ein Standardangebot bei den großen europäischen Lkw-Herstellern. Unterschiedlich sind nur die Namen der Serviceangebote. Zuletzt stellte Scania das Angebot Remote Diagnostics auf der Messe transport logistic vor. Dahinter verstecken sich im Wesentlichen die gleichen Diagnosemöglichkeiten. Alle dienen dazu, Standzeiten zu planen und an die Einsatzbedingungen des Fahrzeugs anzupassen sowie im Pannenfall schnell kompetente Hilfe und die passenden Ersatzteile vor Ort zu haben. Allein das Angebot an vorausschauender Ausfalldiagnose beschränkt sich im Moment auf Volvo und wohl bald noch auf Mercedes.

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