Markteinführung neuer Scania Das Versprechen

Foto: Jan Bergrath 11 Bilder

Mit großem Aufwand führt Scania die neue Generation seiner Lkw ein. Erste Probefahrten mit Vorserienfahrzeugen in Schweden konnten überzeugen. Mich jedenfalls.

Schwerpunkt meiner Berichterstattung sind eigentlich die Arbeitsbedingungen der Fahrer in sozialer und juristischer Hinsicht. Über die Jahre habe ich den weitreichenden Bereich Test und Technik meinen spezialisierten Kollegen wie etwa Michael Kern überlassen, der nun Ende August ebenfalls der Einladung von Scania zu ersten Probefahrten an den Stammsitz des schwedischen Herstellers nach Södertälje bei Stockholm gefolgt ist. Ihm will ich hier erst gar nicht in seine Arbeit hineinschreiben.

Kern wird sich also in den nächsten Ausgaben von trans aktuell, lastauto omnibus und FERNFAHRER intensiv der neuen Generation von Scania widmen. Genauer gesagt, der neuen S-und R-Baureihe für den Fernverkehr, die jetzt als erste auf den Markt kommt. Er kann auch sehr viel besser als ich beurteilen, ob eine Vorgelegewellenbremse im Getriebe tatsächlich die Schaltzeiten desselben reduziert, und ob der neue Scania mit seinem in vielen Teilen optimierten Triebstrang gegenüber dem Vorgängermodell den Kraftstoffverbrauch wirklich um fünf Prozent senken kann und welchen Anteil die verbesserte Aerodynamik des Fahrerhauses dabei spielt. Bis dahin ist das alles ein Versprechen.

Beeindruckende Präsentation

Das letzte Mal war ich 2004 auf Einladung von Scania in Schweden, die Markteinführung der R-Baureihe, die wiederum die 4er-Serie abgelöst hatte, stand bevor. Es war jener Nachmittag, wo wiederum eine Schar internationaler Fachjournalisten auf einer Bootstour durch den Hafen von Stockholm geschaukelt wurde und dann in der Ferne in einem alten Industriebau der neue Scania zu sehen war. Toll beleuchtet, soweit ich mich erinnere, aber schier unbegreiflich für uns, denn das Boot drehte einfach wieder ab – und wir mussten eine ganze Nacht unter Zufuhr alkoholischer Getränke warten, bis wir das edle Blech tatsächlich berühren und die Lkw auch fahren durften. Daraus hat Scania gelernt.

Demofahrzeuge zuerst

Nach einer beeindruckenden Präsentation vor 1.200 geladenen wichtigen Gästen in Paris und einer Live-Übertragung spielt die Abteilung Marketing im 125sten Jahr der Marke Scania wieder einmal gekonnt auf der Klaviatur der häppchenweisen Erweckung von Begehrlichkeiten. Insbesondere der vieler deutscher Transportunternehmer, die baldmöglichst ihre eigene Flotte um die ersten Modelle der neuen Serie erweitern wollen. Doch das wird noch etwas dauern. Zuerst wird das eigene Händlernetz im Herbst mit Demo-Fahrzeugen bestückt, zwar startet der Verkauf auf der kommenden IAA, aber die ersten Auslieferungen für die Fernverkehrsfahrzeuge an glückliche Kunden sind frühestens für Ende des Jahres vorgesehen.

Rund 1.400 deutsche Unternehmer geladen

Doch es vergeht, nach den ersten Pressmeldungen, immer noch eine geraume Zeit, bis Scania vom 22. bis 29. September auf der IAA Nutzfahrzeuge vier Fahrzeuge der neuen Generation einer breiteren Öffentlichkeit zeigt und auch die interessierten Fahrer zu Probefahrten auf dem Messegelände einlädt. (Achtung: Vorbestellungen sind zwecklos, wer morgens ab neun Uhr am Scania-Stand ist, hat die größte Chance auf eine kleine Runde). Deswegen lädt Scania-Deutschland Chef Alexander Vlaskamp unter mehreren Tausend Gästen, die nach Schweden fliegen dürfen, in den nächsten Wochen auch rund 1.400 über die Händler wohl ausgesuchte Transportunternehmer nach Schweden ein. Er ist fest davon überzeugt, dass der Marktanteil von derzeit zwölf Prozent in Deutschland mit dem neuen Fahrzeug- und Servicekonzept nicht nur gehalten werden kann, wenn sich die hohen Erwartungen der Kunden erfüllen. Und diese bekommen in Schweden zunächst einmal eine sehr gute Show zu sehen, deren künstlerischer Höhepunkt sogar einen Hauch des diesjährigen European Song Contests aus Stockholm in die Waldlandschaft weht.

Interessante Führungen und Lkw zum Anfassen

Die Markus-Wallenberg-Halle bietet eine beeindruckende Führung durch die Welt der Logistik Heute und Morgen, bei dem natürlich Scania ein Teil der komplexen logistischen Kette ist, einzelne Stationen zeigen durch eine iPad-Führung besondere Lösungen etwa für spezielle Transportsegmente wie Gefahrgut- oder Volumentransport auf. Extra für die etwa drei Jahre dauernde Markteinführung aller Typen hat Scania am kleinen werkseigenen See noch eine provisorische Ausstellungshalle errichten lassen. Dort stehen einige Exponate zum Anfassen, eingebettet in verschiedene Themenbereiche wie Triebstrang und Kabine, Experten aus den verschiedenen Entwicklungs- und Produktionsabteilungen stehen geben gerne präzise Antworten auf alle Fragen.

Gespräch mit dem Chefdesigner

So etwa Chefdesigner Kristofer Hansén, der mit seinen 35 Mitarbeitern rund zehn Jahre an der Entwicklung des Fahrerhauses innen und außen gearbeitet hat. Die neue Optik, die derzeit unter Fahrern in den verschiedenen Foren kontrovers diskutiert wird, verfolgt einerseits die bekannte Line des Scania-Gesichts weiter, ist aber vor allem, so sagt er, maßgeblich für eine deutlich verbesserte Aerodynamik. Selbst Bauteile wie die Rückspiegel und die verschiedenen Scheinwerfer wurden dementsprechend konzipiert. Die branchenübliche Sonnenblende, ein heftiger Diskussionspunkt unter Fahrern, gehört bei Scania daher nicht zur Serienausstattung. Auch Zusatzausrüstungen wie Windabweiser und Seitenschürzen wurden sorgfältig in das Gesamtdesign integriert. Mit Interesse hat Hansén bereits die ersten Photoshop-Entwürfe von Scania-Fans gesehen, was man mit Zubehör und Farbegestaltung aus dem Grundkonzept am Ende machen kann.

Mehr Platz für große Fahrer

Als ich in den 80er Jahren selber mit dem Lkw quer durch Europa fuhr, hörte der Scania noch auf die Bezeichnungen 111 oder 141 und war ein recht grober Klotz. Mit meinen 2,04 Metern hatte ich vor allem Probleme, wohin ich mit den Knien sollte. Sie stießen praktisch bei jedem manuellen Schaltvorgang irgendwo an. Als ich nun am zweiten Tag der Reise endlich in eins der neuen Modelle steigen durfte, war ich höchst erfreut. Nicht nur hat die S-Reihe einen komplett flachen Boden, sodass ich im Stand immer noch drei Zentimeter Luft bis zur Decke habe. Auch im Sitzen stoße ich nirgendwo mehr an, denn Scania hat im selben Rauminhalt etwas mehr Platz für große Fahrer geschaffen.

Denn bei allen neuen Fahrerhäusern wurde die Fahrerposition um 65 Millimeter nach vorne und um 20 Millimeter nach außen versetzt. Einige Bedienelemente wie etwa für das Licht wurden in die Tür verlegt, die gesamte Instrumententafel ist nicht nur schmaler sondern auch etwas abgesenkt. Der erste Fahreindruck ist überzeugend: Die Sicht ist großartig vor allem dank einer größeren Scheibe und optimierten A-Säulen. Auch die Rückspiegel spielen eine wichtige Rolle. Was laut Chefdesigner Hansén zählt ist nicht nur die beste Sicht mithilfe der Spiegel sondern auch eine möglichst geringe Sichtbehinderung durch die Spiegel. Das kann ich bestätigen. Zum Schlafen gekommen bin ich in der kurzen Zeit der Probefahrten nicht, aber ich kann die Frage einiger Fahrer nach dem Bett wie folgt beantworten: Es gibt jetzt drei Varianten der Matratzen, darunter eine mit Federkern, es ist unten insgesamt 80 Zentimeter breit, in der Mitte sogar 100 Zentimeter, und auch die obere Liege ist auf Wunsch weiterhin möglich – sonst ist dort eine bereite Reihe von Staufächern.

Imposantes Fahrerlebnis

Gut, ich gebe zu, wenn ich schon einmal in Schweden bin, dann suche ich mir aus den 16 Lastzugkombinationen nicht den herkömmlichen Sattelzug aus. Die Versuchung, mit 730 PS aus einem V 8 Motor,  25 Metern Länge und 60 Tonnen Gesamtgewicht 40 Minuten durch die grüne schwedische Seenlandschaft mit seinen engen hügeligen Landstraßen zu fahren, ist bei so einem Event und maximal drei Testfahrten, die möglich sind, einfach zu groß. Vom Gewicht ist nichts zu spüren, Opticruise arbeitet wirklich optimal. Dieselbe Kombination mit einem 500 PS Motor aus einem Reihensechszylinder hat da schon mehr zu kämpfen. Für den deutschen Güterverkehr mit seinen 40 Tonnen bleibt da bei den hierzulande eher eingesetzten 400 bis 500 PS noch sehr viel Luft nach oben.
Am Rande bemerkt: Die drei Probefahrten haben mir nebenbei einmal mehr vor Augen geführt, welche hinterwäldlerischen Diskussionen die Gegner des Lang-Lkw in Deutschland ins Feld führen, um diesen weiter zu verhindern. Okay, man muss ein wenig mehr nach hinten aufpassen und gelegentlich etwas weiter ausholen beim Abbiegen. Aber sonst gibt es für einen guten Fahrer, der seinen Lkw beherrscht, keinen Grund, nicht am fließenden Verkehr teilzunehmen, ohne dass vorne und hinten die Polizei die Straße absperrt.

Stärkere Bremse

Auch die Leistung des Bremssystems wurde verbessert, sodass, wie mir Tomas Östlung aus dieser Abteilung der Produktion versicherte, auch der aktivierte Notbremsassistent mit fünf Prozent mehr Leistung eingreift und den Lastzug, etwa am Stauende, auf trockener Fahrbahn wieder ein Stück vorher zum Stehen bringt. Lobenswert hier vor allem die Tatsache, dass der Fahrer, wenn er aus seiner Schläfrigkeit aufwacht und reflexartig selber bremst, den Vorgang der Notbremsung dadurch nicht abbricht sondern, wenn die manuelle Bremse nicht ausreicht, sogar härter bremst. Allerdings hat auch Scania noch keine technische Lösung gefunden, wie der Unternehmer über die Bordelektronik und Telematik kontrollieren kann, ob der Fahrer das System auch nutzt – oder bewusst deaktiviert. Ob der neue Seitenairbag wirklich funktioniert, durfte ich auf Bitte des besorgten Begleiters unterwegs nicht testen.

Modernisierte Instrumententafel

Notiert habe ich mir als ersten Eindruck weiterhin eine wunderbare Straßenlage, ein kaum zu hörendes Außengeräusch, was auf die verstärkte Dämmung der Kabine zurückzuführen ist, und eine weiter perfektionierte Bedienung über die verschiedenen Funktionen des Lenkrads, das im Übrigen zum Bauch hin nun gerade ist, was aber nicht etwa dicke Fahrer konzipiert wurde, sondern das Ein- und Aussteigen erleichtert. Die gesamte Instrumententafel ist nun wieder ein Stück moderner geworden, die Klimasteuerung lässt sich hier bedienen, inklusive einer verbesserten optionalen Standklimaanlage, die wiederum aerodynamisch günstig, außen aber innerhalb der Kabine versteckt wurde.
So bleibt als erstes Fazit. Ein gelungenes Fahrzeugkonzept mit einem mutigen Design, das schon jetzt zu Diskussionen führt, die aber verblassen werden, sobald die ersten deutschen Fahrer mit ihren individuell lackierten Lastzügen hierzulande unterwegs sind. Versprochen.

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