Geschichte von Volvo Revolution des Lkw-Programms

Fahrzeuge-Lkw-Programm mit Volvo Foto: Volvo Trucks 10 Bilder

Vor genau 50 Jahren stellte Volvo mit System 8 beim Lkw die Weichen, um das zu werden, was die Marke heute ist: eine der ganz Großen.

Die Ziffer "8" hat‘s in sich. Bei den Chinesen gilt sie als Glückszahl, im Christentum als heilig. Volvo griff also hoch, als der Konzern unter dem Schlagwort "System 8" in den 60er-Jahren eine umfassende Renovierung des Lkw-Programms in Angriff nahm. Und griff zumindest bei der Typenbezeichnung für das neue Flaggschiff des Konzerns denn auch in die Vollen: Zweimal die besagte Ziffer "8" bildete das Kürzel für den jüngsten Spross, der als F88 in Frontlenkerausführung, als N88 in traditioneller Haubenausführung die Bühne anno 1965 betrat.

Der Konzern hatte solch einen Befreiungsschlag bitter nötig. Die Reihen waren allesamt in die Jahre gekommen, die Verkäufe litten unter Schwindsucht. Und die Zahlen hatten begonnen, eine ungesund rote Färbung anzunehmen. Das Dilemma war: Die heimischen Märkte hoch im Norden gaben nicht die Stückzahlen her, die mehr und mehr nötig wurden, um konkurrenzfähig zu bleiben. So kommt es auch nicht von ungefähr, dass Volvo sich just zu Beginn der 60er-Jahre eben auf die Suche nach einem Produktionsstandort innerhalb der EWG begab, die satte Einfuhrzölle auf alles erhob, was von draußen hereinkam. Fündig wurden die Schweden schließlich im belgischen Gent, wo ab dem Jahr 1963 auch Lkw vom Band rollten.

Selbst für die Amis zu prätentiös

Erschwerend kam hinzu, dass kurz zuvor der Sprung über den großen Teich mehr oder weniger mit einer Bruchlandung endete: Für den rauen amerikanischen Transportalltag war selbst die nicht mehr taufrische Technik der Lkw, mit der es Volvo ab 1958 in den USA probierte, seinerzeit denn doch zu überzüchtet und anfällig. Die technischen Probleme in den USA wuchsen den Schweden schnell über den Kopf, sodass deren erste Attacke auf den nordamerikanischen Markt nur als kurze Episode in die Annalen des Konzerns einging.

Und was einerseits für die USA zu prätentiös war, konnte in Europa andererseits auch nicht bestehen, da für den Geschmack der Alten Welt eben doch zu angestaubt. Forderungen wie die nach acht PS pro Tonne begannen in den 60er-Jahren zu kursieren. Und die Konkurrenz war alles andere als faul. Kurzum: Mit Modellen wie dem Volvo Titan aus den frühen Sechzigern war nicht mehr viel Staat zu machen.
Offiziell zwar gerade mal erst ein Jahrzehnt alt (1951 vorgestellt), schleppte der unter seinem Blechkleid doch einiges an altem Geraffel mit, das noch auf den LV290 zurückging, mit dem Volvo die Jahre 1937 bis 1951 bestritten hatte. ­

Davonschwimmende Felle in Europa, zudem das kleine US-Trauma in den Knochen: Jetzt ging‘s um die Wurst. Und so krempelten die Schweden die Ärmel so weit hoch, wie sie nur konnten, und riefen einen sogenannten "Master Plan" ins Leben, der der Marke neues Leben einhauchen sollte. Dieser Codename stand für das, was intern unter dem Schlagwort "System 80" die Runde machte und extern griffig als "System 8" angepriesen wurde. Damit waren die Zeichen zum Aufbruch gesetzt.

Erhöhtes Dach für die Hauber

Die Ziffer "8" hatte dabei zweierlei Funktion: Zum einen bildete sie den gemeinsamen Nenner für alle neuen Reihen von den kleinen F82 bis hin zum neuen Flaggschiff namens F88 und N88. Zum anderen stand sie für jene acht Komponentengruppen, die Volvo bei der Modernisierung des Programms gezielt ins Visier genommen hatte. Für den Triebstrang bedeutete das neue Motoren, Getriebe sowie Hinterachsen. Beim Chassis renovierte Volvo den Rahmen, die Bremsen, die Lenkung sowie die Radaufhängung. Und auch bei den Fahrerhäusern tat sich einiges, wenn auch nicht ganz so viel wie bei den anderen Baugruppen. Für den neuen F88 nahmen die Schweden zum Beispiel mehr oder weniger das zur Hand, was sie zuvor schon als US-Front­lenker konzipiert und dann schließlich als Titan-Tiptop-Frontlenker fürs europäische Pflaster gebracht und verfeinert hatten. Bei den Haubern hielt ein erhöhtes Dach Einzug.

Während beim Fahrerhaus ein paar gekonnte Retuschen genügen mussten, blieb unterm Blech – zumindest bei den Schweren – kaum ein Stein auf dem anderen. Der größte Wurf gelang Volvo dabei sicherlich mit den neuen Motoren und Getrieben. Zwar blieb es bei 9,6 Liter Hubraum für den neuen TD100 mit nun 260 statt 230 PS wie beim vorigen TD96C. Doch bekam die Maschine Einzelzylinder­köpfe, ein neues Nebenabtriebskonzept und einen vollkommen neuen Motorblock, der für besonders hohe Beanspruchung ausgelegt war.
Als daran angeflanschtes Zahnwerk brachte Volvo ein vollkommen neu entwickeltes und durchweg synchronisiertes Achtgang-Range­getriebe mit besonders hoher Spreizung, das seinerzeit Maßstäbe setzte und bald eine Vielzahl an Nachahmern fand. Bei den Hinterachsen fuhr Volvo zweigleisig: Diese in eigener Regie entwickelten Achsen gab es sowohl als neue Außenplanetenachsen als auch in klassischer Bauart mit großem Mitteldifferenzial und ohne zusätzliche Übersetzung in den Naben.
Zudem hatte Volvo den Rahmen stärker ausgelegt, die in den späten Fünzigern erstmals eingeführten Druckluftbremsen auf Vordermann gebracht, die Lenkung verfeinert und die Achsen mit progressiver Federung bestückt: Das konnte sich sehen lassen. Zumal der Einführung ungewöhnlich harte Feldtests vorausgingen. "Ich hatte um 72 Prozent überladen", erinnert sich Speditionsfahrer Alf Gustavsson an eine Polizeikontrolle während einer dieser Fahrten. Gustavsson weiter: "Ich konnte aber den Führerschein behalten und kam mit einem Bußgeld davon."

Die Leistung reichte von 185 bis 210 PS

Auch wenn der F88 seinen Weg machte und den Grundstein dafür legte, dass Volvo heute vor allem in der schweren Klasse stark ist: Seinerzeit beruhte der Erfolg der Marke eher auf den Modellen F86 sowie N86, die eine Nummer kleiner daherkamen. Schon seit den frühen 50er-Jahren hatte sich Volvo mit mittelschweren Modellen wie den Rundnasen der Reihe L245 oder dem Frontlenker Viking einen Namen gemacht. Als F86 und N86 weitergeführt und nur kurze Zeit später als die neuen 86er präsentiert, kamen auch sie mit neuen Motoren. Ebenso wie der neue 9,6-Liter-Reihensechszylinder griffen diese 6,7-Liter-Maschinen auf den gleichen Hubraum wie ihre Vorgänger zurück, waren aber belastbarer konzipiert. Die Leistung reichte von 185 bis 210 PS. Als Getriebe bekamen die 86er-­Volvo die neu konzipierte Schaltbox R50: mit acht synchronisierten Gängen und Rangeschaltung eine kleinere Ausgabe des großen R60-Getriebes.

Auch sonst marschierte die 86er-Reihe weitgehend im Gleichschritt mit den großen Brüdern und markierte damit nebenbei den Beginn einer Art Baukastensystems bei Volvo. Insgesamt in allen Komponenten nahezu so robust konzipiert wie die Schweren, handelte es sich bei diesen Mittelklässlern tendenziell eher um abgelastete Schwere mit eben einem moderateren Triebstrang. Und genau das machte sie nicht nur in Skandinavien, sondern auch darüber hinaus – von Großbritannien bis nach Australien – zu ­einem echten Bestseller.

Noch eine Nummer kleiner traten im Rahmen des System 8 dann die Reihen F84 und N84 als Nachfolger der Modelle L475 Raske sowie L4751 Raske Tiptop an. Bei ihnen beschränkten sich die Neuerungen allerdings auf einen komplett neuen Motor: die D50 genannte und im Hubraum auf 5,1 Liter vergrößerte Maschine mit 107 bis 165 PS. Das Fahrerhaus blieb nahezu unangetastet wie auch der Rest des Triebstrangs inklusive der Schaltachse, der die größeren Brüder schon Adieu gesagt hatten. Weiterhin mit dem alten Fünfgang-Getriebe bestückt, blieb den 84ern gar keine andere Wahl.

Vollends leer gingen dann die Benjamins unter den Lkw von Volvo beim System 8 aus. Sie bekamen zwar neue Typenbezeichnungen, glichen ihren Vorgängern L4251 Snabbe Diesel sowie L4351 Trygge Diesel ansonsten aber wie ein Ei dem anderen. Bei der Modellpflege der System-8-Modelle verfuhr Volvo mit Maß und Ziel. Die Reihen 84 und 85 bekamen 1973 ein neues Interieur, nachdem die Hauber schon 1972 aussortiert worden waren. Bei den Modellen der 86er-Linie kamen im Lauf der Jahre eine Variante mit dem besonders schadstoffarmen Motor ZD70D sowie ebenfalls 1973 eine neue Tapezierung des Innenraums sowie drei Jahre später das kleine Bonbon einer Dachluke.

Die F Reihe blühte förmlich auf

Etwas größere Schritte gönnte Volvo den Schweren. Die Flaggschiffe mit der doppelten Acht in der Modellbezeichnung fuhren speziell in Großbritannien bald mit einem extrastarken, da 290 PS leistenden, 9,7-Liter-Motor vor. Per Splitgruppe avancierte das R60-Getriebe dann 1969 zu Europas erstem 16-Gang-Getriebe für Lkw. Ebenfalls 1969 bekam der F88 endlich zuverlässige Scheibenwischer und vier Jahre später – also 1973, wie alle anderen der Achterbande zur Amsterdam Motor Show – ­eine neue Inneneinrichtung. Da stand dem F88 aber schon längst der 1970 eingeführte G88 zur Seite, der dank vorgezogener Vorderachse etwas mehr Nutzlast zu bieten hatte als der F88 und der nun auch mit kurzer Kabine zu haben war. Beim Hauber N88 ergänzte Volvo die Auswahl bei den ­Getrieben derweil um eine Variante mit Drehmomentwandler, die vor allem für den Bau sowie Schwertransport gedacht war. Im Jahr 1970 tauchte dann auch als weit in die Zukunft ­weisendes Modell der neue F89 auf, der es wiederum unter dem Blech in sich hatte: 330  PS aus einem neuen Motor mit zwölf Liter Hubraum waren damals ein Haufen Holz.

Trotz roter Zahlen Lkw-Geschäft weitergeführt

Aber: Obwohl der Konzern vor allem mit F88 und F86 die Tür nicht nur zum europäischen, sondern auch zum australischen Markt aufgestoßen hatte, blieb Volvo von weiteren Turbulenzen im Verlauf der 60er-Jahre nicht verschont. Gewisse Kinderkrankheiten machten ebenso zu schaffen wie der Aufbau einer Verkaufs- und Serviceorganisation für den mittlerweile beträchtlich gewachsenen geografischen Radius der Marke. Zeitweise standen gar Überlegungen im Raum, die Finger ganz vom Lkw-Bau zu lassen und sich auf Pkw zu konzentrieren. Das Management entschied sich jedoch am Ende trotz roter Zahlen dafür, das Lastwagengeschäft weiterzuführen, und gründete 1969 die separate Sparte Volvo Truck Division. Boss Pehr Gyllenhammar gab für die 70er-Jahre folgende Losung aus: "Innerhalb von fünf Jahren muss das komplette Produktprogramm erneuert werden." Tatsächlich krempelte Volvo zwischen 1973 und 1978 sämtliche Reihen noch einmal um und präsentierte mit Modellen wie dem neuen F10 und F12 dann eine Reihe, die mit Fug und Recht als großer Klassiker der Moderne gelten kann.

Nase vorn
Der Buchstabe "N" steht bei Volvo traditionell für den Hauber, dem der Konzern die Stange länger hielt als mancher andere. Und da dessen Fahrerhaus im Zuge all der Neuerungen für das System 8 etwas zu kurz gekommen war, durfte der Hauber in den 70er-Jahren vorangehen. Die Typen N7, N10 und N12 bildeten also den Auftakt für die neue Volvo-Produktoffensive ab 1973: Im Ganzen kippbare Hauben aus Glasfaser waren nur eine der vielen Neuerungen, die die modernen Volvo-Hauber kennzeichneten. Erstmals brachte Volvo in den Haubern zum Beispiel auch das extrem robuste Doppel-Hinterachsaggregat T-Ride, von dem man nicht nur in unwirtlichen Gegenden wie dem Nahen Osten auf Anhieb begeistert war.

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