Truck Talk Podcast (5) Das vorprogrammierte Grenzchaos

Truck Talk Folge 5 Grenzüberschreitung
Podcast

Das Mobilitätspaket I ist ein Bündel an Vorschriftenänderungen in mehreren Rechtsgebieten, die alle zusammen bis spätestens Mitte 2026 den ungleichen Wettbewerb im Güterverkehr auf der Straße fairer machen sollen. Am Ende dieses langen Zeitraums bauen sie aufeinander auf. In der Folge 5 des Truck Talk geht es um neue und geänderte Aufzeichnungs-, Nachweis- und Mitführpflichten für die Lkw-Fahrer.

Der 2.2.2022, das ist schon heute unschwer vorhersehbar, ist der nächste ideale Termin, um zu heiraten. Denn dieses Datum wird niemand so schnell vergessen. Vielleicht war es auch die Intention der Teilnehmer der Triloge aus EU-Kommission, EU-Verkehrsministerrat, EU-Parlament und der Vertreterin der finnischen Ratspräsidentschaft im vergangenen Jahr, einen Termin ins Auge zu fassen, den sich bereits jetzt jeder leicht merken kann, um an diesem Tag europaweit ein vorprogrammiertes Chaos an den eigentlichen offenen Binnengrenzen herbeizuführen. Denn ab diesem Tag sind alle Lkw-Fahrer verpflichtet, jeden Grenzübertritt manuell im digitalen Tacho einzugeben. Und zwar unmittelbar, nachdem sie eine Grenze überschritten haben.

Die Änderung im Artikel 34 der Verordnung (EU) Nr. 165/2014, die alle Details des Fahrtenschreibers regelt, ist notwendig, um die im Mobiltätspaket bereits angelegten Änderungen bei den Entsendevorschriften und bei der Kabotage, auf die wir in den nächsten Folgen des Truck Talk noch eingehen werden, besser kontrollieren zu können. Bislang hieß es im Absatz 7 des Artikel 34 lediglich: „Der Fahrer gibt in den digitalen Fahrtenschreiber das Symbol des Landes ein, in dem die tägliche Arbeitszeit begann beziehungsweise endete.“

Zusätzlich steht dort nun: „Ab dem 2. Februar 2022 gibt der Fahrer auch das Symbol des Landes ein, in das er nach Überqueren einer Grenze eines Mitgliedstaats einreist, und zwar zu Beginn seines ersten Halts in diesem Mitgliedstaat. Der erste Halt erfolgt auf dem nächstmöglichen Halteplatz an oder nach der Grenze. Wird die Grenze eines Mitgliedstaats mit dem Fährschiff oder der Eisenbahn überquert, so gibt er das Symbol des Landes im Ankunftshafen oder -bahnhof ein. […] Die Fahrer brauchen die Angaben nach Unterabsatz 1 nicht zu machen, wenn der Fahrtenschreiber Standortdaten gemäß Artikel 8 automatisch aufzeichnet.“

Was diese Neuerung für die Praxis bedeuten könnte, darüber diskutieren Götz Bopp und Jan Bergrath in ihrem „lockeren Zwiegespräch“, wie es ein Hörer nun über die Folge vier geschrieben hat. Es wird - vor allem an stark frequentierten Grenzübergängen - unweigerlich zu Rückstaus kommen, deren Länge heute noch nicht absehbar ist, wenn tatsächlich alle betroffenen Fahrer an der Grenze oder am nächstmöglichen Halteplatz hinter der Grenze ihr Fahrzeug anhalten müssen. Für einen derartigen Andrang sind die Grenzübergänge wohl nur in den seltensten Fällen ausgelegt. Gut möglich auch, dass es deshalb im Laufe des kommenden Jahres eine weitere Leitlinie der EU-Kommission geben wird, die Hinweise enthält, in welchem Umkreis um einen Grenzübergang die Eingabe des Landessymbols vorgenommen werden kann und ob es vielleicht doch möglich ist, die Eingabe im Zusammenhang mit einer Fahrtunterbrechung vorzunehmen, wenn diese (sehr) grenznah eingelegt wird.

Da die Kommission aber mit vielen anderen Änderungen aus dem Mobilitätspaket deutlich größere Auslegungsschwierigkeiten auszuräumen hat, könnte es auch passieren, dass eine Klarstellung an dieser Stelle unterbleibt. In jedem Fall dürfte klar sein, dass die vorhersehbaren Grenzstaus kein „außergewöhnliches Ereignis“ sind, um etwa am Freitag als deutscher Lkw-Fahrer im kleinen Grenzverkehr auf hochfrequentierten Autobahnen zwischen Deutschland und etwa Belgien, Dänemark, den Niederlanden oder Österreich danach die Lenkzeit um ein bis zwei Stunden zu verlängern, um noch für die wöchentlichen Ruhezeiten nach Hause oder auf den Betriebshof der Spedition zu kommen (Details dazu in der Folge 4).

Mit anderen Worten: mitten in den grenzoffenen europäischen Binnenmarkt schafft das Mobilitätspaket in der besten Absicht, den Wettbewerb auf Dauer fairer zu machen, quasi für gut dreieinhalb Jahre eine „virtuelle“ Grenze. Denn der neue intelligente Fahrtenschreiber, der die Grenzübertritte dank einer darin hinterlegten digitalen Karte automatisch erfasst, kommt in Neufahrzeugen erst ab dem Sommer 2023 und muss bis zum Sommer 2025 in alle grenzüberscheitend eingesetzten Fahrzeuge nachgerüstet worden sein (Details zum neuen Tacho gibt es in der kommenden Folge 6 des Truck Talk). Bis dahin wird der zusätzliche Zwangsstopp an jeder Grenze für viele Fahrer zum Alltag gehören.

In der aktuellen Folge 5 behandeln Jan Bergrath und Götz Bopp aber noch viele weitere folgenreiche Änderungen. Das sind:

• die Ausweitung der Nachweispflicht ab dem 31. Dezember 2024 auf den aktuellen und die vorausgehenden 56 Tage,

• die Absenkung der Ausrüstungspflicht mit Fahrtenschreibern auf Fahrzeuge über 2,5 t zHm im Güterverkehr ab dem 1. Juli 2026,

• die Aufzeichnung von Urlaub und Krankheit unter dem Symbol „Bett“,

• die Aufzeichnung der Ruhezeit an Bord einer Fähre/eines Zuges unter der Funktion Fähre/Zug sowie

• die Änderungen bei den Ausnahmen nach Artikel 3 und 13 der VO (EG) 561/2006.

Es geht also in der Folge 5 um Entscheidungen, die schon heute oder auch erst in absehbarer Zeit im Berufsleben vieler Fahrer und für die Planungen der Unternehmer wichtig sind oder werden. Einige weitere Änderungen aus dem Mobilitätspaket werden übrigens am 21. Februar 2022 Geltung erlangen – wäre ja auch zu schön gewesen, für diese Anpassungen auch einen „Schnapszahltag“ vorzusehen und noch einen Tag zu warten, was aus Sicht des Verordnungsgebers aber wohl zu viel des Guten gewesen wäre. Schade eigentlich. Bessere Zutaten für Häufungen und Ballungen an den Grenzen (und an den Traualtaren) kann man sich ja kaum wünschen.

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