Niederflurtechnik bei Stadtbussen Evolution einer Revolution

Foto: ZF Friedrichshafen 5 Bilder

Vom Erfinder der Portalachse für Niederflurbusse darf man durchaus etwas erwarten. Von der konsequenten Elektrifizierung bis zur spritsparenden Gewichtsreduktion setzt ZF auch in Zukunft Maßstäbe beim modernen Busfahrwerk.

Als am 23. Juli 1980 die „Offenlegungsschrift DE 3027806 A1“ beim Deutschen Patentamt veröffentlicht wurde, war niemandem in der Fachwelt bewusst, dass dies im Laufe der Jahre eine Revolution im Stadtbusmarkt weltweit auslösen sollte. Die ZF-Entwickler Friedrich Ehrlinger, Manfred Goeft und Werner Brysch konnten stolz vermelden, eine „Triebachse mit um einen Portalabstand tiefer als die Radantriebswellen angeordneter Vorgelegewelle zwischen beiderseitigen Stirnrad-Vorgelegegetrieben“ erfunden zu haben – kurz: die Portalachse für Stadtbusse. Es war noch die Zeit der gerade in ihrer Blüte stehenden sogenannten „Standard­busgeneration“, der weitgehend standardisierten und somit gleich konstruierten Stadtbusse (siehe auch den historischen Fahrbericht auf Seite 62). Deren Bodenhöhe lag noch bei rund 70 Zentimetern – heute ein typischer Wert für einen Überlandbus, der am Wochen­ende auch einmal eine kleine Tour machen darf.

Mit der ersten Generation der ZF-Portalachse, der AV 130, konnte dieser Wert bereits um 25 auf minimal 45 Zentimeter abgesenkt werden. Nach dem französischen Erstkunden CBM „Car et Bus Le Mans“ (später von Renault übernommen), der einen Prototyp aufbaut und 1982 in Paris der Öffentlichkeit als „Zukunftsbus“ präsentiert, war es der Referenzkunde Kässbohrer, der das Achssystem zuerst in großen Stückzahlen verwendete und gewissermaßen salonfähig machte. Trotzdem wurden von 1983 bis 1992 nur etwas über 1.000 Stück dieser ersten Version gebaut.

AV 131 bringt Wagenboden näher an die Fahrbahn

Schon auf die zehnfache Stückzahl bringt es dann die zweite Generation der AV 131, die von 1988 bis 2001 gebaut wurde und den Wagenboden weitere vier Zentimeter an die Fahrbahn annäherte, was erstmals eine volle Niederflurigkeit bedeutete. So mancher Hersteller warb denn auch mit der vollmundigen Bezeichnung „super low floor“. Ausschlaggebend dafür war vor allem die asymmetrisch ausgebildete Achsbrücke mit einem seitlich liegenden Differenzial. Der Portalversatz stieg von 70 auf 110 Millimeter. Bereits 1997 konnte die 10.000ste Achse vom Band genommen werden, kurz nach dem Übergang von der AV 131 zur nächsten Generation, der AV  132, die dann ab 1995 endgültig den Durchbruch markierte und seither über 200.000 Mal an über 100 Kunden verkauft wurde. Typisch für die Entwicklung: Die konstruktiven und produktionstechnischen Übergänge der Generationen waren jeweils fließend –sind solche ­Fahrwerksbauteile doch äußerst langlebig und weitgehend vor Mode­n und Hypes verschont. Zudem wurden neue konstruktive Merkmale jeweils schon in die Vorgängergeneration integriert, um diese bestmöglich zu erproben. Neuheiten an der AV 132 waren etwa die Radialbremse mit Scheiben rundum und stehendem Bremszylinder. Die Achsbrücke verfügte über eine Ausnehmung für die Steckwelle, um die weitere Absenkung zu realisieren. Zum großen Erfolg der dritten Generation trug außerdem die erstmals angebotene, nicht angetriebene Hinterachsversion für Gelenkbusse bei, die AVN 132, die 1997 startete und bisher rund 40.000 Stück erreichte. Heute kann ZF mit Stolz sagen, dass fast ausnahmslos ­alle Niederflurbusse weltweit mit einer ZF-Achse unterwegs sind – keine ganz unkomfortable Marktsituation.

Fast 60 Prozent der Kunden kaufen die Achse mittlerweile als Komplettsystem mit Federträger, Lenkern, Dämpfern und weiteren Anbauteilen ein – ein folgenreicher Schritt vom Teilehersteller zum Systemanbieter wurde so möglich. Das setzt sich auch bei der elektrischen Achse AVE 130 ab 2007 fort (siehe Kasten), die sich mit der AV 132 viele Standard-Bauteile und alle Schnittstellen zum Fahrzeugkörper teilt. Leider konnte die weitere Absenkung der Achsbrücke um mindestens fünf Zentimeter bisher noch kein Busbauer realistisch ausnutzen, kein Bus wird bisher der Achse „auf den Träger geschneidert“.

Auch die erfolgreichste Generation wurde sukzessive ab 2003 einem Facelift und weiteren Systemoptimierungen unterzogen, ohne aber die Typenbezeichnung schon vollends zu ändern – Evolution statt Revolution ist nunmehr angesagt oder: „Never change a winning team“. Bei der jüngsten Modifikation wurden vor allem Pfunde gespart, insgesamt 63 Kilo vom Gesamtsystemgewicht von rund einer Tonne, am meisten bei den massiven Federträgern – eines der größten Sparpotenziale. In einem zweiten Schritt wurde dann ab 2007 bereits eine Verstärkung der Kegelradsätze für Euro 6 vorbereitet, neue Entlüftungspositionen geschaffen und eine ins Portalgehäuse integrierte Lenkerkonsole konstruiert, 2011 ging die Achse in Serie. Fein­arbeit par excellence!

Serienproduktion der AV 133 soll 2016 starten

Und die wird auch bei der nächsten Generation, die 2015 in den Startlöchern steht, wieder im Vordergrund stehen: Die AV 133 wird auf der größten internationalen Busmesse im belgischen Kortrijk einer der Stars auf dem ZF-Stand sein. Die Serienproduktion soll 2016 starten. Die Entwicklungsmannschaft in Passau ist mittlerweile auf neun Techniker angewachsen, es gibt viel zu konstruieren und erproben. Die Projektziele in Kurzfassung: Wirkungsgradverbesserung, Gewichtseinsparung, Optimierung Akustik und Ölhaushalt. Zu diesen Zwecken werden die Flankenpressung der um zehn Millimeter vergrößerten Kegelradsätze verbessert und die Portalradverzahnung neu ausgelegt. Das Differenzial wird zudem neu gelagert und noch besser geschmiert. Folge dieser konzertierten Maßnahmen: Das Geräusch­niveau der Portalachse wird insgesamt um bis zu drei Dezibel gesenkt, was einer empfundenen Halbierung entspricht. Das immer wichtigere Thema Gewicht wird ebenso konsequent angegangen, auch wenn nicht in der gesamten Serie in gleicher Weise. Optional können erstmals die heute aus Sphäroguss bestehenden, massiven Achsfederträger aus Aluminium gefertigt werden, was eine Gewichtsreduktion von 45 Kilo oder fünf Prozent pro Achse bedeutet, aber ihren Preis deutlich steigert: „Die spannende Frage wird sein, was in Zukunft das eingesparte Kilogramm Fahrzeuggewicht dem Kunden wert ist“, erläutert Dr.-Ing. Andreas Grossl, Leiter der Achskonstruktion in Passau im Hinblick auf kommende CO2-Gesetzgebungen und weitere Verbrauchsthemen. Im optionalen „Wirkungsgradpaket“ sind neben den leichten Aluträgern weitere Optimierungsmaßnahmen enthalten. So werden die Ölwechselintervalle mit teilsynthetischem Schmierstoff von 180.000 auf 240.000 Kilometer erweitert. Zudem ist eine neue, in die Achse integrierte Entlüftung geplant, um unnötige Schnittstellen zum Fahrzeug zu reduzieren. „Es wird also eine Standardachse geben und ein Zusatzpaket, für das der Kunde anfänglich mehr Geld in die Hand nimmt, das er aber im Laufeder Nutzung wiederum auch sparen kann“, erläutert Dr. Grossl das neue, zweigleisige Modell, dessen Erfolg sicher nicht lange auf sich warten lassen wird und die Evolution der Revolution im Busbau wesentlich weiter­treiben wird.

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