Scania Kipper Scania G 440 als Straßenkipper

Foto: Michael Kern 12 Bilder

Schlanke Strukturen prägen den 440 PS starken Kipper von Scania, so weit das Auge reicht. Mager ist das, was der G 440 zu bieten hat, deswegen aber beileibe nicht. Indes ist der Vierachser aber eher auf Einsätze als Straßenkipper zugeschnitten.

Der Mann an der Waage stutzt: "Wie kommt denn das?", entfährt es ihm staunend, als er gerade mal 13.400 Kilogramm als Leergewicht für den Scania-Vierachser vom Display abliest. Er ist an Werte gewöhnt, die rund eine Tonne darüber liegen. Ein guten Teil zu diesem extrem günstigen Gewicht steuert freilich der Aufbau bei, der von Dautel stammt, sich mit fünf Millimeter starkem Hardox-Stahl als Bodengruppe begnügt und für die Seitenbordwände auf Aluminium zurückgreift.

440 PS starker Vierachser für den mittelschweren Einsatz

Den anderen und gewiss nicht zu vernachlässigenden Teil steuert aber der fahrbare Untersatz bei, der den Scania-Greif auf der Brust trägt und auf die Modellbezeichnung G 440 CB8x4MHZ hört. Ins Deutsche übersetzt meint dies einen 440 PS starken Vierachser für den mittelschweren Einsatz (M), der mit hohem Rahmen (H) und Blattfederung an allen Achsen (Z) antritt. Wobei Scania unter mittelschwerem Einsatz das versteht, was hierzulande schnöde „Straßenkipper“ heißt. Für schwerere Galeerenarbeit im Gelände empfiehlt sich der M-Scania weniger - schon allein deshalb, weil hier ein Hilfsrahmen fehlt. Aber genau das spart schon einmal kräftig an Gewicht.

Scheibenbremsen an allen Achsen

Zum anderen haben die Schweden ihre feindselige Haltung gegenüber Scheibenbremsen am Kipper nun auf einmal aufgegeben und schickten das Testfahrzeug mit Scheibenbremsen an allen Achsen denn auch gleich auf Tour. Damit sind schon wieder einige Pfunde gespart. Dritte im Bunde der gewichtssparenden Maßnahmen: EGR statt SCR für Euro 5. Dafür braucht es zwar 13 statt 12 Liter Hubraum, doch kann sich der Scania-Vierachser auf diese Weise den SCR-Kat samt Adblue-Tank sparen: Macht schon wieder ein hübsches Sümmchen an Pfunden, die der G 440 eben erst gar nicht auf die Waage bringt.

Eigengewicht des Chassis bleibt unter zehn Tonnen

Das Chassis jedenfalls bleibt auf diese Weise in praxisgerechter Konfiguration beim Eigengewicht locker unter zehn Tonnen. Genauer gesagt: In lastauto-omnibus-Standardspezifikation drückt das Scania-Chassis gerade mal mit gut 9,5 Tonnen auf die Waage und kann deswegen mit Fug und Recht als Nutzlastriese gelten. Zumal der G  440-Vierachser weder bei der Kabine noch beim Triebstrang als klapperdürrer Hungerkünstler antritt: Die G-Kabine ist gewiss nicht eng geschnitten. Und der 13 Liter große EGR-Motor stellt die Konkurrenten in seinen jeweiligen Leistungsklassen allesamt locker in den Schatten.

Praktische Drehschalter für die Sperren

Doch zurück zur Kabine, die ihre Herkunft aus der Fernverkehrsfamilie nicht verhehlt. Scania-typisch schmiegt sich das Cockpit um den Fahrer, was auf der Bahn stets eine angenehme Sache ist. Und beim Fahren im Gelände fällt angenehm auf: Die umständlichen Kippschalter für die Sperren sind mittlerweile gegen einen praktischen Drehschalter getauscht. Gehts allerdings im Stand auch darum, mal kurz auf die Beifahrerseite hinüberzuwechseln, wäre ein flacher ausgeführter Armaturenträger natürlich die bessere Wahl. Immerhin steht im Testfahrzeug kein Schaltstock mehr im Weg, denn Scania liefert Opticruise nun auch für den Bau.  Mit von der Partie ist dann eine Art Geländemodus, von dem später noch die Rede sein wird.

Schubladen und Ablagen

Zu den Annehmlichkeiten, die das Fahrerhaus bietet, gehören neben ansprechendem Fahrerarbeitsplatz und üppigem Platzangebot eine kleine Schublade vorn (mit Mini-Ablage oben), mittig auf dem 280 Millimeter hohen Motortunnel der G-Kabine, sowie eine gewissermaßen gerahmte offene Ablage vor dem Beifahrersitz, auf der sich etwas Krimskrams deponieren lässt. Unterm Dach an der Fahrzeugstirn finden sich zudem noch ein paar Fächer, hinten auf dem Motortunnel ist außerdem eine etwas größere offene Konsole mit zwei Flaschenhaltern zu haben. Die sind aber auch vonnöten, denn im Türfach fehlt etwas in dieser Art gleich ganz. Brachland erblickt das Auge dann allerdings hinter den Sitzen, wo also im Freistil gestapelt werden darf.

Der Einstieg ist nicht so niedrig wie bei den P-Kabinen

Der Einstieg ist nicht so niedrig wie bei den extrem tief angeordneten P-Kabinen und nicht so hoch wie bei den R-Fahrerhäusern: Mit Bereifung 385/65 R 22,5 auf den Vorderachsen hat der Pilot exakt 1,27 Höhenmeter zu überwinden, bevor er im Cockpit Position beziehen kann. Allerdings schwebt die pendelnd aufgehängte erste Stufe nur 330 Millimeter über dem Boden und ist bei dieser Art von Tiefflug auf Dauer unweigerlich Crashs ausgesetzt, die für die Langlebigkeit dieser Konstruktion nichts Gutes befürchten lassen.

Der Motor mobilisiert 2.300 Nm ab 1.000/min

Hinterm Volant Platz genommen und den Motor gestartet, nimmt vor allem der ungemein kräftige und elastische Motor sofort für sich ein. Stolze 2.300 Nm mobilisiert er ab 1.000/min und hält diesen Wert konstant bis 1.300/min. Da lässt der Motor dann schon knapp 430 Pferde von der Leine - zwischen 1.300/min und Nenndrehzahl 1.900/min bewegt sich das Gefährt also stets im groben Bereich der maximalen Leistung. Wohl wissend, dass Abgasrückführung eben eine gewisse Verbrauchsempfindlichkeit in den oberen Drehzahlen mit sich bringt, haben die Scania-Mannen die EGR-Motoren so ausgelegt, dass Drehzahlen oberhalb von 1.500/min im Prinzip nicht nötig sind.

G 440 mit einer Übersetzung von 3,93 im Hinterachsgetriebe

Ebenfalls wohl wissend, dass sich eine lange Achse in diesem Zusammenhang auf den Spritverbrauch zudem besonders bekömmlich auswirkt, schickten sie den G 440 mit einer Übersetzung von 3,93 im Hinterachsgetriebe auf die Reise. Taten damit dann allerdings etwas des Guten zu viel: Im Verein mit dem seinerseits schlank dimensionierten Overdrive-Getriebe GRSO905 kommt so eine theoretische Höchstgeschwindigkeit von 117,5 km/h zustande, die zwar auf der Autobahn moderate Drehzahlen von ungefähr 1.360/min bei 85 km/h sicherstellt. Doch ist der zwölfte Gang somit - 2.300 Nm hin oder her - für die Landstraße so gut wie nicht mehr geeignet: Da orgelt der Motor nur noch knapp oberhalb von 1.000/min herum.

Geringe Spreizung des Getriebes

Der Elfte hingegen passt für solches Bummeltempo hervorragend. Knapp 1.300/min liegen an, die Reserven stehen voll und ganz zur Verfügung. Nur resultiert daraus schon hin und wieder ein Taktieren, ob es der Zwölfte am Ende nicht doch ein bisschen sparsamer richten könnte, wenn er es denn nur packt? Auch Opticruise ist in dieser Frage nicht immer ganz entschieden, hält sich jedoch klug und weise vornehmlich an Gangstufe elf.

Das alles ändert aber nichts an der insgesamt eben relativ geringen Spreizung des Getriebes von 11,3, womit dann im Gelände das Ende der Fahnenstange schnell erreicht ist. Satte 10,5 km/h erreicht zum Beispiel der erste Gang bei 1.900/min. Da hapert es also selbst bei 2.300 Nm maximalen Drehmoments mitunter schon etwas mit der Anfahrleistung. Und es fehlen darüber hinaus vernünftige Rangierfähigkeiten, sofern nicht gleich der Crawler in die Pflicht genommen wird. Der ist zweifach vorhanden und mit 13,3 sowie 10,6 übersetzt. Damit erhöht sich die Spreizung des Getriebes auf den endlich auch bei 3,93er-Achse geländetauglichen Wert von 16,4.

Ein Übermaß an Biss kommt damit allerdings immer noch nicht zusammen. Die Endgeschwindigkeit beträgt noch 7,1 km/h im kleinen Kriechgang. Und für die Rückwärtsgänge bleibt das Menetekel, dass sie sowieso sehr lang geraten: Knapp 8 km/h beträgt die Endgeschwindigkeit im kleinen Rückwärtsgang.

Äußerst steile Rampen packt er voll beladen mehr schlecht als recht

Mit der 3,93er-Achse steht sich der G 440 gewissermaßen selbst im Weg und stellt seinen im Grunde tadellosen Motor in ein etwas schiefes Licht: Äußerst steile Rampen packt er voll beladen mehr schlecht als recht gerade noch im ersten Gang. Wer sichergehen will, der kommt ums Einlegen der unsynchronisierten Crawlerstufe nicht umhin. Opticruise ist klug genug, just diese Kriechgänge im Gelände vorzuschlagen.

Doch selbst wenn der Geländemodus aktiviert ist, den das Einlegen der Sperre automatisch auf den Plan ruft, hat das einen Haken. Die Automatik lässt sich einfach zu viel Zeit. Im dritten Gang zum Beispiel an einen nur mäßig steilen Stich herangerollt und kurz noch Gas gegeben, schaltet Opticruise zu fix hinauf, um dann vom Ernst der Lage überfordert zu sein: Statt schnell den ersten Gang als Notanker zu werfen, lässt es die Automatik darauf ankommen, ob Ziehenlassen nicht doch die bessere Methode sei. Ist sie natürlich nicht. Denn prompt bricht die Leistung des Motors schon auf den ersten Metern des Hangs zusammen - und die Fuhre steht, lange bevor Opticruise auch nur den Hauch einer Chance hat, den Crawler jetzt noch zu bemühen.

Was bleibt, ist der freundliche Vorschlag auf dem Display, die Fahrt im Crawler wieder aufzunehmen. Es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, stünde einem Geländemodus allerdings weit besser zu Gesicht.

Mit Opticruise schnell und komfortabel schalten

Wie auch die G-Kabine kann Opticruise offensichtlich seine Verwurzelung im Fernverkehr so recht nicht abstreifen. Denn nicht nur im Gelände, sondern auch in den Spitzkehren von steilen Serpentinen hechelt die Automatik den beinharten Fahrwiderstandsrealitäten mehr als nur einmal unvorteilhaft hinterher.

Zu den Stärken von Opticruise zählen aber nach wie vor ein schnelles und dennoch komfortables Schalten sowie der treffliche Rangiermodus, aus dem es sich zudem ohne extra Schalterbetätigung ganz organisch in den normalen Fahrmodus wechseln lässt. In diesem bietet der G 440 mit seinen Parabelfedern vorn und hinten ordentliche, wenn auch nicht überragende  Federungsqualitäten - sowohl leer als auch voll. Mit nur einem Stabi im Kellergeschoss (erste Vorderachse) punktet der G 440 eben zwar bei der Nutzlast, erkauft sich dies jedoch mit hin und wieder leicht unruhigem Lauf.

Die tadellose Lenkung des Scania hält das Ungemach wohl in sehr engen Grenzen, doch würde zumindest ein weiterer Stabi das Fahrverhalten sicher bessern, ohne die ohnehin üppige Nutzlast des Vierachsers über Gebühr zu schmälern.

Trotz langer Achse meistert der G440 den Testparcour mit 51,8 km/h

Bei der Fahrleistung aber macht der Vierachser dem Ruf des Scania als Fahrmaschine alle Ehre. Trotz langer Achse nimmt der G 440 den Testparcours mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 51,8 km/h unter die Räder. Das ist für diese Leistungsklasse außergewöhnlich hoch. 2.300 Newtonmeter lassen grüßen.

Der Verbrauch schlägt unterm Strich mit 56,5 l/100 km zu Buche, der den EGR-Motor einem SCR-Konkurrenten gegenüber als durchaus ebenbürtig ausweist. Üblich sind da Werte von knapp 55 Litern pro 100 Kilometer, zu denen kostenseitig aber stets noch ein Adblue-Konsum in Höhe von zwei, drei Litern pro 100 Kilometer hinzuzuaddieren wäre. Als Straßenkipper also bietet der G 440 fast alles, was das Herz begehrt: Nutzlast en masse, beeindruckende Fahrleistung bei vernünftigem Verbrauch sowie eine Kabine, in der bestimmt keine Platzangst aufkommt.

Im Gelände stößt das Konzept dann aber schnell an seine Grenzen. Weder der Triebstrang noch die Automatik kommen mit harscheren Gegebenheiten richtig klar.

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