Digitale Plattformen in der Logistik Intelligente Vernetzung für mehr Transparenz

Lkw und Pkw auf einer Autobahn Foto: Alev Atas/ETM 4 Bilder

Intelligente Vernetzung soll die Logistik auf ein neues Niveau heben. Plattformen wie Fleetboard sehen dabei das Nutzfahrzeug als Dreh- und Angelpunkt. Andere wie RIO oder die DHL-Tochter Saloodo! setzen auf die Cloud. Sicher ist eines: Vernetzung funktioniert nur, wenn alle mitmachen. Offene Plattformen sind das Gebot der Stunde. Eine Bestandsaufnahme in einem durchaus turbulenten Markt.

Wie sich die Zeiten ändern. Noch vor Jahresfrist lehnte Andreas Renschler, Chef von Volkswagen Truck & Bus, in verschiedenen Interviews die Zusammenarbeit mit anderen Herstellern beim Thema Digitalisierung kategorisch ab. Die neue "Vernetzungslösung", die damals am Beginn ihrer Entwicklung stand, sollte ausschließlich den Volkswagen-Konzernmarken zur Verfügung stehen. Mit Seitenblick auf Daimler schloss er andere Hersteller als Partner aus. Im Herbst 2016 wurde dann die Digitalplattform RIO aus der Taufe gehoben. Sie hat ihren operativen Betrieb zwar noch nicht aufgenommen, ihr Ansatz klingt aber aufgeschlossener, als die damaligen Äußerungen Renschlers vermuten lassen. "Mit RIO schaffen wir eine offene Plattform, um das gesamte Ökosystem Transport und Logistik in allen Facetten zu verbessern", sagt Frank Tinschert, Vice President Marketing und Sales bei RIO.

"Wir laden Partner ein, die eigenen Dienstleistungen und Services auf unserer Plattform einzubringen. Das geht von Anbietern spannender Apps bis hin zu unseren Wettbewerbern, die mit ihren eigenen Fahrzeugen und Telematiksystemen unterwegs sind. Denn die allermeisten Unternehmen verfügen über einen gemischten Fuhrpark."

Mit Fleetboard-Manager-App kostenloser Einstieg in Konnektivität

Die neue Einladungskultur hat einen handfesten Grund. Noch ist nicht klar, welche Plattform das Rennen machen wird. Wichtigste Zutat für den Erfolg ist eine grundlegende Erfordernis der digitalen Wirtschaft: die hinreichend kritische Masse, also eine ausreichende Anzahl an Teilnehmern und Partnern. So betonen Konzerne wie Volkswagen, Daimler und Deutsche Post DHL im gleichen Tempo, wie sie neue Features ihrer digitalen Logistikplattformen ankündigen, auch die große Offenheit ihrer Marktplätze. Daimler beispielsweise ergänzt das Fleetboard-Telematiksystem um den Fleetboard Store, dessen Apps nicht nur in Lkw von Mercedes-Benz, sondern auch in Fahrzeugen aller Fremdmarken nutzbar sein sollen. "Aktuell bieten wir mit der Fleetboard-Manager-App allen Mercedes-Benz-Kunden den einfachen, schnellen und kostenlosen Einstieg in die Konnektivität", sagt Daniela Gerd tom Markotten, Leiterin Digital Solutions & Services bei Mercedes-Benz Lkw. "Der nächste logische Schritt ist, unser System auch für Dritte zu öffnen. Das setzen wir beispielsweise mit dem Fleetboard-Store für Apps um."

Die App-Plattform von Daimler zeigt beispielhaft, wohin die Reise gehen wird. Neue Ideen werden schnell ins System eingespielt und zum Download angeboten. Der Drahtseil-Hersteller Brugg-Lifting etwa steuert eine App zur Berechnung der Ladungssicherung bei, Continental die App-gesteuerte Kontrolle von Temperatur und Druck aller Lkw-Reifen in Echtzeit, Schmitz Cargobull und Krone Apps zur Überwachung des Trailers mitsamt Kühlaggregat und EuroTransportMedia, Verlag dieser Zeitschrift, eine App mit Informationen zu Markttrends und Branchenterminen. Hinzu kommen Apps zu günstigen Tankstellen oder zu noch freien Parkmöglichkeiten entlang der aktuellen Route. Zusätzlich zu den Apps von Drittanbietern stellt Daimler Trucks auch eigene Anwendungen bereit, etwa zur Optimierung des Laderaums, indem die Kamera des herausnehmbaren Fahrer-Tablets von Fleetboard freien Laderaum dokumentiert, oder die CuCo-App, die den Fahrer an Ruhezeiten oder beispielsweise das Einschalten der Scheinwerfer erinnert.

Transportindustrie mit digitalen Diensten revolutionieren

Das alles soll aber kein Stückwerk sein, sondern einem übergeordneten Ziel dienen. "Wir wollen die Transportindustrie mit digitalen Diensten revolutionieren", sagt Daniela Gerd tom Markotten. "Dabei denken wir über die Grenzen der traditionellen Geschäftsfelder hinaus." Die dafür notwendige Agilität will die Lkw-Sparte von Mercedes-Benz sicherstellen, indem der Bereich "Digital Solutions & Services" organisatorisch eigenständig ist und gleichzeitig auf mittlerweile 180.000 Fahrzeuge zurückgreifen kann, die mit einer Fleetboard-Telematikeinheit unterwegs sind. "Durch die intelligente Vernetzung wird der Straßengüterverkehr nun auf ein komplett neues Niveau gehoben. Der Lkw wird dabei zum zentralen Datenknoten, der sendet und empfängt", sagt Daniela Gerd tom Markotten. Gemeint ist damit das neue, fest eingebaute Vernetzungsmodul "Truck Data Center", das kontinuierlich den Status der Fahrzeugsysteme prüft und an den Fuhrparkunternehmer sendet. Über die Vernetzung mit Werkstätten sollen damit jetzt auch Echtzeit-Diagnosen und vorausschauende Wartung der Fahrzeuge möglich werden.

Wohl auch aus historischen Gründen bietet das im Jahr 2000 gestartete Fleetboard-System allerdings immer noch überwiegend fahrzeugbezogene Dienste an. Die Vernetzung der gesamten Lieferkette vom Auftraggeber über Transportunternehmen, Fahrer und Fahrzeug bis hin zum Empfänger bietet noch ein großes Feld für Erweiterungen. Ein Feld, das genauso andere bestellen. Volkswagen Trucks & Buses etwa beansprucht mit einem unter Federführung von MAN entwickelten System gleich die ganze Logistikkette für sich. "Wir wollen auf RIO sämtliche Logistikdaten zusammenführen und je nach Prozess in sinnhafte Abhängigkeiten stellen, um daraus wertschöpfende Zusatzinformationen und Handlungsempfehlungen für unsere Anwender zu generieren", beschreibt Frank Tinschert die Zielsetzung. "Dabei fokussieren wir uns nicht nur auf den Lkw als Mittel des Transports, sondern wollen unseren Kunden ermöglichen, an der gesamten digitalen Wertschöpfungskette teilzunehmen."

Globalen Wertschöpfungsprozess vollständig transparent machen

Dabei geht es insbesondere auch um kleine und mittelständische Unternehmen, die lediglich über ein begrenztes Ressourcenmanagement verfügen. "Es geht weniger um Kostensenkung, wie dies klassische Telematiksysteme anbieten – das ist nur ein Teil des Ganzen", sagt Tinschert. "Der viel größere Hebel liegt darin, die Auslastung zu erhöhen und damit dem Spediteur zu ermöglichen, mehr Umsatz und Profit zu erwirtschaften." Um das zu erreichen, setzt Tinschert auf die Cloud. Denn RIO ist eine Software-Plattform und nicht notwendigerweise an eine bestimmte Hardware wie die RIO-Box gebunden, mit denen ab diesem Jahr alle MAN-Lkw und optional auch die Scania-Trucks ausgestattet werden. "Wir wollen einen globalen, digitalen Wertschöpfungsprozess vollständig transparent machen. Dafür brauchen wir alle relevanten Daten, die an jedem einzelnen Prozessschritt vom Sender bis zum Empfänger entstehen." Darin liegt ein Grund, warum RIO als offene Plattform angelegt ist: Möglichst viele Daten aus vielen verschiedenen Quellen zu sammeln, zu verdichten und über von Partnern entwickelte Anwendungen zu vermarkten. Darüber hinaus entwickelt RIO aber auch eigene Dienste. Geld verdienen will die Volkswagen Trucks & Buses-Tochter vor allem mit Gebühren, die die Plattform für die Nutzung ihrer Services erhebt.

Eigene Anwendungen werden derzeit von RIO noch nicht benannt – bis auf einen Dienst, der digitale Zugangsschlüssel für Fahrzeuge erstellt und eine erweiterte Navigation, die den Fahrer unter anderem direkt zur Abladestelle am Zielpunkt führt und die dabei entstehenden Auslieferungsprozesse dokumentiert. Gemeinsam mit dem Partnerunternehmen LoadFox bietet RIO einen Dienst an, der freie Laderaumkapazitäten kurzfristig vermarktet und – wenn möglich – durch weitere Aufträge entlang der Strecke ergänzt. LoadFox berücksichtigt dabei wichtige Faktoren wie die vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten des Fahrers oder die mit dem eigentlichen Auftraggeber vereinbarten Service-Level-Agreements wie etwa Transport- und Abladezeiten. Weitere Dienste seien in Arbeit, versichert Tinschert. "Die Wichtigste ist aber die Plattform an sich, die für den gesamten Logistikprozess offen ist." Betrachtet man jedoch die ganze Wertschöpfungskette, so fällt auf, dass weder Fleetboard noch RIO – außer bei der Optimierung und Vermarktung freier Laderaumkapazitäten – an der eigentlichen Vermittlung von Transportaufträgen arbeiten.

Saloodo bietet auch eine Fahrer-App an

An diesem durchaus zentralen Service arbeitet ein anderes Unternehmen, das an dieser Stelle nicht unbedingt überrascht: die Deutsche Post DHL. Nach einer viermonatigen Testphase startete der Logistikkonzern im Januar 2017 das Tochterunternehmen Cillox, das mittlerweile unter dem Namen "Saloodo!" firmiert. Dessen Chef Amadou Diallo will mit dem Start-up die Logistikkette schließen: "Mit ihren Plattformen wollen die Fahrzeughersteller das Leben der Fahrer und Fuhrparkunternehmer vereinfachen", sagt der Senegalese, der zuvor CEO von DHL Freight war. "Die Nutzung der Fahrzeuge erfolgt wiederum mehrheitlich durch Logistikunternehmen wie uns, und wir stellen in der Logistikkette die Verbindung zum Kunden dar."

Saloodo! ist eine digitale Frachtplattform, die Versender mit zertifizierten Transportunternehmen zusammenbringt. Dazu können sie sich auf dem virtuellen Marktplatz kostenlos registrieren; nachdem der Versender seine Daten in einen sogenannten Sendungs-Assistenten eingegeben hat, schlägt dieser einen Richtpreis vor. Innerhalb der nächsten 90 Minuten können Transportunternehmen dann ein Angebot abgeben. Wenig verwunderlich bei der DHL-Tochter: Ein Angebot von DHL ist immer dabei. Was das Angebot dann aber doch in die Nähe der Plattformen der Nutzfahrzeughersteller bringt, ist die Tatsache, dass Saloodo auch eine Fahrer-App anbietet, über die das Transportunternehmen Aufträge direkt seinen Fahrern zuweisen kann und mit der die Fahrer dann den Auftrag dokumentieren können – zum Beispiel, dass die Ladung in Empfang genommen wurde und unbeschädigt war.

Wettlauf zwischen den Marktspielern hat begonnen

Versender, Transportunternehmen und Fahrer können über ein Dashboard jederzeit auf diese Daten zugreifen. Mit ihrer Idee gibt die DHL-Tochter Gas: Nach nur zwei Monaten im Markt sind auf Saloodo! bereits rund 3.700 Nutzer registriert; die mehr als 1.300 verifizierten Transportunternehmen und Speditionen haben mehr als 140.000 Fahrzeuge im Einsatz. Nach Angaben des Unternehmens wurden bislang allerdings erst 5.800 Transaktionen abgewickelt. In einer nächsten Softwareversion sollen auch freie Laderaumkapazitäten angeboten werden. Das erinnert wiederum an die Ideen von Fleetboard und RIO.

Die Abgrenzung fällt schwer. Am Ende wird sich die Frage stellen, welchen Vorteil die fest verbaute Hardware im Lkw bringt, wenn die Cloud-Angebote über jedes beliebige Device abgerufen werden können. Der Wettlauf zwischen den Marktspielern hat begonnen. Und bei aller Offenheit ist klar: Auf der Poleposition würde jeder Beteiligte gerne Platz nehmen.

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