Über den eActros LongHaul: Auf Tour mit Karin Rådström

Über den eActros LongHaul
Auf Tour mit Karin Rådström

Welches sind die nächsten Meilensteine bei der E-Mobilität? Karin Rådström, Chefin von Mercedes-Benz-Lkw, spricht exklusiv mit eurotransport.de über den eActros LongHaul und die Anforderungen an die Ladeinfrastruktur.

Auf Tour mit Karin Rådström
Foto: VDA/Boris Loeffert
eurotransport.de: Frau Rådström, auf der IAA Transportation wird der eActros LongHaul das Highlight auf Ihrem Stand sein. Was macht das Fahrzeug in Ihren Augen so besonders?

Rådström: Die Besonderheit liegt darin, dass es sich um eine batterieelektrische Zugmaschine handelt. Es ist aus technischer Sicht deutlich anspruchsvoller, einen schweren Truck zu elektrifizieren als ein Verteilerfahrzeug. Und natürlich haben unsere Kunden, die im Fernverkehr tätig sind, andere Anforderungen als unsere Kunden im Stückgut- oder Verteilerverkehr. Ein wichtiger Punkt sind hier die Lademöglichkeiten und Ladezeiten.

Ist der eActros LongHaul fit für die neue Stufe des Megawatt-Ladens?

Ja, Flottenbetreiber können den eActros LongHaul mit etwa einem Megawatt Leistung laden. Das ermöglicht ihnen kurze Lade- und hohe Einsatzzeiten. Hinzu kommt die hohe Reichweite von etwa 500 Kilometern nach einem vollständigen Ladevorgang. Das macht das Fahrzeug sehr wettbewerbsfähig.

Das dürfte die meisten Anforderungen Ihrer Kunden abdecken – zumal das Fahrzeug in den Fahrerpausen ja schnell wieder aufgeladen werden kann. Ergibt sich da noch die Notwendigkeit, zusätzlich einen Wasserstoff-Brennstoffzellen-Lkw zu produzieren?

Wir gehen in der Entwicklung zum einen natürlich von den Anwendungsfällen unserer Kunden aus: Batterieelektrische Lkw ergeben bis etwa 500 Kilometer, eines Tages vielleicht bei bis zu 700 Kilometern, mit einer Batterieaufladung Sinn. Für deutlich größere Reichweiten, flexiblere und anspruchsvollere Einsätze quer durch Europa brauchen wir Wasserstoff. Zum anderen spielt aber auch die Verfügbarkeit alternativer Energieträger eine wichtige Rolle. Es ist sehr anspruchsvoll, ein Ökostrom-Hochleistungsladenetz bis in die entlegendste Region aufzubauen. Ich kann mir vorstellen, dass ein Wasserstoff-Tankstellennetz – ebenfalls mit der Prämisse, dass es sich um grünen Wasserstoff handelt – seine Vorteile bei der Energieverteilung ausspielen kann. Das werden wir voraussichtlich ab der zweiten Hälfte des Jahrzehnts erleben.

Welche Technologie ist kostenseitig im Vorteil?

Hier gibt es weiterhin große Ungewissheiten – vor allem zur Preisentwicklung von nachhaltig produziertem Strom und Wasserstoff. Was kostet die Kilowattstunde Ökostrom künftig – sind es 15 oder 40 Cent? Und was kostet das Kilogramm Wasserstoff künftig – sind es drei oder sechs Euro?

Abhängig von diesen Faktoren kann die Antwort, welche Technologie die beste TCO-Rechnung ergibt, sich immer wieder ändern. Aber darauf hat ein Fahrzeugbauer keinen Einfluss. Daher ist es für Daimler Truck nur vernünftig, auf beides vorbereitet zu sein. Da batterieelektrische Antriebe den höchsten Wirkungsgrad unter den alternativen Antrieben aufweisen, wird der eActros LongHaul signifikante wirtschaftliche Vorteile bieten. Profitabilität für unsere Kunden ist auch ein zentraler Bestandteil unserer Gesamtlösung, die wir mit dem eActros LongHaul bieten wollen.

Wie sieht der Zeitplan bei diesem Fahrzeug aus?

Die Prototypen werden noch in diesem Jahr zur Erprobung auf öffentlichen Straßen starten. Die Kundenerprobung soll dann im Lauf des nächsten Jahres folgen.

Was den kleinen Bruder, den eActros für die Distribution angeht, sind die Rückmeldungen – wie aus Ihrem Haus zu hören ist – sehr positiv. Das heißt, Sie sind rundum glücklich?

Es liegt in meiner Natur, dass ich mich selten mit dem Status quo zufrieden gebe. Aber im Ernst: Natürlich freut es mich, dass die Rückmeldungen so positiv ausfallen. Im realen Betrieb außerhalb von Testeinsätzen geht es für uns darum, noch tiefer in das Thema einzutauchen und Fragen zu klären, die sich erst jetzt ergeben – ganz konkret vor allem zu Verfügbarkeit und Anforderungen an die Ladeinfrastruktur. Wir haben kürzlich ein großes Fahrevent für 750 Flottenbetreiber organisiert, bei dem ebenfalls zahlreiche Fragen zu diesem Thema aufkamen.

Wie viele dieser 750 Unternehmen haben denn schon bei Ihnen geordert …?

Da müssen Sie die Unternehmen selbst befragen. Spaß beiseite: Das Orderbuch füllt sich.

Und was sagt Ihr Orderbuch aktuell?

Es geht voran. Wir liegen im Plan, ich bitte aber um Verständnis, dass wir konkrete Zahlen zu einzelnen Modellen grundsätzlich nicht kommunizieren.

Inwiefern sind die Voraussetzungen auch bei der Produktion des eActros durch die Probleme in der Lieferkette erschwert?

Wir versuchen, den eActros gegenüber dem Diesel-Pendant zu priorisieren. Insofern gibt es etwas kürzere Lieferzeiten als beim konventionellen Actros. Wenn Sie heute einen eActros bestellen, sind wir in der Regel in der Lage, ihn in einigen Monaten auszuliefern.

Der Erfolg steht und fällt auch mit dem regulatorischen Rahmen. 80 Prozent der Mehrkosten übernimmt im Fall eines positiv beschiedenen Förderantrags der Bund. Wie beurteilen Sie die Anreize in Deutschland?

Diese Art der Förderung ist natürlich sehr, sehr gut. Der Teufel steckt allerdings im Detail. Das Förderniveau ist in der Tat sehr hoch, von außen betrachtet sieht alles optimal aus. Doch das Antragsverfahren hat sich erst mal als schwierig entpuppt. Statt anfänglich geplanten mehreren Förderaufrufen gibt es aktuell nur einen Förderaufruf pro Jahr.

Das verursacht große Schwierigkeiten für uns als Hersteller, aber auch für unsere Kunden. Im schlimmsten Fall muss der Kunde ein weiteres Jahr warten. Entsprechend verzögern sich die Bestellung des Fahrzeugs sowie der Aufbau der Ladeinfrastruktur – es gibt keine Bestellung ohne einen Förderbescheid. Wir hoffen, dass dies im Zusammenhang mit zukünftigen Förderaufrufen besser gestaltet wird und auch die Bearbeitung schneller erfolgen kann. Darüber hinaus wünschen wir uns für die Zukunft mehr Transparenz, mehr Praxisorientierung und die Berücksichtigung der Betriebsstunden anstatt der Kilometerlaufleistung je nach Anwendung.

Haben Sie diese Wünsche schon dem Ministerium vorgetragen?

Wir haben über diese und weitere Themen mit den Verantwortlichen im Bundesverkehrsministerium gesprochen. Im zweiten Förderaufruf hat dies bereits Anklang gefunden, zum Beispiel durch die zukünftige Berücksichtigung von Sonderfahrzeugen mit geringerer Laufleistung. Generell geht das Programm somit in die richtige Richtung.

Kunden wollen wissen, wo sie ihr E-Fahrzeug laden können – Sie sprachen es an. Welche Herausforderungen warten hier noch auf die Branche?

Zum einen sind die Voraussetzungen je nach Region in Deutschland sehr unterschiedlich, so dass die ideale Ladelösung immer auch von den jeweiligen Gegebenheiten abhängt. Das macht das Ganze etwas kompliziert. Wichtig ist auch, dass man weitere Flächen – auch auf den Logistikhallen nutzt, um grünen Strom zu produzieren. Über eine Tatsache darf das alles aber nicht hinwegtäuschen: Es braucht massive Investitionen in das Stromnetz, um ein Hochleistungsladenetz in Deutschland aufzubauen. Diese Investitionen sehen wir noch nicht im nötigen Umfang.

Sie selbst wollen hier ebenfalls Ihren Beitrag leisten und gemeinsam mit Traton und Volvo ein Netz von 1.700 Ladepunkten entlang wichtiger Achsen, aber auch an Logistik-Drehkreuzen aufbauen. Dafür investieren Sie gemeinsam 500 Millionen Euro. Wie ist der Stand der Dinge?

Wir haben im Juli den letzten Schritt zur Gründung des gemeinsamen Joint Ventures bekanntgegeben. Es handelt sich um ein eigenständiges Unternehmen, wobei jeder Gesellschafter mit einem Vertreter im Aufsichtsrat vertreten sein wird – ergänzt durch drei externe Manager. Sitz des Unternehmens ist Amsterdam.

Zur Person

  • Karin Rådström ist seit 1. Dezember 2021 Mitglied des Vorstands der Daimler Truck Holding und in dieser Funktion verantwortlich für die Regionen Europa und Lateinamerika sowie die Marke Mercedes-Benz Lkw. Sie ist außerdem Vorstandsmitglied der Daimler Truck AG.
  • Die 43-jährige Ingenieurin startete ihre Karriere bei Scania, wo sie 2004 als Trainee begann und seit 2007 unterschiedliche Führungsfunktionen inne hatte. 2016 wurde sie zum Senior Vice President und übernahm die Verantwortung für den Busbereich bei Scania. Von 2019 bis 2020 war Rådström als Mitglied der Geschäftsleitung für Vertrieb und Marketing bei Scania verantwortlich.
  • Die Schwedin hat ihren Abschluss als Master of Engineering in Industrial Management an der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm gemacht. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Rådström liebt den Sport – sei es Skifahren oder das Rudern.

Die Dienstfahrt mit Karin Rådström

  • Fahrzeug: Mercedes-Benz V-Klasse
  • Abfahrtsort: Hotel Hilton, Frankfurt
  • Zielort: IAA Experience Campus am Frankfurter Flughafen
  • Entfernung: 16,2 Kilometer
  • Dauer: 12:30 Minuten