Hamburger Vekehrsbetriebe ÖPNV stellt sich auf Zukunft ein

önpv hamburg VHH Hochbahn Foto: powell83 - Fotolia 4 Bilder

Emissionsfreie Antriebe und neue Mobilitätsdienstleistungen: Der öffentliche Personennahverkehr steht vor großen Herausforderungen. In Hamburg, das sich selbst als Modellstadt für intelligente Mobilität und Logistik definiert, stellen sich Verkehrsbetriebe und Senat bereits auf die Zukunft ein.

87 Meter hoch ist der Waseberg. Was anderswo gerade so als Hügel durchginge, ist direkt an der Elbe schon eine ansehnliche Erhebung. Im feinen Hamburger Stadtteil Blankenese sind die Wege zwar kurz, aber auch beschwerlich. Daher findet die Buslinie 48 bei den überwiegend wohlhabenden Einwohnern regen Zuspruch. Liebevoll werden die Midibusse auch Bergziegen genannt. Im Jahr 2014 begannen die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH) damit, die bestehenden Dieselfahrzeuge durch Elektrobusse zu ersetzen. Die Busse liefert der italienische Hersteller Rampini, die Antriebstechnik, mit deren Hilfe Steigungen von bis zu 16 Prozent bewältigt werden, stammt von Siemens. "Das Projekt zeigt, dass ein wirtschaftlicher und zuverlässiger Nahverkehr mit Elektrobussen möglich ist", sagt VHH-Geschäftsführer Toralf Müller heute.

Sowohl bei den Kosten als bei der Verfügbarkeit von mehr als 90 Prozent hätten die E-Busse mittlerweile mit den Diesel-Vorgängern gleichgezogen. Dass sich der Betrieb trotz der deutlich höheren Anschaffungskosten rechnet, ist allerdings vor allem der Topografie zu verdanken. Denn bei der Bergabfahrt arbeitet der Elektromotor als Generator und lädt die Batterie allein durch Bremsenergie wieder auf.

Bislang keine Kataloglösungen für Elektrobusse

So reicht eine Batterieladung fast für den kompletten Tagesumlauf, der bis zu 218 Kilometer beträgt. Tatsächlich wird mehrmals pro Tag nachgeladen, um die Lebensdauer der Akkus zu verlängern. Das Projekt in Blankenese ist für die VHH nur der Anfang: Der Hamburger Senat hat die im Stadtgebiet tätigen Verkehrsbetriebe verpflichtet, ab dem Jahr 2020 nur noch lokal emissionsfreie Busse in Betrieb zu nehmen. Damit verändert sich die Rolle der Verkehrsbetriebe dramatisch. "Wir sind dabei, unsere komplette Organisation neu aufzustellen. Forschung und Entwicklung gehören nun ebenso zu unseren Aufgaben", sagt Müller. Als Maschinenbauingenieur, der seinen Berufsweg in der Motorenentwicklung von Daimler begann, weiß er, wovon er redet.

Ursache des Wandels: Es gibt bislang keine Kataloglösungen, weder für die Elektrobusse noch für die Ladeinfrastruktur. Das zeigt sich derzeit in Hamburg in einem weiteren E-Bus-Projekt: Auf der Metrobus-Linie 3, mit mehr als 30.000 Fahrgästen pro Tag eine der meistgenutzten Linien im Stadtgebiet, sollen zwei Elektrogelenkbusse des belgischen Herstellers Van Hool zum Einsatz kommen. Ursprünglich war die Inbetriebnahme bereits für den Herbst 2016 geplant, doch sie verzögerte sich wegen mangelnder elektromagnetischer Verträglichkeit der Hochvoltkomponenten. Daher zieht Müller an vielen Fäden, sucht technische Lösungen genauso wie Verbündete. Dafür hat er politischen Rückenwind: Im August 2016 vereinbarten die regierenden Bürgermeister von Berlin und Hamburg eine gemeinsame Beschaffungsinitiative für emissionsfreie Linienbusse.

Hamburg auf direkte Kooperation mit Fahrzeugherstellern

Die landeseigenen Verkehrsbetriebe BVG, Hamburger Hochbahn und VHH betreiben insgesamt rund 2.900 Busse und gehören damit zu den größten Abnehmern von Linienbussen in Europa. Bis zu 200 emissionsfreie Busse pro Jahr wollen die Partner beschaffen – damit entsteht für die Anbieter erstmals ein attraktives Marktvolumen. Zudem ist die Partnerschaft der beiden Stadtstaaten für weitere Mitglieder offen. Vertreter weiterer Städte, darunter Stuttgart und München, sitzen schon heute bei den Besprechungen am Tisch. Doch Hamburg setzt nicht nur auf Marktmacht, sondern auch auf direkte Kooperationen mit den Fahrzeugherstellern. Im Herbst 2016 schlossen Hamburger Hochbahn und VHH eine Entwicklungspartnerschaft mit MAN. Felix Kybart, Leiter Alternative Antriebe bei MAN Truck & Bus, sieht darin eine große Chance: "Unsere Partner bekommen zum Beispiel Einblicke in unseren Entwicklungsfortschritt, wir bekommen umgehend Rückmeldungen und haben so die Gelegenheit, im laufenden Prozess direkt darauf einzugehen."

Man wolle nicht einfach bestehende Busse elektrifizieren, sondern die nächste Generation an Stadtbussen auf elektrisches Fahren hin entwickeln. Die VHH hat dafür neuerdings wertvolle Forschungsergebnisse, die sie in die Partnerschaft einbringt. Mithilfe von Experten der Helmut-Schmidt-Universität wurde für jede einzelne Teilstrecke der exakte Energiebedarf berechnet, von Haltestelle zu Haltestelle. Mit diesen Ergebnissen lassen sich nicht nur die Umläufe von Elektrobussen besser planen, sondern in Entwicklung und Beschaffung bereits die benötigten Akkugrößen berücksichtigen.Ungefähr im Jahr 2032 soll die Umstellung der gesamten VHH-Busflotte auf Elektroantriebe abgeschlossen sein. Entsprächen Netz und Takt dann noch dem heutigen Stand, würden die Akkus jährlich mit etwa 49 Gigawattstunden Strom geladen. Schon heute steht für Müller fest, dass ein weitgehend zentrales Ladekonzept die richtige Wahl ist. Auf allen Betriebshöfen soll die notwendige elektrische Infrastruktur bereitgestellt werden, um die Akkus jeweils für einen kompletten Tagesumlauf zu laden. Dem Nachladen an speziellen Pantografen, also mit Stromabnehmern, oder gar per Stecker an den Endhaltestellen erteilt Müller eine Absage. Zum einen wäre der Bauaufwand erheblich, zum anderen steige der Betriebsaufwand.

Eigenes Fahrradverleihsystem mit drei Millionen Nutzungen

Nicht nur beim Thema Elektromobilität will Hamburg Vorreiter sein. Geht es nach dem Willen der Stadtplaner, versammeln sich im Oktober 2021 mehr als 10.000 Verkehrsexperten aus aller Welt in der "Modellstadt für intelligente Mobilität und Logistik". Die Hamburger Bewerbung um den ITS-Weltkongress wurde dem Veranstalter Ertico im März 2017 zugestellt – passenderweise mit einem autonom fahrenden Paketzusteller. Automatisierung und digitale Vernetzung des öffentlichen Personennahverkehrs spielen in der – aus Wettbewerbsgründen geheim gehaltenen – Bewerbungsunterlage eine wichtige Rolle. Soviel zumindest verrät Projektleiter Sebastian Hetzel: "Es geht um mehr als nur darum, einen Kleinbus im Kreis fahren zu lassen."

Doch auch unabhängig vom ITS-Kongress hat Hamburg in den vergangenen Jahren bereits eine Vielzahl von Initiativen auf den Weg gebracht, die die urbane Mobilität verbessern sollen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der sogenannten Anschlussmobilität. Der Gedanke dahinter: Den ÖPNV attraktiver zu machen, indem man den Nutzer auf der letzten Meile nicht alleine lässt. So hat Hamburg mit StadtRad ein eigenes Fahrradverleihsystem aufgebaut, das 2016 mit rund drei Millionen Nutzungen einen neuen Rekord erzielte. Deutlich erweitert wurde das intermodale Angebot mit den switchh-Punkten der Hochbahn: An zwölf zentralen Standorten sowie den Fernbahnhöfen können nicht nur Fahrräder, sondern auch Carsharingfahrzeuge unterschiedlicher Anbieter mit einer einzigen Karte genutzt werden. Insgesamt stehen den Kunden 1.500 Autos zur Verfügung. Beim Ausbau der Angebote setzt Hetzel generell auf die Kräfte des Marktes: "Es gibt meist nicht nur eine Lösung. Gute Ideen setzen sich im Wettbewerb durch." Dennoch initiiert die Stadt gezielte Kooperationen mit einzelnen Unternehmen. So will Hamburg mit der Volkswagen-Tochter Moia neue Angebote für Mobility on demand testen.

"In der Stadt können wir frühzeitig neue Technologien testen"

In den aufgrund ihres hohen Altbaubestands sehr beliebten Wohnvierteln Eimsbüttel und Ottensen hat BMW in Kooperation mit dem Senat und den Bezirken eine Studie durchführen lassen. Ziel ist es, herauszufinden, unter welchen Bedingungen Haushalte ganz auf ein eigenes Auto verzichten würden. Hetzel zieht eine klare Grenze zwischen solchen nicht-exklusiven Kooperationsprojekten und einer Private-Public-Partnership: "Es geht darum, zunächst ein Experimentierfeld zu schaffen, in dem wir neue Ideen testen können." Wenn sich eine Idee bewährt, sei es durchaus denkbar, anschließend eine öffentliche Ausschreibung zu starten – dann müssen sich die Unternehmen im Wettbewerb bewähren. Der Laborcharakter Hamburgs hat für Hetzel auch eine soziale Dimension.

"Wir sind hier in einer privilegierten Situation", sagt er mit Verweis auf die Tatsache, dass die meisten Einwohner der Hansestadt weniger als 300 Meter bis zur nächsten Bushaltestelle laufen müssen. "In der Stadt können wir frühzeitig neue Technologien testen, die zu einem späteren Zeitpunkt die Mobilität auf dem Land deutlich verbessern." Zu solchen Angeboten gehört das Ride Pooling, eine neue Form der Mobilität, die zwischen Individualverkehr und öffentlichem Personennahverkehr rangiert. Die Idee: Autonome Shuttle-Fahrzeuge können per Smartphone oder sogar auf Knopfdruck vor die eigene Haustür gerufen werden und bringen den Passagier direkt an sein Ziel. Von einem klassischen Taxi unterscheidet solche Fahrzeuge nicht nur das Fehlen des menschlichen Fahrers, sondern auch, dass unterwegs weitere Fahrgäste zusteigen, die ein ähnliches Ziel haben. Im Hintergrund koordiniert ein mächtiges IT-System die Wünsche der Fahrgäste und die Routen. Der im Herbst 2016 von Volkswagen gegründete Mobilitätsdienstleister Moia will das Ride Pooling gar zum Kern seines Geschäftsmodells machen.

Gewaltiges Potenzial für den ÖPNV

Die Flexibilität eines Taxis mit den günstigen Tarifen des ÖPNV zu verbinden, ist das Ziel von Ole Harms, dem CEO von Moia: "Die Fahrt muss auf einem vergleichbaren Kostenniveau liegen wie der öffentliche Nahverkehr." Damit will er neue Zielgruppen erschließen, Studentinnen etwa, die nachts die U-Bahn scheuen, oder ältere Menschen. Für die Realisierung setzt Harms auf Partnerschaften mit den Kommunen: "Jede Stadt hat ihre eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse." Auch wenn Moia zunächst auf den Heimatmarkt Europa zielt, könnte der neue Ansatz den ÖPNV sogar in den Vereinigten Staaten voranbringen. Eine im März 2017 veröffentlichte Umfrage der Unternehmensberatung McKinsey in zehn US-amerikanischen Städten ergab: Rund zwei Drittel aller Befragten wollen in Zukunft öfter auf solche Mobilitätsdienstleistungen zurückgreifen. Nach Einschätzung der Berater könnte der Markt bis zum Jahr 2030 ein Umsatzvolumen von zwei Billionen (2.000 Milliarden) US-Dollar erreichen.

Erwächst den Verkehrsbetrieben und dem klassischen Linienbus durch das Ride Pooling eine neue Konkurrenz? Toralf Müller ist nicht bang: "Der ÖPNV hat seine klassische Stärke darin, dass er jeden mitnimmt. Wir haben noch gewaltiges Potenzial." Zudem verweist er auf die deutlich höhere Kapazität: Ein Gelenkbus mit einer Länge von 18,75 Metern fasst rund 170 Passagiere, das entspricht den Insassen von mehr als 40 voll besetzten Pkw. Die feste Taktzeit, die Linienbusse aufweisen, sieht er nicht nur als Nachteil: "Der Mensch gewöhnt sich schnell an einen festen Takt, er wird zum Bestandteil des Lebens." Viel entscheidender sei, so Müller, eine klassische Tugend, "dass der Bus pünktlich ist".

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