Mythos & Wahrheit Auswandern richtig gemacht

Report-Auswandern richtig gemacht Foto: Werner Stumreiter 8 Bilder

Auswanderer aufgepasst: Auch in Kanada oder den USA ist nicht alles Gold beziehungsweise Chrom, was glänzt. Einen Fahrermangel gibt es dort nicht.

Die Firma Schneider National ist mit 15.000 Zugmaschinen und 50.000 Aufliegern einer der "Big Five" in der US-amerikanischen Transportindustrie. Schneider hat jahrelang einen Rennwagen in der beliebten Serie Nascar gesponsert. Das Auto war nicht sehr erfolgreich, aber nach jedem Rennen meldeten sich hunderte Leute, um bei Schneider als Fahrer anzuheuern. Gerade mal ein Prozent davon, erzählte mir ein Personalmanager, sei nach einem Jahr noch in der Firma gewesen.

Nordamerikanische Transportfirmen geben horrende Summen für Fahrerwerbung aus. Überall ist die Story zu hören, dass nordamerikanische Transportfirmen einen Fahrermangel hätten. Fakt ist: Die großen Transportfirmen heuern Fahrer nicht an, um frei werdende Arbeitsplätze zu besetzen, sie heuern Fahrer auf Vorrat an, um jederzeit den gesamten Fuhrpark einsatzfähig zu halten. Potenzielle Bewerber gibt es ausreichend.

Für Trucker gibt es in den USA ein Zentral­register und jeder Anwerber kann dort nachschauen, welche Sünden ein Bewerber in den vergangenen drei Jahren begangen hat. Das gilt auch für kanadische Fahrer, die in die USA fahren. In diesem Register ist alles erfasst, es muss aber kein Bußgeld damit verbunden sein und die Anschuldigung muss auch keineswegs richtig sein. Ich selbst bin mit derzeit 17 Punkten registriert: Einmal, weil mein rechtes Abblendlicht bei Sturm und Regen fünf Kilometer vor dem nächsten Truckstop ausgefallen war und ein zweites Mal, weil meine Frau einen kleinen Eintrag in mein Logbook vorgenommen hatte. Man muss nämlich alles selbst ausfüllen.

Härtere Normen als bei uns

Zu glauben, in Nordamerika herrschen paradiesische Zustände für Fahrer, ist also eine Illusion. Fahrer müssen auch hier arbeiten wie ein Uhrwerk und innerhalb der gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten. Die sind etwas härter als in Europa, elf Stunden Lenkzeit sind die Norm. Ob die Logbücher sauber sind, wäre den Firmen egal, aber das US-Verkehrsministerium legt darauf seit 2010 großen Wert.

Einem Owner Operator mit drei Fahrzeugen wurde zum Beispiel die Firma für drei Monate zugemacht, weil er seine Fahrer nicht regelmäßig auf Alkohol und Drogen testen ließ. Viele Firmen führen mittlerweile freiwillig elektronische Logbücher, um ihre Lizenz nicht zu gefährden. Ann Ferro, genannt die eiserne Lady, Direktorin der Bundessicherheitsbehörde im Straßenverkehr (FMCSA), hat gewaltig aufgeräumt. Es hat lange gedauert, bis der mächtige Transportunternehmerverband sie zu Fall brachte.

Einwanderer spielen eine geringe Rolle

Der sogenannte "Driver Turnover" amerikanischer Firmen liegt im Durchschnitt um die 90 Prozent. Mit anderen Worten: Im Land der Freien tauschen die Firmen jedes Jahr fast das gesamte Fahrpersonal aus. Aber in Wirklichkeit betrifft die Fluktuation vor allem die neu eingestellten Fahrer. Wird in Deutschland eine Stelle frei, wählt man unter 100 Bewerbern den geeignetsten aus. In Nordamerika wird man zehn einstellen und schauen, welcher davon sich bewährt. Einwanderer spielen im Personalkonzept der kanadischen Transportindustrie eine geringe Rolle. In den USA baut man erst gar nicht auf sie.
Wie ein kanadischer Recruiter sagt, sind die Kosten für ausländische Fahrer mittlerweile sehr hoch. Ein Workpermit, die Arbeitserlaubnis, kostet das Unternehmen 1.000 Dollar und die Abbrecherquote liegt bei 70 Prozent. Hinzu kommen Kosten für Flug, Führerschein und einiges mehr, sodass es sich kaum mehr lohnt, Ausländer anzuheuern. Im Übrigen sehen viele Firmen ihre Zukunft in Subunternehmern, nicht mehr in angestellten Fahrern. Landstar in den USA beschäftigt zum Beispiel nur noch "Owner Operator". Day & Ross in Kanada ist eben falls eine reine "OO Company", und Trans X ist auf dem Weg dorthin. Alle Firmen haben einen mehr oder weniger großen Stamm an Subunternehmern.

Damals war alles anders

Vor neun Jahren war das alles noch ganz anders. Damals vermittelte sogar die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Bonn Fahrer nach Kanada. Ich selbst nahm dieses kostenlose Angebot in Anspruch. In allen größeren Städten organisierte die IHK "Jobfairs", wo kanadische Firmen ihre Stellen anboten. Aber irgendwann wurde sogar dem deutschen Staat klar, dass er seine Leute nicht ins Ausland verschachern sollte.
Es gab auch üble Geschäftemacher. Die Firma First Canadian Immigration Service verlangte satte 8.000 Euro für die Vermittlung an Bison Transport in Winnipeg, ohne einen Arbeitsvertrag bei Bison zu garantieren. Und sie hatte einen Zulauf, als würde Kanada bald die Grenzen dichtmachen.

In meinem Fall ging alles schnell und unkompliziert. Es dauerte etwa drei Monate, bis wir den deutschen Papierkram erledigt hatten. Am 30. Mai 2006 war ich bei der Firma Ayr Motor Express in Woodstock, New Brunswick, angekommen. Nach drei Wochen hatte ich den kanadischen Papierkram erledigt und den Führerschein gemacht – nur die Prüfungs­gebühren von 65 Dollar waren zu bezahlen. Und am nächsten Tag war ich bereits als Trainee unterwegs.

So unkompliziert und preiswert funktioniert es bei den wenigsten. Auch Ayr hat mittlerweile sein System geändert: So mancher hoffnungsfrohe Fahrer hat hier bis zu sechs Monate gewartet, bis er einen festen Truck bekam, saß zu Hause vorm Telefon und hoffte auf eine Aushilfstour. Die Bank von Montreal hat gerade eine Statistik veröffentlicht, nach der 20 Prozent aller Einwanderer ohne Bargeld nach Kanada kommen. Der Durchschnittseinwanderer kommt mit 47.000 Dollar. Allein etwa 20.000 Dollar wenden Immigranten dafür auf, sich in Kanada niederzulassen. Die meisten Fahrer jedoch kommen mit wenig oder gar nichts oder gar mit einem Berg Schulden nach Kanada. Viele leben in Scheidung, manche müssen auch noch die zurückgebliebene Familie finanziell versorgen. Wer nach Kanada als Trucker will, sollte mindestens 5.000, besser 10.000 Euro, mitbringen.

Es brauchte fünf Jahre, um richtig anzukommen

Michael Nozicka kam mit ein paar tausend Euro, mit Frau und drei Söhnen hier an. Mit dem ersten Chef kam er überhaupt nicht klar. Bei der zweiten Firma war der Truck ständig kaputt. Wäre da nicht der Job von Ehefrau Bea in einem Altenheim gewesen, hätte es schlecht ausgesehen für die Familie. Erst in der dritten Firma, einer Sekte mit angeschlossener Großgärtnerei, verdiente er einigermaßen. Seit einem Jahr ist Michael Owner Operator. "Fünf Jahre dauert es", sagt er, "bis du hier richtig angekommen bist.

Der Drang, nach Kanada auszuwandern, ist trotz allem sehr groß. Etliche frisieren deshalb ihre Angaben ein wenig. Es fliegt alles auf, spätestens beim Antrag für die Permanent Residence – die Aufenthaltsgenehmigung. Manche bekommen Heimweh, manche werden von den Ehefrauen zurückbeordert. Die Geschichte der gescheiterten Auswanderungsträume ist lang. Die Statistik sagt, dass 70 Prozent über kurz oder lang aufgeben. Peter ist Epileptiker, was er bei der Einstellung verschwieg. Irgendwann baute er einen schlimmen Unfall. Fred übernahm aus Liebe 100.000 Dollar Schulden seiner kanadischen Frau. Er ist jetzt wieder in Deutschland – ohne Frau und ohne Geld. Einer war nie in seinem Leben in einem richtigen Fernverkehrs-Lkw gesessen. Seine Frau hatte zwar die Klasse C, aber keinerlei Fahrpraxis. Die beiden machten den Führerschein auf einem Automatiktruck. Niemand hatte ihnen gesagt, dass man damit noch lange keinen Truck mit Fuller-Getriebe fahren kann. Die Ehefrau fand eine andere Möglichkeit: Sie lernte Fuller-Fahren bei einem Kollegen.

Einen Indikator dafür, wer das Zeug zum erfolgreichen Auswanderer hat, gibt es nicht. Es gibt aber Kollegen, die es trotz aller Herausforderungen geschafft haben. Jürgen Hoffmann aus Berlin zum Beispiel. Er kam ohne Geld, sprach kaum Englisch und baute anfangs ziemlich viel Mist. Aber er hat sich durchgebissen, hat seine Familie hergeholt, hat heute ein großes Haus und fühlt sich sehr wohl. Oder Detlef Rüdiger: Sein regulärer Antrag auf Einwanderung wurde drei Mal abgelehnt – heute ist er Owner Operator in Alberta und hat ein Traumhaus in New Brunswick. Oder Rainer: Er fiel auf einen Süßholz raspelnden ungarischstämmigen Anwerber herein und landete auf der Nase. Heute ist er ein zufriedener, erfolgreicher Trucker.

Kanada sucht nur "Long Haul Truck Driver"

Mein Tipp: Auswanderer sollten unbedingt versuchen, bei einer größeren Firma anzuheuern. Kleinfirmen sind genauso wie in Deutschland sehr oft am Rande des Bankrotts, haben schlechtes Material und werden erschreckend schlecht disponiert. Landline ist so ein Krauter. Das Unternehmen befördert Fleisch von Alberta nach New Brunswick und es kann schon mal drei Tage dauern, bis der Auflieger geladen ist.

Übrigens: Man sollte meinen, wenn so viele Deutsche hier sind, halten die zusammen und helfen sich. Das Gegenteil ist aber der Fall. Ständig kommt Neid auf. Resümee: Nur jeder Dritte hat in Kanada Erfolg. Am meisten kann man als Team verdienen, aber auch Junggesellen können zu etwas kommen. Wenn die Ehefrau weder fährt noch sonst ­dazuverdient, ist auch hier das Leben schwer. Und noch was: Kanada sucht nur "Long Haul Truck Driver". Für Jobs, bei denen man jeden Abend zu Hause ist, gibt es genügend einheimische Bewerber. Als Bewerber muss man sich also drauf einstellen, die ersten zwei Jahre bis zur Daueraufenthaltsgenehmigung bis zu sechs Wochen am Stück draußen zu sein. Als Deutscher hat man auch keine Sonderstellung. Vor allem Sikhs aus dem indischen Punjab laufen den Europäern schon längst den Rang ab. Sie sind hochmotiviert.

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