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EU-Reifenlabel Hersteller-Kennzeichnungspflicht für neue Reifen

LKW Reifengrafik Foto: Küppers, Rosenberger, Continental, Daimler, Scania, Grafik: Zebrowski 9 Bilder

Hersteller müssen ab 2012 neu zugelassene Reifen nach Energieeffizienz, Lärmentwicklung und Nassbremsverhalten auszeichnen.

Bei Haushaltsgeräten und Lampen sind Kennzeichnungen nach Energieeffizienzklassen seit mehr als zehn Jahren ein Muss. Sie geben Konsumenten Aufschluss darüber, wie gut die Geräte mit Energie haushalten – wobei A++ die beste, G die schlechteste Klasse markiert. Schon vor dem Kauf sind so Stromfresser enttarnt. Nach dem Willen der Europäischen Union sollen ab 2012 auch Reifen in solche Klassen eingestuft werden. Die Aussage der Energieeffizienz übernimmt dort der Rollwiderstand, der neben dem Luftwiderstand maßgeblich den Spritdurst eines Fahrzeugs bestimmt. Die EU-einheitliche Klassifizierung betrifft sowohl Lkw- als auch Pkw-Reifen. Zunächst war geplant, dass Lkw-Reifen sich nur in Rollwiderstand und Abrollgeräusch messen lassen müssen. Das ist inzwischen vom Tisch. Wie Pkw-Reifen auch, werden Lkw-Reifen zudem auf Traktion bei Nässe geprüft. „Bremsen auf nasser Fahrbahn wird kommen“, bestätigt Henk van Tuyl, Technikchef bei Goodyear Dunlop. Ab Ende Oktober 2012 müssen die Hersteller zunächst neu homologisierte Reifen bewerten lassen, ab 2016 sollen dann alle Pneus über ein Label verfügen. Zugleich verschärfen sich zum gleichen Zeitpunkt die Grenzwerte für neu zugelassene Reifen nochmals. Die strengeren Höchstwerte müssen dann wiederum alle Pneus weitere vier Jahre später erfüllen. Besonders schlechte Produkte der Klasse F fliegen nach den beiden Stichtagen aus dem Handel. 

Einzig besonders grobstollige Offroad-Spezialisten für Unimog und Co. sollen von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen sein. Die Grenzwerte zumindest für zwei Kategorien stehen laut Bernd Korte, Chefentwickler von Lkw-Reifen bei Continental, fest. Je nach Dimension, Einsatzzweck und Reifenposition fallen Lkw-Reifen in unterschiedliche Bewertungskategorien. Das hat technische Gründe. Beispiel Rollwiderstand: Reifen mit kleineren Durchmessern für leichte bis mittelschwere Lkw weisen größere spezifische Rollwiderstände auf als groß dimensionierte Reifen für schwere Lkw. Der spezifische Rollwiderstand ergibt sich aus dem Verhältnis von Rollwiderstand zur Traglast des Reifens in Kilogramm je Tonne. Das heißt: Der Aufwand, um einen Pneu zu drehen, wächst trotz des größeren Durchmessers nicht so stark wie die Traglast des Reifens zunimmt. „Es müssen daher alle Reifen in jeder Dimension zertifiziert werden“, fordert van Tuyl. Eine weitere Rolle spielt die Position des Reifensund damit dessen Funktion am Lastzug. Der Rollwiderstand eines in der Regel kaum profilierten Trailerreifens ist kleiner als der eines Pneus für die Antriebsachse. Lenkachs-, Winter- und Nahverkehrsreifen sowie Spezialisten für die Baustelle weisen ebenfalls höhere Rollwiderstände auf, weil sie für Spurführung beziehungsweise Griff auf losem Untergrund ausgelegt sind. Ein klassischer Zielkonflikt der Reifenentwicklung: Je gröber das Profil eines Reifen ist, umso mehr Halt bietet er, desto höher fällt aber auch der Rollwiderstand aus. Eine wichtige Rolle spielt der Einsatzzweck. Gebe es für alle Reifen nur einen Grenzwert hinsichtlich des Rollwiderstands würden beispielsweise Winterreifen und traktionsstarke Reifen für die Baustelle karikiert. Diese müssen schließlich auch auf glatter Fahrbahn beziehungsweise auf losem Untergrund greifen, was zwangsläufig mit einem schlechteren Rollwiderstand einhergehe. „Im Winter darf die Fuhre auch an den Kasseler Bergen nicht stehen oder auf der Baustelle stecken bleiben – Label hin oder her“, erklärt der Ingenieur. Für M+S-Reifen an der Antriebsachse wird es entsprechend einen Bonus von einem Kilo pro Tonne wegen der nötigen hohen Profiltiefe geben. „Die EU verlangt Verbesserungen von 15 bis 20 Prozent“, argumentiert Korte. Die Aufgabe gewinne schon dadurch an Komplexität, dass heutige Entwicklungen auf die Limits von 2016 hin optimiert würden.  Geht es allein um den Rollwiderstand, sieht Korte Conti gut aufgestellt – zumindest für das Jahr 2012. Fast alle Reifen würden den Grenzwert der Klasse F heute schon unterbieten (siehe Kasten Seite 54). Rollwiderstandsoptimierte Reifen würden demnach teilweise bis in die Klasse B vorstoßen, das Gros sich zumindest zwischen D und F tummeln. 

Einige Baureihen der Dimension 17,5 Zoll für die Antriebsachse und 22,5 Zoll für Bau, Nahverkehr und Winter nähern sich aber erst den höchstzulässigen Werten. Auch van Tuyl sieht Goodyear Dunlop ausreichend vorbereitet. „Unsere Produkte rangieren voraussichtlich zwischen den Kategorien A und E, vornehmlich im oberen Bereich. „Wir werden dieses Jahr noch einen Reifen bringen, der ganz vorne dabei ist.“ Einen weiteren Zielkonflikt bei der Reifenentwicklung bilden Traktion und Geräuschemissionen. Je besser ein Reifen greift, desto lauter rollt er ab. Er müsse sich schließlich mit der Fahrbahn verzahnen. „Diesen technischen Hintergrund will die EU beachten“, bestätigt Korte. Die Beratungen der Reifenindustrie scheinen gewirkt zu haben – der europäische Gesetzgeber nimmt inzwischen darauf Rücksicht. Es gelten je nach Reifenklasse eigene Grenzwerte. Traktionsreifen etwa dürfen zwei dB(A) lauter sein als herkömmliche Produkte für Lenk- und Antriebsachse (73 dB(A)), Winterreifen ein weiteres Dezibel, wobei sich die Bonuspunkte addieren, also ein Traktionsreifen, der zugleich Winterreifen ist, darf drei dB(A) lauter sein, also insgesamt 76 dB(A) Schallleistung emittieren. M+S ist allerdings nicht mehr die entsprechende Label-Klassifizierung. Diese firmiert künftig als Traction-Snow.  Die Zahl der Schallwellen auf dem Logo lässt erkennen, wie leise der Reifen abrollt. Drei Schallwellen nach dem Lautsprecher markiert Reifen die heutigen Grenzwerten entsprechen. Zwei Schallwellen gibt es für Reifen die künftige Limits erfüllen, eine für solche, die noch darunter liegen – ausgewiesene Straßenflüsterer also. Der Aspekt der Psychoakustik und des Klangdesigns bleibe beim aktuellen Entwurf der EU-Kommission aber außen vor.

„Bei der Geräuschklassifizierung tritt das Problem auf, dass das menschliche Ohr nicht nur laut und leise wahrnimmt. Es wertet bestimmte Frequenzen bei gleicher Schallleistung auch als angenehm oder unangenehm“, argumentiert Korte. Ein Reifen könne unangenehm hoch zirpen oder angenehm tief brummen.  Auch würden für die Kategorie „Bremsen auf nasser Fahrbahn“ Grenzwerte fehlen“, beklagt van Tuyl. Auch würden noch einheitliche Mess- und Zertifizierungsmethoden fehlen. Die müssten schnellstens her. Derzeit würde jeder Hersteller noch nach eigenem Gusto verfahren. Grundsätzlich sei das Label aber eine gute Sache. „Es ist ein Ansporn, um besser zu werden“, argumentiert van Tuyl. Auch Conti-Entwickler Korte begrüßt die auferlegten Standards. „Die EU räumt der Umweltfreundlichkeit Priorität ein. Das entspricht den Maßstäben, die der Continental-Konzern an sich selbst anlegt“, argumentiert er. Auch sei es richtig, hohe Ziele zu setzen.  Bei alledem dürfe der Gesetzgeber aber nicht den Kundennutzen außen vor lassen. „Wenn wir den Rollwiderstand verbessern, spart der Kunde zunächst einmal Sprit“, sagt Korte. Mit der derzeit verfügbaren Technik würde diese Verbesserung aber zu Lasten der Laufleistung gehen, denn die Hersteller müssten Profile verringern. „Transportunternehmer müssen also Reifen eher wechseln“, argumentiert er. Aber: „Durch die Rahmendefinition werden den Produzenten Freiheiten bei der Abstimmung der Zielkonflikte gewährt, um sich vom Wettbewerb zu unterscheiden“, sagt er.  Die Kompetenz der Hersteller würde sich dadurch zeigen, in diesen Spielräumen Kundennutzen zu schaffen. Ähnlich beurteilt der Goodyear Dunlop-Mann die Situation. Die Grenzwerte sind ehrgeizig, aber so können sich die Hersteller differenzieren“, erklärt er. Van Tuyl sieht auch keine Notwendigkeit andere wichtige Merkmale wie Laufleistung zu kennzeichnen. Das Wichtigste sei, dass die Runderneuerungsfähigkeit erhalten bleibe.  Keine Prognose will Korte abgeben, ob das Label Reifen für die Nutzer teuer macht. „Die Reifen müssen ihren Preis wert sein. Daher wollen wir so transparent wie möglich für die Kunden einen Reifen mit hohem Nutzen und niedrigen Betriebskosten produzieren." Van Tuyl ist sich dagegen sicher, dass das Label keinen Einfluss auf die Preise haben wird.

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