Abgasturbolader Druck muss sein

Foto: Frank Zeitzen, Hersteller 5 Bilder

Ohne Turbo geht im Lkw fast nichts. Der Abgasturbolader sorgt längst nicht mehr nur für reichlich Drehmoment. Er trägt auch dazu bei, dass die Schadstoffe im Abgas sinken. Und er ist mit seiner Entwicklung noch längst nicht am Ende.

Vergleichsweise gemütlich ging es in den ersten Turboladern zu. 500 Grad war die maximale Abgastemperatur, 50.000/min galten als obere Drehzahlgrenze. Bei diesen Eckwerten blieb es lange. Erst mit den vor rund 20 Jahren einsetzenden Abgas-Vorschriften bewegten sich Drehzahlen, Temperaturen und auch Ladedrücke nach oben. Übliche Abgasturbolader im Lkw-Diesel werden heute mit 700 Grad (und mehr) heißen Abgasen konfrontiert, die Drehzahlen der Lader erreichen 115.000/min bei großen Lkw-Motoren ab zwölf Liter Hubraum und 140.000/min bei den kleineren Motoren. Bei den kompakten Ladern in Pkw sind gar 300.000/min üblich.  
Der grundsätzliche Aufbau eines Laders bleibt bestehen
In all den Jahren seit seiner Erfindung hat sich um grundsätzlichen Aufbau eines Laders nicht viel geändert. Die heißen Abgase durchströmen ein Turbinengehäuse und treiben den Läufer an, der über eine Welle mit dem Verdichterrad im Verdichtergehäuse verbunden ist. Hier entsteht der Druck, mit dem die Ansaugluft in die Zylinder gelangt. Seinen Ursprung hat der Abgasturbolader in einer Erfindung des Schweizers Alfred Büchi im Jahr 1905. Doch dauerte es recht lange, bis seine patentierte Erfindung im Straßenfahrzeug Einzug hielt. Die ersten Lkw-Turbodiesel gab es Ende der 20er Jahre von Saurer in der Schweiz.
Der TD96 im Volvo-Hauber L 395 Titan ist der erste Serien-Turbodiesel
Als erster in großer Serie produzierter Turbodiesel gilt der 1954 vorgestellte TD96 im Volvo-Hauber L 395 Titan, der von einem Eberspächer-Lader noch relativ sanft aufgeladen wurde (absoluter Ladedruck 1,5 bar). Die Leistung des 9,6 Liter großen Sechszylinders stieg damit in einem ersten Schritt von 150 auf 185 PS, später auf 230 PS. Leistungssteigerung per Aufladung hieß es in den Kinderjahren der Abgasturbolader also. Dass der Turbolader einst eine wichtige Rolle bei der Schadstoffreduzierung spielen sollte, war damals nicht zu ahnen. Auch der Ladeluftkühler diente erst einmal der Leistungssteigerung und kühlte die per Komprimierung erhitze Ansaugluft. Bei gleichem Volumen gelang also eine größere Luftmenge in die Zylinder. Heute ist die Ladeluftkühlung fester Bestandteil der Abgasreinigung eines Lkw-Motors. Die gekühlte Luft reduziert die Verbrennungstemperatur und damit das Entstehen von Stickoxiden.
 
Ladedruckregelung mit Bypass oder Wastegate
Ein erster und wichtiger Schritt der Turbolader-Optimierung war die Ladedruckregelung mit einem Bypass oder Wastegate. Zuerst pneumatisch, um den Volllastladedruck zu begrenzen. Ab einer festgelegten Drehzahl steigt der Ladedruck somit nicht mehr an. Etwas flexibler ist die elektronische Regelung, die auch eine Regelung bei Teillast zulässt.
Der Turbocompound-Antrieb eingesetzt von Scania
Ganz unauffällig verrichtete der Turbo in fast allen Lkw fortan seinen Dienst. Für Schlagzeilen sorgte vor knapp 20 Jahren der erstmals von Scania im Lkw eingesetzte Turbocompound-Antrieb. Diese Art der Aufladung war zwar schon lange von Schiffsmotoren her bekannt und eignet sich bestens für stationären Betrieb. Die Schweden machten dieses Prinzip erstmals für den Lkw tauglich. Die generelle Idee: Wenn die Abgase den Turbolader verlassen beträgt die Temperatur immer noch 550 bis 600 Grad. Mit dieser Energie lässt sich ohne weiteres eine zweite (nachgeschaltete) Turbine antreiben, die über eine hohe Übersetzung und eine hydraulische Kupplung auf die Kurbelwelle wirkt. An diesem Prinzip hat Scania lange festgehalten, Volvo folgte zehn Jahre später. Beide Hersteller haben die Weiterentwicklung des Turbocompound-Antriebs (vorerst) eingestellt. Auf breiter Front durchgesetzt hat sich dieses Prinzip also nicht. Der konstruktive Aufwand ist hoch, der finanzielle Aufwand ebenso.
Zweistufiger Lader von Borg Warner
Ähnlich hoch gerät der Aufwand beim zwei-stufigen Lader, wie ihn beispielsweise Borg Warner  Jahr 2005 auch für Lkw-Motoren vorgestellt hat.  Das System besteht aus zwei  unterschiedlich großen und in Reihe geschalteten Turboladern - einer Niederdruck- und einer Hochdruckturbine (siehe auch Grafik auf Seite 21). Dabei besteht die Möglichkeit, entweder alle Abgase durch die Hochdruckturbine oder einen Teil davon  durch die Niederdruckturbine zu leiten. Dies ermöglicht eine stufenlose variable Anpassung der Turbinen- und Verdichterseite. Mit positivem Effekt für den Drehmomentverlauf, den Verbrauch und die Schadstoffemission.
Turbolader mit variabler Turbinengeometrie
Weniger aufwändig konstruiert ist der Turbolader mit variabler Turbinengeometrie (kurz: VTG). Iveco war im Jahr 1998 der erste Hersteller, der Motoren mit einem VTG-Lader (Lieferant Holset) entwickelt hatte. Variabel heißt im Fall VTG, dass es eine turbinenseite Regelung für den Abgasstrom gibt. VTG und auch der zwei-stufige Lader sind recht teure Bauteile. Gemessen am herkömmlichen Lader beträgt der Preis mehr als das Doppelte. Was wohl bedeutet, dass der herkömmliche (ladedruckgeregelte) Lader noch lange nicht ausgedient hat.  
Der assymetrische Lader
Dass er weiter entwickelt werden kann zeigt das Beispiel des assymetrischen Laders - eine patentiere Erfindung von Mercedes, die von Borg Warner gebaut wird und im neuen Actros zum Einsatz kommt. Assymetrisch heißt hier, dass der Lader über zwei Abgasfluten (je eine Flut für drei Zylinder) mit unterschiedlich großem Querschnitt verfügt. In der kleineren Flut entsteht ein höherer Abgasgegendruck, was sich für eine effektive Abgasrückführung bestens nutzen lässt.
 
 
Blick in die Zukunft
 
 
Und wie geht es weiter? Bei den in Zukunft noch höheren Literleistungen muss der Ladedruck nach oben. Bei einstufigen Ladern auf 3,5 bar und mehr, bei zweistufigen auf über 5,0 bar. Beliebig allerdings lassen sich die Drücke und Temperaturen im Brennraum mit Blick auf die Lebensdauer der Motoren und auch der Lader nicht steigern. So könnte der nächste Entwicklungschritt durchaus heißen: Assymetrischer Lader mit variabler Geometrie.
Turbocompound: Aufwändig, aber sparsam
 

Turbocompound-Antrieb in den Lkw brachte, steckten die Abgasvorschriften noch in den Kinderschuhen. Es galt Euro 0, Euro 1 stand vor der Tür und Euro 6 war überhaupt kein Thema. So nutzte Scania den Turbocompound-Antrieb hauptsächlich, um zusätzliche, kostenlose Leistung aus dem Abgas zu generieren. Am Erstling DTC 1101 (links im Bild) ist die Bosch-Reiheneinspritzpumpe noch deutlich auszumachen und die aufwändige Kraftübertragung der zweiten Turbine zur Schwungscheibe deutlich zu sehen. Unter anderem galt es schließlich, die 50.000 Umdrehungen der Turbine auf Motordrehzahlniveau zu reduzieren. In allen Tests, die lastauto omnibus damals mit dem 401 PS starken R113 machte, überzeugte er mit viel Kraft und wenig Verbrauch.  
 
 
 Variable Aufladung: Stand der Technik
 
 
Als erster Lkw-Hersteller nutzte Iveco einen Vorteil der variablen Turbinengeometrie bei den Cursor-Motoren mit 7,8 bis 12,8 Liter Hubraum: Die Möglicheit zum optimalen Einsatz der gesamten Abgasmenge in allen Drehzahl- und Lastbereichen. Downsizing beim Lkw-Motor wurde damit erstmals realistisch. Der Erstling, der nur 7,8 Liter große Cursor 8 lieferte 352 PS und 1.280 Nm von 1.080 bis 1.900/min. Hauptsächlich der weit ausgedehnte Bereich des maximalen Drehmoments machte die hohe Literleistung von gut 45 PS/Liter erst möglich. Im Schubbetrieb lässt sich der VTG-Lader darüber hinaus bestens zur Steigerung der Motorbremsleistung nutzen. Seit 2007 nutzt auch Scania den VTG-Lader. Und zwar erstmals in den damals neuen Motoren mit 12,7 Liter Hubraum. Aber nicht zum Downsizing sondern zur optimalen Steuerung der Abgasrückführung

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