Lebensqualität im Fernverkehr Mensch bleiben

Lebensqualität im Fernverkehr, Pöhland, Mercedes Foto: Familie Pöhland 14 Bilder

Leben wie Gott in Frankreich – das gelingt Sabine und Thomas Pöhland zwar nicht oft, aber immer wieder. Trotz stressigem Fahrerjob.

Endlich wieder da. Runter von der Route Nationale, noch ein paar Kilometer auf den kleinen Landstraßen Richtung Meer. Die vertraute Bucht in Südfrankreich wartet schon im Abendlicht. Der Sattelzug rollt ein Stück über Schotter. Motor aus und Ruhe. Unterhalb der Steilküste sind noch ein paar Surfer unterwegs. Das Revier ist bekannt. Doch Sabine und Thomas Pöhland sind heute Abend zu müde für weitere Aktivitäten. Das hat morgen auch noch Zeit. Also raus mit Klappstühlen, Tisch und einer Liege. Den warmen Abend genießen. Morgen früh kommt dann um sechs Uhr wieder der Bäcker vorbei. Er kennt sie schon und hupt bereits aus der Ferne: ein Baguette, vielleicht heute ein paar Croissants oder ein Pain au Chocolat für Madame? So schön kann eigentlich nur Urlaub sein. Sabine und Thomas kommen regelmäßig hierher, aber immer nur im Sommer und nie zu festen Zeiten. Die Pöhlmanns sind selbstfahrende Unternehmer aus Buxtehude.

Das eigene Unternehmen besteht seit 1991

Sie haben ihr Unternehmen 1991 gegründet. Damals liefen die Geschäfte gut. Sabine, 1965 geboren, saß im Büro und machte die Disposition. Thomas, ein Jahr jünger, fuhr einen von schließlich sechs Lkw. Den Führerschein hatten beide zur gleichen Zeit gemacht: 1987. Aus heutiger Sicht eine gute Entscheidung. Die beiden kennen sich schon aus dem Sandkasten. Die Väter, Christof Pöhland und Günter Schnabel, saßen ein paar Jahre lang sogar zusammen auf dem Bock. Sabine: "Ich bin schon als kleines Mädchen mitgefahren. Das liegt mir im Blut." Dann gingen die Lebenswege der Familien auseinander. Die Pöhlands blieben in Hof/Bayern, die Schnabels zogen nach Hamburg. Die Freundschaft blieb aber bestehen. Hin und wieder traf man sich, so auch an Silvester 1983. Mann, wie hatte sich Sabine da gemausert. 18 Jahre jung. Nicht wiederzuerkennen. Thomas war gleich Feuer und Flamme. Es hatte "wumm" gemacht. 1990 heirateten sie, zwei und vier Jahre später folgten die Töchter Janine und Angelina.

Die Spedition Pöhland verkehrte typischerweise in Linie nach Sindelfingen. Thomas: "Das Geschäft war unkompliziert. Wir hatten unsere Konzessionen und führten Fahrtenbücher." Ein sicheres Geschäft, auf das sich eine Zukunft aufbauen ließ. Dachten alle. Es gab zwar Saure-Gurken-Zeiten, etwa von Januar bis Fasching. "Aber dann kamen die starken Monate, in denen sich auch etwas bunkern ließ." 1997 rollte die erste  Tiefpreiswelle durch die Branche. "Wir dachten: eine Katastrophe. Aber von heute aus betrachtet war es in Wahrheit noch ein Paradies." Nach und nach wurden die fünf Lastwagen der Flotte notgedrungen abgestoßen, im Jahr 2000 der letzte. Jetzt fahren Sabine und Thomas ihren Sattelzug in Eigenregie 
als Zweierteam.

Die Pöhlands nehmen nur Touren, die sich lohnen

Ihr Geschäftsmodell ist im Prinzip ganz einfach: Sie nehmen nur die Touren an, die sich lohnen. Aber das ist einfacher gesagt als getan. Es bedeutet zum Beispiel, dass sie bestimmte Aufträge auch mal ablehnen und warten müssen, bis sich etwas Lukrativeres auftut. Das kostet Nerven.

Thomas: "Heutzutage fährst du wirtschaftlich das ganze Jahr immer am Limit." Es liegt teilweise tatsächlich an 10 oder 
50 Euro, ob du einen Auftrag bekommst oder nicht. "Das kann mir doch niemand erzählen, dass die wirklich so scharf kalkulieren." Aber die Konkurrenz ist immer präsent. Ein Disponent sprach mal Klartext, als Thomas anrief: "Ach, du bist es. Ich hatte schon gehofft, es ist ein Pole."

Nichts gegen Osteuropäer

Sabine und Thomas haben persönlich nichts gegen die Osteuropäer: "Die sprechen schon nach zwei Jahren Spanienverkehr die Sprache wie die Einheimischen." Sie sind auch orientierungssicher. Sabine: "Wenn wir mal feststecken und es kommt einer vorbei, sage ich immer: ‚Fahre hinterher!‘ Die kennen sich aus." Andererseits haben viele Osteuropäer offensichtlich ein völlig anderes Verständnis von Sauberkeit. Thomas: "Die Rastplätze sind häufig zugemüllt und die Papierkörbe voll mit Wodka-Flaschen. Die Kollegen sind dann trotzdem schon ab morgens um sechs wieder unterwegs. Das passt doch nicht zusammen."

Daher zieht es Sabine und Thomas am Ende der Lenkzeit lieber in ruhige Industriegebiete oder in die Nähe der Rampe, damit am nächsten Morgen das Entladen schneller vonstattengeht. Das funktioniert aber nur mit einem Zauberwort: Unabhängigkeit. Sie dürfen nicht auf Wasser oder Toiletten angewiesen sein. Deshalb hat Thomas schon seit vielen Jahren seine Lkw mit einem Waschbecken ausgestattet samt Elektropumpe und Frischwassertank. Eine handelsübliche, tragbare Toilette "fürs kleine Geschäft" komplettiert die Ausstattung.

Platz genug für ausgiebiges Frühstück

Thomas hat lange an seinem Unikat getüftelt. Er hatte das Becken zuerst in einem MAN montiert, dann in einem älteren und jetzt in dem ganz neuen Actros. Es lässt sich wegklappen, sodass die untere Liege uneingeschränkt zur Verfügung steht. Die Konstruktion nimmt auch eine Tischplatte auf, die den Namen verdient: eine schöne Basis für ein ausgiebiges Frühstück – schon fast ein kleines Wohnmobil. Und eine Lösung mit Augenmaß. Thomas: "Würde die Industrie das herstellen, wäre es für jeden Lkw-Fahrer bezahlbar. Es braucht nicht diese super perfekten Lösungen, die auch angeboten werden, aber richtig ins Geld gehen."

Überhaupt hat Thomas seine eigenen Vorstellungen, wenn es um die optimale Lkw-Kabine geht. Deshalb hat er sich für den Actros entschieden. "Wichtig ist viel Raum und ein ebener Boden. Ich möchte nicht herumstolpern." Stauraum ist zwar ganz nett, wird von den Herstellern aber viel zu üppig angeboten. "Meine Fahrer wollten auch immer die großen Schränke. Dann habe ich mal reingeguckt. Die waren leer. Die Kollegen hatten alles in ihrer Sporttasche."

Komplimente von der Dame an der Warenannahme

Die Sanitärausstattung hat nur Vorteile. Wenn Thomas beispielsweise morgens entlädt, kann Sabine das Frühstücksgeschirr spülen: "Ihr solltet mal die Blicke der anderen Fahrer sehen." Und Thomas bekommt von der Dame an der Warenannahme Komplimente: "Sie sind der einzige Kollege, der nach Rasierwasser duftet."

Erst die Unabhängigkeit macht Kurzurlaube wie an der französischen Küste möglich. Sabine: "Wir haben auch viele Fahrten nonstop, aber hin und wieder einfach Wartezeiten, weil eine Ladung beispielsweise nicht fertig wird." "Sollen wir dann 24 Stunden die Tankuhr anstarren? Das ist nur öde", spricht Thomas für beide. "Dann mache ich in der Nähe großer Städte lieber eine Sightseeing-Tour." Deshalb wartet im Palettenkasten ein Moped mit Zweiersitzbank und munteren 125 Kubikzentimeter Hubraum. Außerdem hat das Beiboot auch noch andere Talente. "Es ist ideal für kleinere Besorgungen, denn wenn der Lkw mal rollt, rollt er." Für Vergnügen der anderen Art sind Surfbretter an Bord.

Standort des Stellplatzes wird nicht verraten

Natürlich halten sich Sabine und Thomas an die ungeschriebenen Gesetze. Erstens wird der genaue Standort des Stellplatzes an der Küste in Südfrankreich nicht verraten. "Sonst stehen dort morgen viele Kollegen – und irgendwann dann auch Verbotsschilder, weil die Kommune nicht mehr mitmacht." Aus dem gleichen Grund hinterlassen die beiden das Gelände immer pieksauber und nehmen auch den Müll von anderen mit.

Trotz der sporadischen Idylle würden Sabine und Thomas den Beruf, den sie lieben, nicht noch einmal ergreifen. "Allein die Altersvorsorge ist ein riesiges Problem." Die beiden Töchter arbeiten in Büros und streben feste Anstellungen an. "Das ist einfach das Beste in diesen Zeiten." Aber trotz Lebenskampf haben die Eltern aus der Not Tugenden gemacht: "Wir wollen Menschen bleiben, uns wohlfühlen und in unserem Lkw alles vorfinden, was wir auch im Hotel hätten – aber nicht übertrieben."

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