Flüchtlingsdrama in Patras Illegale Auswanderer im Lkw

Flüchtling unter Lkw Foto: Depardon, Dieckmann, Hub, Amnesty International 8 Bilder

Griechenland bleibt in den Schlagzeilen – auch wegen der Flüchtlinge, welche die Lkw vor der Fähre stürmen. Insbesondere in den Hafenstädten Patras und Igoumenitsa versuchen Flüchtlinge ihr Glück nach Nordeuropa zu gelangen.

"In der Zelle war kein Bett, keine Waschgelegenheit und kein WC. Die Wände, die Decke und auch der Boden waren aus Stahlblech. Ein kleines vergittertes Fenster, eine Lampe und eine kleine Luftöffnung oberhalb der Türe waren alles, was diese Räumlichkeit zu bieten hatte." So beschreibt Fernfahrer Johannes Gamperl die Zelle, in der er im Hafengefängnis in Patras in Griechenland eingesperrt war.

In Handschellen war er dorthin abgeführt worden. Bevor er in dieses Verließ geworfen wurde, verlangten die Beamten von ihm, aus seinem Lkw alles Geld und sein Handy zu holen – mit Handschellen. So hatte Johannes die Stufen ins Fahrerhaus noch nie überwunden. Er durfte noch kurz seinen Chef anrufen. Dann verschwanden Handy und Geld. Ihm würden zehn Jahre Haft wegen Menschenschmuggels drohen, teilten die Beamten Johannes mit. Dann schloss sich die Türe seiner Stahlzelle.

Lkw werden als rollende Verstecke genutzt

In Johannes Sattelzug waren Flüchtlinge aus Osteuropa entdeckt worden. Die hatten sich ohne sein Wissen im Auflieger versteckt – in der Hoffnung, mit der Ladung und Fähre nach Italien zu gelangen. Mit den Flüchtlingen ging die griechische Polizei noch gewalttätiger um als mit ihm.  "Die wurden nach ihrer Entdeckung von der griechischen Polizei von meinem Lastwagen heruntergeprügelt, obwohl sie gar keinen Widerstand leisteten ", berichtet Johannes. Dann mussten sie sich auf den Boden setzen und die Polizisten fesselten sie mit Kabelbindern aneinander. Einer der Flüchtlinge blutete nach den brutalen Schlägen der Beamten. Erste Hilfe? Fehlanzeige.

In der Hafenstadt Patras versuchen ständig sogenannte Illegale, sich in einem Fahrzeug versteckt auf eine Fähre nach Italien zu schmuggeln. Sie warten am Hafenzaun auf den richtigen Augenblick, klettern hinüber, rennen zu den Lkw und verstecken sich im Aufbau und am Fahrgestell. Schon viele verloren ihr Leben auf ihrem Weg in ein vermeintlich besseres Europa. Auch Wohnwagen und Wohnmobile sind nicht sicher: Sie werden kurz vor der Einfahrt in die Fähre aufgebrochen und als rollendes Versteck genutzt. Selbst fahrende Lkw sind nicht gefeit. Flüchtlinge versuchen aufzuspringen. Volles Risiko, denn mindestens einmal fiel einer der Illegalen dabei wieder herunter und wurde vom folgenden Fahrzeug überrollt. Eine andere Todesursache ist das qualvolle Ersticken in einem Container.

Flüchtlinge suchen ihr Heil in Nordeuropa

Griechenland, vor allem die Hafenstadt Patras, hat sich zur Drehscheibe der Flüchtlingsströme zwischen Ost- und Westeuropa entwickelt. In erster Linie suchen Afghanen ihr Heil in Nordeuropa. In Griechenland bleiben will keiner von ihnen.Johannes hatte bei seiner Rückfahrt nach Österreich zunächst keine besonderen Vorkommnisse zu berichten: alles wie sonst. Sein Lastwagen stand in Skafidaki an der Rampe, einer Stadt etwas südlich von Argos. Ein Stapler schob 31 Paletten mit Orangen zügig in den Kühl-Sattel. Johannes verschloss anschließend die Aufliegertüren mit einem Vorhängeschloss. Gegen 14 Uhr verließ er die Landestelle und fuhr in Richtung Korinth.

In Argos blieb er vor einem Carrefour-Supermarkt stehen, um Getränke und Lebensmittel einzukaufen. Die Fähre war erst für den folgenden Tag gebucht. Johannes telefonierte noch mit einem Griechenland-erfahrenen Kollegen und bekam den Rat, nicht über Nacht im Hafen Patras stehen zu bleiben. Die Gefahr sei zu groß, dass Illegale bei Nacht auf den Lkw klettern würden. Der Kollege empfahl ihm eine Tank stelle mit Schnellrestaurant, etwa 100 Kilometer vor Patras.

Selbst Vorsichtsmaßnahmen helfen kaum gegen illegale Flüchtlinge

Dorthin fuhr Johannes und legte sich schlafen. "Um 3 Uhr 30 wurde ich mit dem Gefühl wach, der Lkw hätte sich bewegt. Ich schob kurz die Vorhänge einen Spalt zur Seite und konnte aber nichts entdecken. So gegen vier Uhr wachte ich erneut auf, weil ich auf die Toilette musste. Als ich die Fahrertür öffnete und gerade aussteigen wollte, sah ich die Tür des Aufliegers offen stehen und ich erkannte, dass sich an der Rückseite des Fahrzeugs Menschen befanden. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt den Boden noch nicht berührt. Deshalb begab ich mich sofort wieder nach oben ins Fahrerhaus, verriegelte die Türen, startete den Motor, schaltete das Licht ein und stellte die Automatik auf  "Drive", um sofort losfahren zu können, falls jemand mich bedrohen würde."

"Ich blickte ständig in die Spiegel meines Lkw, um zu kontrollieren, ob die Personen auch hinten blieben. Hätten sich auch nur einer Richtung Sattelzugmaschine bewegt, wäre ich sofort losgefahren, um einem Angriff auf mich zuvorzukommen. " Johannes blieb im Fahrerhaus und rief die griechische Polizei an. Als zwei Streifenwagen näher kamen, sah er noch, wie mehrere Personen davonrannten. Die Polizei durchsuchte seinen Lkw, fand aber keine Personen darin.

Vorhängeschlösser sind ein rares Gut in Patras

Am nächsten Morgen bemühte er sich noch, an einer Tankstelle ein neues Vorhängeschloss zu kaufen, um die aufgebrochenen Aufliegertüren sicher verschließen zu können. Ein schwieriges Unterfangen. Der Verkäufer teilte ihm mit, Vorhängeschlösser seien in der Region ausverkauft. Nahe der Patras sei der Bedarf höher, als die Hersteller liefern könnten. Im Hafen angekommen, parkte Johannes seinen Lkw in die Warteschlange vor der Rampe zum Schiff. Zusammen mit einem Kollegen kontrollierte er nochmals den Auflieger, entdeckte aber nichts Verdächtiges.

Kurz vor der Einfahrt in die Fähre winkte die Polizei ihn heraus, durchsuchte den Lastwagen – und fand Flüchtlinge darin. Sofort wurde Johannes wie ein Schwerverbrecher behandelt. Sein Einwand, dass er noch in der Nacht zuvor selbst die Polizei gerufen hatte, um seinen Lastwagen zu durchsuchen, interessierte niemanden. Es wartete die Stahlzelle.  "Am Boden lagen mehrere dreckige Decken. An einer Seite befanden sich ein paar Becher und halb volle Flaschen."

Das Gerichtsurteil: Frei auf Kaution

Bereits am nächsten Tag fand die Gerichtsverhandlung statt – von der Johannes Gamperl allerdings aufgrund der fremden Sprache nichts verstand. Einen Dolmetscher hatte man ihm nicht gewährt. In der Verhandlung saßen auch die Illegalen, die sich in seinem Lkw versteckt hatten. Der Busfahrer, der ihn ins Gericht gebracht hatte, teilte Johannes dann mit, dass gegen ihn nichts vorläge. Freigesprochen sei er aber noch keineswegs. Er werde lediglich auf Kaution entlassen bis zur endgültigen Gerichtsverhandlung.

Johannes durfte daraufhin Griechenland verlassen mit der Auflage, innerhalb der EU zu bleiben. Das musste man ihm nicht zweimal sagen. Glücklich zurück in Österreich schaltete er sofort einen Anwalt ein – auf eigene Kosten. Seitdem ließen die griechischen Behörden nichts mehr von sich hören. Die endgültige Verhandlung steht allerdings noch aus.

So schützt man sich vor dem unfreiwilligen Transport von illegalen Flüchtlingen

Aufgrund der geografischen Lage ist Griechenland ein bedeutsames Einreiseland für irreguläre Migranten in die EU. Sie versuchen, insbesondere über die Fährhäfen Patras und Igoumenitsa ohne erforderliche Dokumente weiter nach Italien und andere Schengenländer zu reisen. Die Flüchtlinge möchten, oft mit Unterstützung von Schleusern, unbemerkt auf Lkw gelangen, die mit den Fähren von Patras oder Igoumenitsa in Richtung Italien ausreisen.

Werden diese Personen bei den Kontrollen der Polizei oder Küstenwache festgestellt, werden regelmäßig Strafverfahren wegen Menschenschmuggel (zählt zur organisierten Kriminalität) gegen die Fahrer eingeleitet und die Fahrzeuge als Beweismittel sichergestellt. Den Fahrern drohen hohe Geld- oder sogar Haftstrafen. Langwierige und kostenintensive Verfahren sind die Folge.

Gefahr droht bereits bei der Anreise zu den Fährhäfen

  • Längere Standzeiten auf Rastplätzen entlang der Zufahrtsstraßen oder im Stadtgebiet selbst sollten vermieden werden. Sind diese unumgänglich, sollten vor der Weiterfahrt zum Hafen Verriegelungen, Verschlüsse oder Planen sorgfältig auf Beschädigungen kontrolliert werden.

  • Speziell in Patras werden Verkehrsstaus und notwendige Halts vor roten Ampeln auf dem Weg zum Hafen von den Personen genutzt, um sich möglichst unerkannt auf oder unter dem Fahrzeug zu verstecken. Im Zweifelsfall sollte das Fahrzeug nochmals unmittelbar vor der Einfahrt in das Hafengelände kontrolliert werden (Blick unter das Fahrzeug).

    Wenn der Verdacht besteht, dass Personen unerlaubt auf das Fahrzeug gelangt sein könnten, ist es erforderlich, dies unmittelbar bei der Einfahrt in den Hafen den dort kontrollierenden Beamten der Polizei oder der Küstenwache zu melden. Auch bei Warte- bzw. Standzeiten im Hafengelände selbst drohen Gefahren. Immer wieder gelingt es einzelnen Personen oder ganzen Gruppen, unerkannt die Umzäunung des Hafengeländes zu überwinden und sich dann auf den dort abgestellten Fahrzeugen zu verstecken.

  • Vor der Weiterfahrt auf die Fähre sollte das Fahrzeug erneut kontrolliert werden.

  • Kooperation ist besser als Verweigerung.

  • Anwaltliche Vertretung wird dringend empfohlen, bei regelmäßiger Nutzung der betreffenden Häfen sollten entsprechende Kontakte vorbereitet werden.

  • In schwierigen Fällen berät und unterstützt die deutsche Botschaft in Athen beziehungsweisein die deutschen Honorarkonsuln in Patras und Igoumenitsa.

Im Gespräch mit Rechtasanwalt Ortner

Das griechische Rechtssystem nimmt Menschenschmuggler hart an die Kandarre.
Doch ist das, was Johannes Gamperl in Griechenland widerfahren ist, noch rechtens?
Ein Gespräch mit dem Rechtsanwalt Philipp Ortner verschafft Klarheit:

Philipp Ortner ist Rechtsanwalt in Gmunden in Österreich. Mit dem griechischen Rechtssystem ist er gut vertraut, da er dort einen Teil seines Studiums absolviert hat. Er fühlt sich "mit Griechenland sehr verbunden", sagt er. "Ich kenne die Mentalität der Menschen. Ich sehe die guten, aber auch die schlechten Seiten dieses Landes", so Ortner. Der Österreicher arbeitet regelmäßig mit Anwaltskanzleien in Griechenland zusammen. Kontakt: www.ortner-ortner.at.

Herr Ortner, können Sie nachvollziehen, was Johannes Gamperl über diese Tour nach Griechenland berichtet?

Philipp Ortner: "Ja, denn er ist nicht der Erste, der dies so schildert. So extrem allerdings, wie es Johannes Gamperl erleben musste, habe ich das bis jetzt aber noch nicht gehört."

Ist es zutreffend, dass ein Fahrer wegen Menschenschmuggels verurteilt werden kann, auch wenn er nicht weiß, dass sich Illegale in seinem Fahrzeug verstecken?

Philipp Ortner: "Wenn er es nicht weiß, sollte er nicht verurteilt werden dürfen. Aber wie immer stellt sich die Frage, wie das zu beweisen ist. Es ist tatsächlich so, dass von Griechenland aus Schlepper Flüchtlinge nach Italien transportieren. Möglicherweise haben sich in der Vergangenheit auch Fernfahrer dafür bezahlen lassen, in ihrem Lastwagen heimlich Flüchtlinge mitzunehmen. Die griechische Justiz kann tatsächlich nicht so einfach unterscheiden, wer gegen Geld Illegale transportiert oder wer unwissentlich selbst zum Opfer wurde. Natürlich gilt auch in Griechenland das Prinzip ‚Im Zweifel für den Angeklagten‘. Jedenfalls ist das in der Theorie so. In der Praxis könnten Polizisten schon voreingenommen gegen Lastwagenfahrer sein."

Wenn ein Fahrer verurteilt würde – wie hoch könnte die Strafe sein?

Philipp Ortner: "Da würde griechisches Recht gelten. Die Strafen sind sehr hoch: Je nach Schwere des Deliktes – ebenso, wie der Richter es wahrnimmt – bis zu 60.000 Euro Geldstrafe, im Extremfall sogar bis 200.000 Euro. Auch eine Freiheitsstrafe ist aufgrund der Rechtslage möglich, und zwar sogar bis zur Länge von zehn Jahren. Man kennt in Griechenland die kriminellen Praktiken mancher Schlepper und versucht, diese mit drakonischen Strafen abzuschrecken. Wenn ein Flüchtling auf einem solchen Transport stirbt (da gilt Artikel 88 des griechischen Gesetzes 3386/2005, geändert mit Gesetz 3536/2007 und 3772/2009), kann der Schlepper sogar zu lebenslanger Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe von 700.000 Euro verurteilt werden. Ich habe aber noch nie erlebt, dass es tatsächlich zu solchen Verurteilungen kam."

Herrn Gamperls Strafverfahren ist bis jetzt von der griechischen Justiz nicht eingestellt worden, sondern er wurde nur gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Seitdem haben sich die griechischen Behörden nicht mehr gemeldet. Wäre es möglich, dass die Justiz dieses Verfahren einfach ‚versacken‘ lässt?

Philipp Ortner: "Das dürfte nicht so sein, aber es könnte so kommen.  Eine solche Vorgehensweise würde tatsächlich der griechischen Mentalität entsprechen."

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