Lkw-Fahren in Nepal Dach der Welt

Lkw-Fahren in Nepal, Superstar Foto: Michael Kern 17 Bilder

Haarsträubende Pisten, grandiose Bergkulisse und Lastwagen von äußerst rustikaler Art: Lkw-Fahren in Nepal bedeutet Abenteuer pur.

Zwölf Stunden Fahrt für knapp 200 Kilometer Distanz: Das gilt als Faustregel für die Strecke Kathmandu–Jiri. Aber nur an einem guten Tag. Und dafür muss einiges zusammenkommen. Fahrer Pasang Bahadur versteht darunter, dass "sowohl die Reifen als auch das Hinterachsdifferenzial klaglos mitspielen". Es sollte auch weder ein Erdrutsch die Straße versperren noch ein Sturzbach die Piste weggespült haben. "Beides", sagt der 26-Jährige, "kommt nur zu oft vor. Dann heißt es warten, warten, warten – endlos."
Kommt aber solch geballte Reibungs­losigkeit zusammen, steht einem rundum gelungenen Tag nichts mehr im Wege. Auf einen solchen kann Pasang Bahadur heute nach dem Ansteuern der Abladestelle im Gebirgsflecken Jiri zurückblicken: Sonnenschein wie aus dem Bilderbuch den größten Teil des Wegs. Keine Scherereien mit den blaugewandeten Polizisten an den Checkpoints. Und nach getaner Arbeit, beim Zocken im Gasthaus auch noch Glück im Spiel. Den größten Batzen eingestrichen. Zum Wohl: darauf noch einen Rakshi. So lautet der Name des lokalen, aus Reis oder Hirse gewonnenen Schnapses in Nepal. Der schmeckt sehr scharf und er wirkt stark.

In Jiri endet der befahrbare Teil des Landes endgültig

Pasang hat ihn sich redlich verdient. Spätestens um fünf Uhr in der Früh musste er im staubigen Kathmandu starten. Und hatte keine leichte Aufgabe vor sich, weil es in den Osten des Landes ging und der Bestimmungsort Jiri hieß. Nur so viel sei gesagt: Dort endet der befahrbare Teil des Landes endgültig. Na ja, nicht ganz: Traktoren schaffen es noch ein paar Kilometer weiter.

In Jiri hört zwar die Straße auf, nicht aber der Transport. Der verlagert sich nur:  auf den Rücken der Träger, welche die Fracht tief ins Gebirge hinein weiterschaffen. Jiri am Ende der Straße ist keinesfalls das Ende der Zivilisation, vielmehr das Tor zum Land der Sherpas: dem Gebiet der hohen Berge um den Mount Everest. Der lockt pro Jahr mehr als 30.000 Touristen aus aller Welt an. Und die wollen allesamt gut verpflegt werden. Das gilt auch für die gut 6.000 Einheimischen vom Volk der Sherpas, die dieser Tourismus zu reichen Leuten gemacht hat.

So kommt es nicht von ungefähr, dass Pasang vor allem Lebensmittel nach Jiri gebracht hat: Reis, Zucker, Salz und Mehl. In sechs bis acht Tagesmärschen ist das gelobte Land der Bergsteiger von hier aus zu erreichen. Warum dorthin Träger und nicht Tragtiere unterwegs sind, hat zwei einfache Gründe: Die Brücken sind zu wacklig und heikel für Vierbeiner. Und der Zweibeiner ist eh nicht allzu teuer. Für umgerechnet drei bis vier Euro pro Tag schleppt er die Last an den Fuß des Everest. Pro Nase ein Zentner ist bei diesem Geschäft das Minimum. Gemessen an der Kaufkraft ist die Bezahlung gar nicht so schlecht: Eine ordentliche Mahlzeit gibt es schließlich schon für umgerechnet gerade mal 50 Cent.

Lkw-Fahrer in Nepal müssen weder auf- noch abladen

Mit einem Lohn von 10.000 Rupien im Monat bei einer Sechs- bis Siebentagewoche verdient Pasang pro Tag zwar auch nicht wesentlich mehr als die schwer schuftenden Träger. Unterm Strich hat er es aber viel komfortabler, ist weniger saisonabhängig und hat rund ums Jahr zu tun. Ihn plagen obendrein weder die barbarische Kälte, die winters in den Höhen herrscht, noch der sommerliche Monsun-Dauerregen, der für die Träger obendrein eine besondere Tücke bereithält: Am Wegesrand lauern Scharen von Blutegeln auf Menschenopfer.

Lkw-Fahrer in Nepal müssen weder auf- noch abladen. Das erledigt noch nicht einmal der "Boy", der ihm als Adjutant zur Seite steht und so in den Beruf des Fahrers hineinwächst. "Der ist für Dinge wie Wagenpflege oder Auf- und Abplanen zuständig", sagt Pasang. Beim Rangieren fungiert der "Helper" zudem als Einweiser, den es auch braucht. Denn die Rückspiegel der in Nepal üblichen Lkw taugen nur wenig. Fürs Hantieren mit der Ladung gibt es spezielle Kulis, die jeweils in Diensten des Verladers oder Empfängers stehen.

Gefährliche Straßen fordern Fahrer heraus

Die Tücken für den Fahrer sind andere. Der sieht sich mit gefährlichen Straßen konfrontiert: Entweder haben die Naturgewalten das Asphaltband großflächig weggewischt oder es handelt sich gleich um eine provisorisch dem Berg abgetrotzte Piste. Immer in der Nähe: ein gähnenden Abgrund, der gute Nerven und Gespür verlangt. Auf dem Trip nach Jiri und zurück fährt Pasang öfter mal bis zu zwei Stunden die endlosen Spitzkehren der schmalen Provinzstraße ausschließlich nur bergauf oder bergab. Wehe, wenn die Trommelbremsen überhitzen. Und jene kümmerlichen 160 Pferdestärken, die der Motor von Pasangs Tata-Dreiachser den endlosen Steigungen entgegenzusetzen hat, sind in puncto Antriebsstrang noch das geringste Problem. Viel schwerer wiegt, dass die Hinterachse den auftretenden Gewalten auf Dauer nur bedingt gewachsen ist. Länger als ein Jahr macht das Achsdifferenzial solche Strapazen nur selten mit. Geht es in die Brüche, muss der Fahrer damit klarkommen, wie er das Teil gewechselt bekommt. Ersatz führt er in der Regel mit. Und in Nepal hilft man sich unter Fahrern noch gegenseitig. Ein Abschleppdienst existiert sowieso nicht. 

Pasang spielt auch den Postillion: Der Onkel aus der Stadt schickt dem Neffen auf dem Land die Schulhefte. Die Tante auf dem Land revanchiert sich mit frischen Chilis, Eingemachtem oder auch gleich einem ganzen Hahn im Korb.

Dreiachsiger Tata 2516 ist Bus und Lkw zugleich

Der betagte dreiachsige Tata mit der Typenbezeichnung 2516 ist Lkw und Bus zugleich. Sechs bis zehn Passagiere finden in der geräumigen, mit Sitzgelegenheiten reichlich gesegneten Kabine zusätzlich zum Fahrer und Adjutanten Platz. Für sie ist das Mitfahren im Lkw billiger als im öffentlichen Bus. Das Ganze geht einher mit endlosem Palaver und stets famoser Stimmung in der Hütte. Es ist ein Schauspiel für sich, wenn solch eine Truppe aus dem Lkw klettert, um sich in einer der vielen Garküchen am Wegesrand zu stärken. Da wandert eine Unmenge an Dal Bhat, dem nepalesischen Nationalgericht, in die nimmersatten Mägen. Es besteht aus einem Riesenberg Reis mit Linsensoße sowie etwas scharf gewürztem Hühnchen und einem Klacks Gemüse. Wem die erste Portion nicht reicht, der bekommt Nachschlag, so viel er will. Gegessen wird traditionell mit der Hand.

Ansonsten gilt fürs Zuckeln durch die Lande: Hier steigt einer fröhlich zu, dort sagt einer Adieu. Die Nepalesen gehen das Leben mit all der Gelassenheit an, die Asien zu bieten hat. Vor mehr als 230 Jahren gegründet, war das Land bis in die 50er-Jahre gegen die Außenwelt abgeschottet. Ein Jahrzehnt lähmte ein bis 2005 dauernder Bürgerkrieg den Staat, dessen Hindu-König 2008 abdankte und einer parlamentarischen Demokratie wich. Die Parteien feilschen heute noch um die Verfassung. Und ein neues Parlament gibt es immer noch nicht, obwohl das Mandat des alten Mitte 2012 erloschen ist.

Lkw-Fahrer stehen im Mittelpunkt

Auf das Leben draußen in den Bergen hat das nur wenig Einfluss. Dort herrscht der uralte Rhythmus der Natur. Pasang taucht in einen wie aus der Zeit gefallenen Kosmos ein, sobald er den Dunstkreis der geschäftigen Metropole Kathmandu verlassen hat. In der Provinz pflügt der Bauer die terrassierten Felder noch mit dem Ochsen. Wasserbüffel trotten am Straßenrand. Aus der Ferne grüßt das gewaltige Massiv des mehr als 7.000  Meter hohen Gauri Shankar. Er ist der heiligste Berg Nepals. Frauen und Kinder schleppen früh am Tag Unmengen an Feuerholz aus den Wäldern an den heimischen Herd. Die Schule beginnt in Nepal daher erst um zehn Uhr. Der Lkw ist auf dem Land kein Fremdkörper. Um sich das Dreschen zu ersparen, legen die Bauersfrauen ihre frisch mit der Sichel geerntete Hirse so raffiniert auf die Fahrbahn, dass die Bereifung von Pasangs 25-Tonner im Nu die Spreu vom Korn trennt. Vereinsamung im Job kennen Nepals Lkw-Fahrer nicht einmal vom Hörensagen: Sie stehen immer im Mittelpunkt. Und schlafen nur selten im Lkw. Irgendein Freund, Verwandter oder Gasthaus hält ein bequemes Bett und einen tüchtigen Schluck Rakshi parat.

"Die Eile hat der Teufel erfunden."

Pasang kippt einen letzten Kurzen, bevor er sich ins Gästezimmer im Obergeschoss zurückzieht. Rückladung für Kathmandu hat er in Jiri keine gefunden. Aber was soll’s? Schneller wird er dennoch nicht zurück sein. In Nepal sagen die Einheimischen: "Die Eile hat der Teufel erfunden."

Vorn in der Kabine wird es morgen auf dem Weg zurück wieder proppenvoll sein. Wenn Technik und Straßenzustand mitspielen, sieht er wieder einem guten Tag vor grandioser Kulisse und inmitten einer Schar bestens aufgelegter Mitfahrer entgegen.

Wahnsinn mit Methode

Konzentration, Improvisationsvermögen und schnelle Reaktion sind unerlässlich für das anarchische Verkehrswesen Nepals. Fahrspuren (sofern sowieso nicht nur eine vorhanden ist) gelten allenfalls als lockere Empfehlung. Jeder sucht sich seinen Weg durchs Gewühle dort, wo gerade Platz ist.

Blinker und Hupe regeln die Kommunikation auf den engen Bahnen folgendermaßen: Wünscht der Schnellere zu überholen, dann hupt er erst einmal kräftig. Kann der Vordermann keinen Gegenverkehr erkennen und ist gewillt, sich überholen zu lassen, dann blinkt er auf der Außenspur.

Die Regel für enge Gebirgspisten mit nicht einsehbaren Kurven lautet: Da der Schall sehr wohl ums Eck geht, kündet jeder sein Kommen lautstark per Hupe an. Ist außer dem eigenen Horn nichts zu hören, scheint der Weg frei zu sein und es gibt fürs Erste auch keinen Grund, vor der Kurve zu bremsen.

Kurzum: Das Einzige, was an Nepals Lkw immer funktioniert, das ist die Hupe. Sonst aber geht es bei der Fahrzeugtechnik so anarchisch zu wie auf den Straßen. Eine technische Überwachung im westlichen Sinne gibt es ebenso wenig wie bezahlten Urlaub oder Kranken- sowie Rentenversicherung für den Mann am Volant. Die Lkw werden grundsätzlich "von der Wiege bis zur Bahre" gefahren. Entsprechend hoch ist das Durchschnittsalter der Fahrzeuge.

Manche mögen‘s rustikal

Tata aus Indien ist mit 93 Prozent Marktanteil der Marktführer in Nepal. Geliefert wird das Neufahrzeug grundsätzlich als Windlauf (Fahrgestell mit Sitz und Lenkrad), dem der Käufer dann den Schreiner seines Vertrauens eine geräumige Holzkabine sowie den Aufbau verpassen lässt. Bei der Mehrzahl der rund 13.000 schweren Lkw des Landes handelt es sich um ältere Semester, wenn nicht Oldtimer. Die Zahl der Neuzulassungen beträgt durchschnittlich nur 800 Einheiten pro Jahr.

Für die Motorisierung gilt: Bei 180 PS ist Schluss. Und die Federung kann gar nicht hart und simpel genug sein für Nepals materialmordende Pisten. Dicke Pakete an Trapezfedern, mit denen jeder Dorfschmied klarkommt, sind bei der Achsaufhängung der Schweren ausnahmslos die Regel. Wer da bei Leerfahrt zu sehr auf die Tube drückt, kann das erleben, was die Lkw-Fahrer Nepals breit grinsend "Himalaya-Rodeo" nennen.

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