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Sozialvorschriften Nichts weiter als ein Papiertiger

Sozialvorschriften, Aufzeichnungspflicht Foto: Archiv

Ab 1. November regelt ein Gesetz auch die Arbeitszeit von selbstständigen Kraftfahrern. 
Wichtig ist, dass entsprechende Aufzeichnungen zwei Jahre lang aufbewahrt werden müssen.

Nur auf Druck der EU-Kommission hat die Bundesrepublik das Gesetz zur Regelung der Arbeitszeit von selbstständigen Kraftfahrern veröffentlicht. Bundesregierung und Bundesrat hätten es lieber gesehen, wenn die Selbstständigen nicht in die EU-Regelung 2002/15/EG ("Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben") miteinbezogen werden. Bereits bei der Vorlage des Gesetzes zum Jahresanfang hatte der Bundesrat angemerkt, "dass solche Vorschriften für Selbstständige nicht geboten sind" – Selbstständige regeln ihre Arbeitszeit ja auch in anderen Branchen selbst. Doch war der Bund nach EU-Recht zum Erlass des entsprechenden Gesetzes verpflichtet.

Vorsitzende des BVT Dagmar Wäscher hält das Gesetz für obsolet

Auch Dagmar Wäscher, Vorsitzende des Bundesverbands der Transportunternehmen (BVT), hält das Gesetz für obsolet und nennt es einen Papiertiger: "Die vorgeschobene Begründung für das Gesetz ist die Verkehrssicherheit – dabei hat doch jeder, der einen Lkw fährt, schon einen Nachweis über seine Lenk- und Ruhezeiten zu erbringen. Ein Manager mit einer 80-Stunden-Woche, der mit seinem Pkw über die Autobahn fährt, wird aber nicht mit so etwas belegt." Ihr weiterer Kritikpunkt gilt der Tatsache, dass das neue Gesetz nicht klar definiere, wer denn nun selbstständiger Kraftfahrer ist. "Ist es nur der Selbstfahrer, der ein klassisches Einmannunternehmen führt, oder auch der Kleinunternehmer mit fünf Fahrzeugen, der noch manchmal selbst fährt?"

Das neue Gesetz regelt die Arbeitszeit von selbstständigen Kraftfahrern

Das neue Gesetz regelt laut Paragraf 1 die Arbeitszeit von selbstständigen Kraftfahrern im Sinne von Artikel 3, Buchstabe e der Richtlinie 2002/15/EG: Selbstständige Kraftfahrer sind demnach "alle Personen, deren berufliche Tätigkeit hauptsächlich darin besteht, mit Gemeinschaftslizenz oder einer anderen berufsspezifischen Beförderungsermächtigung gewerblich im Sinne des Gemeinschaftsrechts, Fahrgäste oder Waren im Straßenverkehr zu befördern, die befugt sind, auf eigene Rechnung zu arbeiten, und die nicht durch einen Arbeitsvertrag oder ein anderes arbeitsrechtliches Abhängigkeitsverhältnis an einen Arbeitgeber gebunden sind, die über den erforderlichen freien Gestaltungsspielraum für die Ausübung der betreffenden Tätigkeit verfügen, deren Einkünfte direkt von den erzielten Gewinnen abhängen und die die Freiheit haben, als Einzelne oder durch eine Zusammenarbeit zwischen selbstständigen Kraftfahrern Geschäftsbeziehungen zu mehreren Kunden zu unterhalten".

Was die Arbeitszeit angeht: Im Gegensatz zu einem angestellten Fahrer muss ein selbstständiger Kraftfahrer auch Bürotätigkeiten wie Rechnungsstellung oder auch die Kundenakquise selbst erledigen, meist nach Feierabend oder am Wochenende. So wird es auch weiterhin bleiben, denn nach Paragraf 2 des neuen Gesetzes gilt für die Arbeitszeit Folgendes: "(1) Arbeitszeit im Sinne dieses Gesetzes ist die Zeitspanne zwischen Arbeitsbeginn und Arbeitsende ohne Ruhepausen, in der sich der selbstständige Kraftfahrer an seinem Arbeitsplatz befindet, dem Kunden zur Verfügung steht und während der er seine Funktionen und Tätigkeiten ausübt; dies umfasst nicht allgemeine administrative Tätigkeiten, die keinen direkten Zusammenhang mit der gerade ausgeführten spezifischen Transporttätigkeit aufweisen."

Gleichgestellte Arbeitszeiten für selbstständige und angestellte Kraftfahrer

Keine Arbeits-, sondern Bereitschaftszeit ist, wenn sich der Fahrer bereithalten muss, um seine Tätigkeit aufzunehmen; allerdings müssen der Zeitraum der Bereitschaft und dessen voraussichtliche Dauer unmittelbar vor Beginn des betroffenen Zeitraums bekannt sein.
Bei der Arbeitszeit an sich sind selbstständige und angestellte Kraftfahrer jetzt gleichgestellt, denn nach Paragraf 3 darf auch der selbstständige Kraftfahrer eine Arbeitszeit von 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Er kann seine Arbeitszeit auf bis zu 60 Stunden verlängern, wenn er innerhalb von vier Kalendermonaten im Durchschnitt nicht mehr als 48 Stunden wöchentlich arbeitet. Bei Nachtarbeit zwischen 0 und 4 Uhr darf der Selbstständige in einem Zeitraum von jeweils 24 Stunden nicht länger als zehn Stunden arbeiten.

Die Vorschriften der Europäischen Gemeinschaften für Kraftfahrer

Bleibt der Aspekt Ruhezeiten und -pausen: Die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten ergeben sich auch beim Selbstständigen aus den Vorschriften der Europäischen Gemeinschaften für Kraftfahrer sowie nach dem AETR-Abkommen für den grenzüberschreitenden Güterverkehr. Beim Thema Ruhepause schreibt Paragraf 5 des neuen Gesetzes vor, dass der Selbstständige nicht länger als sechs Stunden hintereinander ohne Ruhepause arbeiten darf. Bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden sind 30 Minuten Pause vorgeschrieben, 45 Minuten sind es bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden. Die Ruhepausen können in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden.

Zu guter Letzt die Aufzeichnungspflicht: Der selbstständige Kraftfahrer muss seine tägliche Arbeitszeit hinter dem Steuer ebenfalls durch Digitacho oder Schaublätter nachweisen können. Wichtig: Die Aufzeichnungen sind laut dem neuen Gesetz ab Erstellung mindestens zwei Jahre aufzubewahren!

Selbstständig nur mit Lkw

Ein selbstständiger Fahrer ohne eigenen Lkw ist ein abhängiger Arbeitnehmer – so entschied im Frühjahr das Landessozialgericht Bayern (9. Mai 2012, Az.: L 5 R 23/12) in einem Fall, in dem es um die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und damit um die Frage der Scheinselbstständigkeit ging. Folgende Faktoren sprachen dabei nach Ansicht des Gerichts für eine abhängige Beschäftigung: Die Spedition stellte das Betriebsmittel (in diesem Fall den Lkw) samt der dazugehörigen Arbeitsmittel (Kraftstoff und Schmiermittel) und übernahm auch Unterhalt und Wartung des Fahrzeugs. Zudem fuhr der als selbstständig gemeldete Fahrer Routen nach Kundenauftrag der Spedition. Des Weiteren habe sich seine Tätigkeit nicht sonderlich von der Tätigkeit angestellter Fahrer der Spedition unterschieden, außerdem sei er auch nach außen ebenso wenig als Selbstständiger aufgetreten wie die Fahrer der Spedition. Die Folge für die Spedition: Sie muss für den selbstständigen Fahrer, der für sie Touren gefahren ist, nicht nur die Sozialversicherungsbeiträge, sondern auch Säumniszuschläge nachzahlen.

Die Kriterien

Zehn Merkmale, die für eine Scheinselbstständigkeit sprechen:

  1. Es werden keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt.
  2. Es wird dauerhaft und hauptsächlich für nur einen Auftraggeber gearbeitet.
  3. Der Auftraggeber lässt ähnliche Tätigkeiten regelmäßig durch Arbeitnehmer verrichten.
  4. Das unternehmerische Handeln ist sehr eingeschränkt (z. B. kein eigenes Kapital, keine Betriebsmittel oder keine eigene Werbung).
  5. Es wurde bereits vorher bei dem Auftraggeber als Arbeitnehmer gearbeitet und die gleichen Tätigkeiten erledigt.
  6. Es erfolgt eine Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers.
  7. Der Auftraggeber übt ein Weisungsrecht aus, z. B. bezüglich der Arbeitszeiten.
  8. Der Auftraggeber verbietet, die Tätigkeit durch Mitarbeiter ausführen zu lassen.
  9. Aufträge des Auftraggebers dürfen nicht abgelehnt werden.
  10. Eine Bezahlung erfolgt auch bei Urlaub und Krankheit.

Quelle: BVT

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Markus Werner Fachanwalt für Arbeitsrecht
Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
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