Mercedes-Benz Atego 1530 Neue Mittelklasse von Daimler

Mercedes Atego Foto: Michael Kern 12 Bilder

Daimlers letzter Streich bei der Umstellung auf Euro 6 ist der neue Atego. FERNFAHRER hat sich gleich hinters Lenkrad geklemmt und ist den neuen Mittelklässler ausgiebig gefahren.

Das Lkw-Mittelfeld gilt als vermintes Gelände. Mittelmaß hat hier nichts verloren. Andererseits ist der Markt relativ klein. Nicht einmal halb so groß wie der für schwere Lkw. Die Kunden sind obendrein noch preisbewusster als die der Top-Klasse und halten die Fahrzeuge auch eine kleine Ewigkeit. Da stellte sich bei Daimler drängend die Frage, ob dafür – wie bei den Schweren – wirklich ein komplett neues Fahrzeug ent­wickelt
werden musste.

Die Antwort war ein Nein, das klarer gar nicht hätte sein können. Denn Daimler entschied sich nicht nur dafür, den bestehenden Atego noch einmal umfassend aufzuwerten. Die Manager beschlossen zugleich, das Programm in bemerkenswerter Weise zu straffen: Der Axor, ein Zwitter aus Actros und Atego, hat nun ausgedient.

Axor hat ausgedient

Zur Wahl stehen im Reich der Lkw-Mitte nun nur noch die moderateren Varianten des Actros, der ausschließlich mit den kürzeren Fahrerhäusern erhältliche Antos – oder eben der neue Atego. In einem ganz entscheidenden Punkt machte dieser neue Atego seinen Herrn und Meistern die Umstellung auf Euro 6 viel leichter als der Actros: Er war schon immer auf Reihenmotoren eingeschworen und hat daher seit jeher das dafür passende Fahrerhaus.

Weil die neuen Vier- und Sechszylinder in Euro 6 aber etwas höher ausfallen als die Vorgänger in Euro 5, sitzt das Gehäuse nun doch ein Stück weiter oben als zuvor. In der Kabine hat sich einiges getan, wobei keine Geringeren als die großen Brüder Actros und Antos Pate gestanden haben. Es erinnert wie schon beim Exterieur vieles, aber nicht alles an die beiden.

Actros- und Antos-Gene deutlich zu spüren

Als Vorbild fungierten sie ganz klar beim Multifunktionslenkrad, beim Handbrems­hebel sowie bei den Tapeten. Die Sitzstoffe sind zum Beispiel die gleichen wie bei den großen Brüdern aus der Daimler’schen SFTP-Riege (Strategic Future Truck Program). Auch die aufwendigen Kaltschaum­matratzen hinten im Schlafgemach entsprechen dem, was vom neuen Actros her schon bekannt ist. Die Instrumententafel übernimmt jetzt den Look, aber nicht die Tiefe der Uhren wie im Actros. Die Actros’schen Tuben sind per chromgefasste Bordüre zwar angedeutet, doch sitzen die Uhren auf planem Grund. Auch geht der Gleichschritt mit dem Actros nicht so weit, dass der Atego das asymmetrische Armaturen-Layout der Schweren von Mercedes übernehmen würde.

Da hält er sich lieber aus gutem Grund an den vom Vorgänger her bekannten und mit dem Actros 2 erstmals ­eingeführten symmetrischen Grundriss mit einer eleganten Ausbuchtung in der Mitte. Zusammen mit dem sehr hohen Motortunnel würde das auf der Beifahrerseite auch kaum funktionieren. Und die Trennung in Wohn- und Arbeitswelt ist beim Atego generell weniger ein Thema.

So kommt es, dass er innen zwar zweifarbig wie der neue Actros auftritt, die Verteilung der Farben aber anders funktioniert. Da ist der Himmel hell und nicht die Beifahrerseite, die Ton in Ton mit der Fahrerkanzel durchgängig dunkel gehalten ist. Was nicht nur den Vorteil hat, dass Schmutz weniger aufträgt: Dieser optische Kunstgriff vermittelt dem Auge darüber hinaus auch einen besonders geräumigen Eindruck.

Kabine mit geräumigen 6,9 Kubikmetern

Tatsächlich geizt die Hochdachaus­führung des Mittelklässlers keineswegs mit Volumen, sie erlaubt gut 1,9 Meter Stehhöhe vor den Sitzen. Das ist immerhin eine Handbreit mehr als beim neuen Actros in Streamspace-Ausführung. Insgesamt bietet der Hochdach-Atego 6,9 Kubikmeter umbauten Raum an: Gerade mal sieben Prozent weniger als beim Actros mit schmaler Streamline-Kabine und Motortunnel.

Auch beim Stauraumangebot steht der Hochdach-Atego nicht schlecht da –  unanhängig davon, dass es an einem von außen zugänglichen Fach mangelt. Mit 370 Liter geschlossenem Stauraum kommt zumindest das Nötigste für die eine oder andere Nacht in der Ferne unter Dach und Fach.

Im Fokus steht bei der Mittelklasse aber nun einmal das häufige Ein- und Aussteigen. Somit bleibt es auch für den neuen Atego beim typischen und bewährten Konzept des besonders niedrigen Zugangs, der auf einem vorn gekröpften Rahmen basiert. Wahrscheinlich wäre ohnehin nichts damit gewonnen gewesen, die schmale Actros-Kabine dort sozusagen mit Gewalt aufzupropfen. So lässt Mercedes den Atego in dieser Hinsicht lieber als Solitär weiterlaufen, als die Modulverwandtschaft zu weit zu treiben. Sie kommt ja schließlich beim Interieur ausgiebig zu ihrem Recht.

Exterieur: Form folgt der Funktion

Um gewisse Änderungen an der äußeren Gestalt des Atego kamen die Entwickler dennoch nicht herum. Denn bei der Neumodellierung seines Gesichts kam es nicht nur darauf an, das Design auf hinreichende Ähnlichkeit mit dem neuen Actros zu trimmen. Denn obwohl Mercedes für die mittleren Motoren in Euro 6 sogar schon einen günstigeren Basisverbrauch (rund zwei Prozent) im Vergleich zu den Vorgängern reklamiert, bekam der neue Atego fast das volle Programm an zusätzlichen durstzügelnden Maßnahmen. Die Mittel sind überall die Gleichen: optimierte Aerodynamik und automatisierte Getriebe (optional mit vorausschauendem Tempomaten), wie sie der Atego nun serienmäßig mit auf den Weg bekommt.

Form und Funktion reichen sich beim neuen Atego entsprechend intensiv die Hand. Die neue Eckbeplankung arbeitet zum Beispiel mit jenen weiten Radien, die der Aerodynamik zugutekommen. Die untere Kante des Stoßfängers steht ebenfalls ganz im Zeichen der Optimierung des Luftstroms.

Äußerliche Ähnlichkeit zum neuen ­Actros stellen außerdem markante Elemente wie beispielsweise der gepfeilte Kühlergrill samt dem typischen Lochgitter dahinter sowie das trapezförmige Mittelteil im Stoßfänger her. Aus der Ferne sendet sogar der dank Euro 6 soeben ver­flossene Axor noch einen kleinen Gruß: Die neue Tür des Atego ­orientiert sich mit ihren prägnanten Sicken und dem integrierten Bügelgriff exakt an seinem Vorbild.

Diesel- und Adblue-Verbrauch sinken

Den Zündschlüssel gedreht (einen Start-Stopp-Knopf wie im Actros gibt es nicht), zeigt sich schnell, was für ein Pfund der ­Atego in Euro 6 mit den neuen Motoren unterm Blech der Kabine stecken hat. Common-Rail-Einspritzung, vier Ventile pro Zylinder sowie doppelte oben liegende Nockenwellen sind die Charakteristika der neuen Antriebe, die außer mit SCR-Katalysator nun noch mit Abgasrückführung ausgestattet sind. ­Damit soll nicht nur der Grundverbrauch um zwei Prozent, sondern auch der Adblue-Konsum gleich einmal um die Hälfte sinken.

Selbst wenn die Nennleistung nicht in allen Fällen gestiegen ist, haben die Maschinen doch durch die Bank an Drehmoment zugelegt. Sie sind also noch durchzugs­stärker als zuvor. Im Verein mit der auto­matisierten Schaltung (Powershift 3) gestaltet sich das Thema „Vortrieb“ für den Fahrer denkbar einfach: Gas geben und Lenken ist alles, was zu tun bleibt. Genau 299 PS liefert der potenteste der neuen Sechszylinder bei Nenndrehzahl: Damit sind 15 Tonnen Gesamtgewicht sportlich motorisiert und die Laufkultur des Sechszylinders ist bemerkenswert. Der Vierzylinder wiederum dürfte sich davon gern eine Scheibe abschneiden: Er hat einen Hang zu Vibrationen und könnte noch etwas Schliff vertragen.

Motorbremse hat deutlich zugelegt

Geht’s ums Verzögern, packt die neue Motorbremse ungewöhnlich kräftig zu. Auf 75 Prozent mehr Power als in den Vorgängermotoren beziffert Mercedes die Kapazität der doppelt getakteten Dekompressionsanlage, die in der Wald-und-Wiesen-Ausführung beim Vierzylinder 170 Brems-PS (145 kW) erreicht, beim Sechszylinder 320 PS (235 kW).
In der sogenannten Premiumvariante, die zudem einen Turbolader bemüht, um es dem Kolben bei seiner Fahrt zum oberen Totpunkt besonders schwer zu machen, stehen dem Vierzylinder gar 231 PS (170 kW) und dem Sechszylinder 408 PS (300 kW) als ­Bremsleistung zur Verfügung. Das ist ein Haufen Holz für die doch eher bescheidenen Gesamtgewichte des Atego. Der eine oder ­andere Ruckler bleibt damit bei radikalem Agieren nicht aus.

Der Schaltkomfort von Powershift 3 wiederum lässt keine Wünsche offen. Gekonnt nimmt die Automatik zum Beispiel beim ­neuen Klauengetriebe G 140-8 die Motorbremse zur Hilfe, um die Drehzahl des ­Motors an die des Getriebes anzupassen, wenn’s ums ­Raufschalten geht.

Bei den kleineren Getrieben beließ Mercedes allerdings die Synchronisierung in der Schaltbox: Die Entwicklung einer ganzen neuen Aggregatfamilie – wie bei den Schweren schon längst in die Tat umgesetzt – gab das Budget wohl nicht her.

Neuigkeiten bei Lenkung und Fahrwerk

Ganz neu sind beim Atego in Euro 6 aber sehr wohl die Lenkung und die Anbindung der Hinterachse. In Kombination mit der frisch abgestimmten Vorderachse arbeitet die neue Kugelumlauflenkung vorzüglich: Selbst schwere Schläge dringen kaum bis ins Volant durch. Dennoch arbeitet die Lenkung mit hoher Präzision und schön direkt.

Für die Hinterachse gilt: Eine neue, ­tiefere Anordnung der Anlenkpunkte für die Federn soll das sogenannte Rolluntersteuern in engen Grenzen halten. Damit meinen die Techniker ein Drängen der Hinterachse zum Kurvenäußeren hin. Das Fahrerhaus selbst ruht nun serienmäßig auf einer früher nur optional erhält­lichen Vierpunktlagerung. Die hält dem Fahrer zuverlässig die meiste Unbill vom Leib, die Vorder- sowie Hinterachse vielleicht doch nicht schlucken.

So bleibt als Fazit, dass der neue Atego natürlich kein von Grund auf neues Fahrzeug wie der dreiköpfige Kader aus Actros, Arocs und Antos ist. In das von ihnen neu ge­prägte neue Bild der Marke fügt er sich aber prima ein, ohne darüber seine ureigenen Qualitäten zu vergessen. Dass er den bekannten Vor­zügen noch eine ganze Reihe neuer Finessen hinzufügt, macht ihn zu einem Mittelklässler von ganz besonderem Format: eher goldene Mitte als Mittelmaß.

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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
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