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Projekt eHighway von Siemens Oberleitungs-Lkw startet in Kalifornien

Start des weltweit ersten eHighways in Schweden / World's first eHighway opens in Sweden Foto: Tobias Ohls

Das nächste Projekt mit Oberleitungs-Lkw steht in den Startlöchern. Nachdem im Juni in Schweden die erste Strecke auf einer öffentlichen Straße für diese Fahrzeuge freigegeben wurde, soll im Januar 2017 das nächste Projekt in Kalifornien folgen. Das kündigt der Technologiekonzern Siemens im Gespräch mit der Fachzeitschrift trans aktuell an.

Hier wachsen Nadelbäume, dort Palmen. Der eine Landstrich ist ländlich geprägt, der andere ein Ballungsraum. Unterschiedlicher könnten die Region Gävleborg in Ostschweden und das County Los Angeles in Kalifornien kaum sein. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten: Beide wollen den Güterverkehr auf der Straße sauberer gestalten. Und beide möchten Antriebskonzepte erproben, die bei Zügen und Bussen bewährt, bei Lkw auf der Autobahn aber noch Neuland sind. Die Rede ist von Lastzügen, die ihre Energie über Stromabnehmer aus einer Oberleitung beziehen.

Siemens erwartet Testbetrieb in Kalifornien im Januar 2017

Nachdem Ende Juni in Schweden die weltweit erste Strecke auf einer öffentlichen Straße für Oberleitungs-Lkw in Betrieb gegangen ist, steht der Start des nächsten Projekts in Kalifornien unmittelbar bevor. "Wir erwarten den Testbetrieb Anfang Januar 2017", kündigt Roland Edel, Chief Technology Officer (CTO) in der Sparte Mobility beim Technologiekonzern Siemens, im Gespräch mit der Fachzeitschrift trans aktuell an. Die feierliche Eröffnung soll zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, einen Termin gibt es dafür noch nicht.
"Die Bauarbeiten sind so gut wie abgeschlossen", berichtet Hasso Georg Grünjes, der das Projekt eHighway bei Siemens leitet. Der Eingriff erfolgte im laufenden Betrieb. Grünjes vergleicht das Ganze mit dem Aufbau eines Vorwegweisers mit Kragarm in Deutschland, der zwar meist zu Beeinträchtigungen im Verkehr führt, diesen aber bei mehrspurigen Straßen nicht zum Erliegen bringt.
Die Oberleitungsstrecke befindet sich auf der viel befahrenen Alameda Street, die parallel zum Interstate Highway 710 verläuft. "Darauf haben wir eine Meile in beide Richtungen elektrifiziert", berichtet der eHighway-Verantwortliche. Der I-710 verbindet die Seehäfen Los Angeles und Long Beach mit einem großem Güterbahnhof. Über diese Häfen gelangen laut Siemens rund 45 Prozent aller Importe in die USA.

Zunächst zwei Lkw sollen auf eHighway in Kalifornien fahren

Entsprechend belastet sind nicht nur die Zulaufstrecken, sondern auch die Luft. Ziel der südkalifornischen Behörde für Luftqualität ist es daher, den lokalen Stickoxiden zu Leibe zu rücken. Sie setzt auf Abhilfe durch E-Fahrzeuge und hat Siemens beauftragt, einen Straßenabschnitt zu elektrifizieren. Fallen die Ergebnisse im Sinne der Behörde aus, will sie diese Technologie auf einem Teilstück der I-710 zum Einsatz bringen. Dort ist eine Zero-Emission-Zone geplant, die auch den Lkw einen emissionsfreien Betrieb abverlangt.
Zunächst zwei Lkw sollen für die Dauer von mindestens einem halben Jahr auf dem eHighway zum Einsatz kommen: einer mit Erdgashybridantrieb und ein batterie-elektrisch angetriebener. Beide sind laut Siemens schon einsatzfähig. Die Lkw basieren auf Fahrzeugen des US-Herstellers Navistar, der Umrüst-Spezialist Transpower verpasste ihnen ein neues Innenleben und den Pantographen von Siemens als Schnittstelle zur Oberleitung. Geplant ist, dass die Lkw bei den Vertragspartnern verbleiben, also durch Werksfahrer gesteuert werden. Beim Ladegut handelt es sich primär um Container.

Verzug aufgrund fehlender Informationen über Infrastruktur

Eigentlich hätte Siemens den Betrieb auf der US-Strecke schon längst starten wollen. Als das Unternehmen seine Pläne vor zwei Jahren vorstellte, war es davon ausgegangen, bereits in diesem Sommer über erste Erkenntnisse zu verfügen. "Wir hatten aber leider einen erheblichen Verzug", räumt CTO Edel ein. Als Hauptgrund nennt der Diplom-Ingenieur fehlende Informationen über die angrenzende Infrastruktur vor Ort – namentlich über das, was sich unter der Erde befindet. Die Baufirmen stießen auf Pipelines, sodass die Siemens-Verantwortlichen entschieden, die Fundamente für die Oberleitungsmasten nicht in die Erde, sondern auf die Erde zu legen. Das wiederum machte neue Genehmigungen erforderlich und führte zum Verzug, verdeutlicht aber auch, dass eine Anpassung der Infrastruktur an erschwerte Bedingungen möglich ist.

Die Bilanz des eHighway in Schweden: Alles läuft stabil

Wofür eine Oberleitung alles verantwortlich gemacht wird: Ein Autofahrer beschwerte sich bei den Verantwortlichen der ostschwedischen Region Gävleborg darüber, dass die elektromagnetische Strahlung angeblich den Tempomaten seines Autos außer Gefecht gesetzt hat. Die Behörde aber konnte den Mann beruhigen: Die Cruise Control im Pkw mag defekt sein, an der Stromleitung liegt es nicht. Die war gar nicht in Betrieb, als der Mann unter ihr fuhr.
Hasso Georg Grünjes erzählt die Anekdote mit sichtlicher Freude. Denn es handele sich um das einzige ihm bekannte besondere Vorkommnis, seit die weltweit erste Teststrecke für Oberleitungs-Lkw auf einer öffentlichen Straße in der schwedischen Region Gävleborg Ende Juni in Betrieb gegangen ist. Der elektrifizierte Abschnitt ist zwei Kilometer lang und liegt auf der Autobahn E 16 zwischen Kungsgarden und Sandviken.
"Das System läuft stabil, es gab bisher keinerlei Schwierigkeiten", bilanziert der Leiter des Projektes eHighway. Doch denkt er, dass die eigentliche Bewährungsprobe mit dem beginnenden Winter erst noch bevor steht. "Die Stromabnehmer sind noch nicht für einen Einsatz bei minus 40 Grad ausgelegt", sagt er. Siemens arbeite aber bereits an einem Nachfolger für robustere und härtere Einsätze.

Grünjes: Rund 200 Kilometer rein elektrisch zurückgelegt

Aktuell ist ein Scania-Sattelzug mit Diesel-Hybrid-Motor auf der Strecke im Einsatz, ein zweiter der erst zur IAA vorgestellten neuen Baureihe soll zu Jahresbeginn dazu stoßen. Das Fahrzeug läuft im Fuhrpark der Spedition Ernsts Express und hat im vergangenen halben Jahr seit Start der Pilotstrecke rund 5.000 Kilometer zurückgelegt. "Davon waren etwa 200 rein elektrisch", berichtet Grünjes.
Vor seinem Einsatz in Schweden hatte der Scania andere Aufgaben. Siemens hat ihn zuvor in Groß Dölln (Uckermark) erprobt. Dort betreibt der Konzern seit einigen Jahren eine Testanlage mit einer zwei Kilometer langen elektrifizierten Strecke. Auf einer öffentlichen deutschen Straße ist die Technologie noch nicht anzutreffen.
In Schweden ist der eHighway ein echtes Highlight. Entsprechend groß ist das Interesse daran. An der Eröffnung nahmen sowohl die Infrastrukturministerin als auch der Energieminister teil. Siemens Divisions-CTO Roland Edel spricht von der größten feierlichen Eröffnung in Schweden in diesem Jahr. Mehr als 30 Partner stehen hinter dem Projekt – darunter die Verkehrsbehörde Trafikverket, die Region Gävleorg, aber auch der Fahrzeugbauer Scania und Siemens selbst.

Fahrer loben die gute Performance des Oberleitungs-Lkw

Für die Fahrer ist der Oberleitungs-Lkw ebenfalls etwas Besonderes. Sie loben vor allem die gute Performance des E-Antriebs, berichtet Edel. Die Fahrer können den Stromabnehmer während der Fahrt aus- und einfahren, etwa um zu überholen, oder am Ende des Abschnitts. Der "Saft von oben" bleibt dank der verbauten kleinen Batterie gespeichert und treibt das Fahrzeug bis zu drei Kilometer an, ehe der Dieselmotor einspringt.
Natürlich begeistern Innovationen auch den Unternehmer. Ernsts Express-Chef Roger Blom freut sich auf all das, was seinen ungewöhnlichen Flottenzugang in nächster Zeit erwartet. "Wir werden den Truck bei jedem Wetter testen, ob bei minus 25 Grad oder bei vier Zentimeter Schnee", sagt er.
Beiden Begleiterscheinungen des Winters wird man in Kalifornien eher nicht begegnen. Doch auch der Einsatz bei extremer Hitze ist anspruchsvoll. Was die Testregionen ebenfalls unterscheidet, ist das Motiv der Auftraggeber: Schweden will bis 2030 unabhängig von fossilen Treibstoffen sein und bis 2050 klimaneutral transportieren. Kalifornien dagegen hat weniger das Klima, als vielmehr die Gesundheit seiner Einwohner im Blick und strebt eine bessere Luft an.

Siemens will bewusst zwei unterschiedliche Pilotprojekte

"Wir haben uns bewusst für komplett unterschiedliche Pilotprojekte entschieden, um möglichst breite Erfahrungen zu sammeln", sagt Siemens-Mann Edel. Diese Zeit will der Konzern nutzen, um die Technik weiter zu verfeinern. Ein seriennahes Produkt soll es Ende 2018 geben. Dann dürfte auch die Zeit reif für kommerzielle Anwendungen sein, die über einen Testbetrieb hinaus gehen.

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