Scheibenwischer-Produktion bei Valeo Streifenfrei Sauber

Entwicklung-Scheibenwischerproduktion bei Valeo Foto: Mario Rodrigues 13 Bilder

Etwas Gummi, ein Stück Blech und fertig ist der Wischer? Weit gefehlt! Wie der Scheibenputzer entsteht und was er alles kann, haben wir uns im Valeo-Werk zeigen lassen.

Zu Zeiten, als Heinrich von Preußen, der Bruder Kaiser Wilhelm II., ein Patent auf den Scheibenwischer beantragte, bestand dieser aus wenig mehr als einem Gestell, einer primitiven Gummilippe und einer Handbetätigung. Heute vereint er die Finessen von Mechanik und Elektronik. So hat beispielsweise Valeo ein Wischerblatt entwickelt, das Wasser direkt vor dem Wischerblatt auf die Scheibe aufträgt, anstatt es großflächig zu versprühen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Das Wasser ist genau da, wo es sein soll. Valeo nennt das System Aquablade. Im Pkw hat es Aquablade als sogenannte Vision Control in die neuesten Generationen von Mercedes-Benz S-Klasse und SL geschafft, da sogar mit integrierter Heizung

Alles hat einen groben Anfang

Lkw und Pkw unterscheiden sich in der Kon­struktionsweise des Scheibenwischers nicht nur anhand der Dimensionen. Die Schwergewichte nutzen ein herkömmliches Wischergestell, das mit seinen verstärkten Anlenkpunkten ein wenig an Fachwerk erinnert. Dies sei aber nach wie vor nötig, da sonst nicht gewährleistet sei, dass das Wischergummi über die gesamte Länge sicher aufliegt, so der Hersteller. Beim Pkw hat das Gestell ausgedient. In neuen Modellen wird das Gummi auf eine Federschiene geschoben, die zentral mit dem Wischerarm verbunden ist. Das reicht für die Leichtgewichte vollkommen aus. Der Weg vom Rohgummi zum fertigen Wischerblatt läuft über zahlreiche Stationen. 
Alles beginnt in einer unscheinbaren ­Kiste auf dem Boden der Produktionshalle. Dort liegt das Rohgummi grob geschlauft wie überdimensionierte Bandnudeln. In der aus der Kiste gespeisten Pressstraße läuft jeweils ein Strang Naturkautschuk und synthetischer Kautschuk zusammen. Die beiden Gummisorten werden durch eine Matrize gepresst und so verbunden. 

Dabei entstehen zwei Endlos-Profile gleichzeitig. Diese sind zunächst noch durch einen Steg verbunden und laufen direkt im Anschluss durch ein heißes Salzbad. Auf diese Weise vulkanisiert Valeo das Gummi, macht es also haltbar und formstabil. Beim Vulkanisieren verändert sich die Gefügestruktur innerhalb des Werkstoffs. Der eher plastische Naturkautschuk wird dadurch fest und elastisch. So ist er wesentlich widerstandsfähiger als das unbehandelte Gegenstück. Über Jahre verändert sich die Struktur jedoch erneut. Das Gummi wird spröde. Spätestens dann sollte der Wischer getauscht werden.

Bis zu 85.000 Schienen pro Tag

Weniger Probleme mit der Witterung hat hingegen der synthetische Anteil im Gummi, der während der Vulkanisation fest mit dem Naturprodukt verbunden wird. Gegen Witterungseinflüsse schützt Brom den Scheibenwischer. Dazu kommt ein Grafitlack, der in einem Infrarot-Ofen trocknet. Nach der Behandlung kappt die Maschine die Gummilippen auf die richtige Länge. Zum Schluss trennt eine Endlos-Klinge die beiden Profile. Der Mittelsteg ist Ausschuss. An der nächsten Station entstehen die Federschienen für die Pkw-Wischerblätter. Eine sogenannte fliegende Presse fertigt Schiene um Schiene – laut Valeo 85.000 Stück pro Tag. Die sogenannte fliegende Presse unterscheidet sich darin von ihrem weniger agilen Pendant, dass das Material für den Pressvorgang nicht anhält. Stattdessen läuft das Stahlband mit kontinuierlicher Geschwindigkeit durch die Maschine. Für den Stanzvorgang läuft die Presse für ­einen ­Augenblick gleich schnell wie das zu pressende Material, um sich danach in Windeseile den nächsten Abschnitt vorzunehmen.

Eine kleinere Montagestraße verbindet nun die Gummilippe mit der Federschiene oder wie im Fall eines Lkw-Wischers mit dem Wischergerüst. Dazu wird das Gummi auf das Metall aufgezogen und verbunden. Angestellte prüfen die Aquablade-Wischer an einer weiteren Station auf Dichtigkeit und ob das Teil die gewünschten ­Lochabstände einhält. Diese sind nicht unbedingt gleichmäßig verteilt, um die Scheibe optimal zu benetzen. Mithilfe eines Lasers schießt die Anlage exakt definiert die Löcher für das Wischwasser ins Wischerblatt. Ein dünnes Heiz­element sitzt direkt am Wischergummi.

Auswahl von 220 Modellen

Eine weitere Komponente des Scheibenwischers ist der Arm. Eine riesige Maschine spuckt den Hauptteil, den Wischerhebel aus. Auch hier führt eine Rolle Bandstahl zu. In mehreren Schritten, diesmal nicht fliegend, sondern konventionell gepresst, verformt die Anlage den Stahl zum fertigen Hebel. Dieser erhält in einer weiteren Bearbeitungsstufe noch die Feder und das fehlende Bindeglied zwischen Scheiben­wischer und Fahrzeug.
Die Metallkomponenten des Scheibenwischers müssen vor dem Zusammenbau eine Lackierstraße durchlaufen. Dort wechseln sie ihre Farbe vom natürlichen silbrigen Ton zum gewohnten Scheibenwischer-Schwarz. Sind die Bauteile trocken, geht es weiter zur Endmontage.

Bei herkömmlichen Wischerarmen genügt es, Wischerhebel und Wischerblatt zu verbinden. Aquablade-Lösungen, sei es für Lkw oder Pkw, sind da etwas komplizierter. Schließlich muss hier nicht nur die Mechanik mit dem Fahrzeug verbunden werden. Auch der Schlauch muss den Waschwasserbehälter möglichst geschützt mit den Austrittsöffnungen des Gummis kombinieren. Valeo nutzt hierfür die Feder, die den Wischerarm an die Scheibe presst. Der Schlauch verläuft in der sogenannten Seele der Feder, also die imaginäre Mittelachse der Feder. So wird er laut Hersteller möglichst wenig geknickt. Insgesamt fertigt Valeo 220 verschiedene Modelle von Scheibenwischern. Diese enorme Vielfalt hänge jedoch nicht nur mit den verschiedenen Fahrzeugmodellen zusammen. So gebe es verschiedene Modelle für die Fahrer- und Beifahrerseite, aber auch für Rechts- oder Linkslenker. In jeder dieser verschiedenen Einbausituationen ist es wichtig, so viel vom Sichtfeld wie möglich freizuwischen.

Blick ins Prüflabor

Neben dem Produktionswerk unterhält Valeo am Standort Bietigheim auch ein eigenes Prüflabor. Labor-Manager Dietmar Baumgärtner öffnete exklusiv für lastauto omnibus seine heiligen Hallen. Prüfstand an Prüfstand reiht sich dort im ­Wischertrakt aneinander. Einer der Tests soll mit 1,5 Millionen Wischzyklen über vier Wochen beispielsweise jahrelange Beanspruchung simulieren. Mit jedem Hin und Her des Wischers klappt die Gummilippe einmal um. Im Extremfall könnte diese also brechen. Dies sei jedoch eher unwahrscheinlich. "Vorher", erklärt Baumgärtner, "bilden sich nach langer Einsatzdauer feine Scharten in der Kante und der Wischer sollte getauscht werden."

Die Testscheiben, das größte Exemplar im Labor stammt aus einem Reisebus, sind blau hinterlegt. Das verstärkt nicht zuletzt den Kontrast, der die Ingenieure Wischfehler schneller entdecken lässt. Besonders eindrucksvoll demonstriert das ein Test unter UV-Licht (QR-Code zum Video). Die Scheibe wurde vorher mit speziellem Testschmutz präpariert, der aus einer Lösung mit UV-leuchtenden Pigmenten besteht. Sobald die Lösung trocken ist, kann der Wischer zeigen, wie schnell ein moderner Scheibenwischer den Belag streifenfrei wegwischt. Ein weiterer Bereich der Abteilung widmet sich den Wischermotoren. Auch diese Bauteile haben ­einen langen Entwicklungsweg hinter sich. Während ältere Semester als rundlaufende Motoren mit kinematischem Gestänge arbeiten, gesteuert über eine einfache Elektronik, geht in modernen Systemen nichts mehr ohne Software.

Die Elektrik sei daher auch nicht das Problem. Anspruchsvoll seien die vielen Zeilen an Programmcode. Neben "An" und "Aus" kennen diese Elektromotoren noch verschiedene andere Zustände und können den Arm in zwei Richtungen bewegen. An einem Prüfstand zeigt Baumgärtner, wie ein zweiarmiger Scheibenwischer lernt, beispielsweise mit Schnee auf der Scheibe umzugehen. Würde der Arm gegen den aufgetürmten Schnee arbeiten, könnte er Schaden nehmen. Die Elektronik erkennt die neu gesetzte untere Umkehrlage und passt den Bewegungswinkel an. Dabei muss sie auch den zweiten Wischer koordinieren, damit es wegen des neuen Arbeitsbereichs des blockierten Armes nicht zu Kollisionen kommt. Nach einem vorgegebenen Muster prüft die Elektronik nach ein paar Zyklen erneut, ob der Weg frei ist und justiert entsprechend nach. Ein kontinuierlich laufender Motor könnte das nicht leisten.

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