Truck Talk Podcast (4) Lenkzeit legal überschreiten? Der Fahrer entscheidet!

Truck Talk Podcast Teaser, Folge 4 Foto: Jan Bergrath
Podcast

Der Wirrwarr, mit dem das Mobilitätspaket im Bereich der Lenk- und Ruhezeiten in die bestehenden Regelungen der EU-Vorordnung 561/2006 eingreift, wird immer größer. Götz Bopp und Jan Bergrath diskutieren im Truck Talk über die Änderungen der Sonderregel des Artikels 12, die nun, auch für deutsche Fahrer, entscheidend ist, ob sie ihre Lenkzeit um eine oder maximal zwei Stunden überschreiten dürfen, wenn eine wöchentliche Ruhezeit zu Hause oder an der Betriebsstätte ansteht.

Seit der überwiegende Teil der Änderungen bei den Lenk- und Ruhezeiten nun am 20. August in Kraft getreten ist, diskutieren auch deutsche Berufskraftfahrer in den sozialen Medien die Frage, ob sie fortan von ihren Disponenten jede Woche, also besonders am Freitag, bis zu zwei Stunden länger für eine Tour verplant werden können, bevor es zurück nach Hause geht. Um die Antwort hier gleich voranzustellen: Nein! Denn in der vierten Folge des Podcast Truck Talk geht es um eine Sonderregel, ein „lex specialis“. Und wenn der Gesetzgeber im Text einer Sonderregel jemanden sehr konkret anspricht, dann ist allein derjenige dafür verantwortlich, dass diese Sonderregel eingehalten wird. Heißt hier also: der Fahrer entscheidet.

Es geht dabei um den bereits seit 2006 in der VO (EG) 561/2006 bestehenden Artikel 12, der in seiner Urform vom Fahrer immer dann herangezogen werden kann, wenn irgendwelche außergewöhnlichen Umstände seine Tourenplanung durcheinandergebracht haben und er für das Erreichen eines geeigneten Halteplatzes länger fahren muss.

Der Verordnungstext des Artikel 12 macht es auf den ersten Blick deutlich: „Sofern die Sicherheit im Straßenverkehr nicht gefährdet wird, kann der Fahrer von den Artikeln 6 bis 9 abweichen, um einen geeigneten Halteplatz zu erreichen, soweit dies erforderlich ist, um die Sicherheit von Personen, des Fahrzeugs oder seiner Ladung zu gewährleisten. Der Fahrer hat Art und Grund dieser Abweichung spätestens bei Erreichen des geeigneten Halteplatzes handschriftlich auf dem Schaublatt des Kontrollgeräts oder einem Ausdruck aus dem Kontrollgerät oder im Arbeitszeitplan zu vermerken.“

Die „Leitlinie Nr. 1“ der EU-Kommission, die die Fahrer seit den Pflichtweiterbildungen im Rahmen des Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetzes kennen sollten, gibt einige Hinweise, um welche „außergewöhnlichen Umstände“ es sich dabei handeln darf. Seit Jahren bekannte regionale Hotspots für Staus, wie etwa auf der A 1 zwischen Burscheid und Kreuz Leverkusen, zählen ebenso wenig dazu wie seit Tagen angekündigte Schneefälle. Die Dokumentationspflicht (Warum, Wo, Wann) auf einem Ausdruck ist besonders wichtig für die Kontrollierbarkeit der Vorschrift auf der Straße bzw. im Betrieb.

Dass der Disponent bzw. der Unternehmer bei der Inanspruchnahme der Sonderregel kein Mitspracherecht hat, ergibt sich auch daraus, dass die Straßenverkehrssicherheit nicht gefährdet werden darf. Nur der Fahrer selbst kann entscheiden, ob er noch fit genug ist, um weiterzufahren!

Neu hinzugekommen ist nun durch das Mobilitätspaket folgende Formulierung, der Absatz 2 des Artikel 12: „Sofern die Sicherheit im Straßenverkehr nicht gefährdet wird, kann der Fahrer unter außergewöhnlichen Umständen auch von Artikel 6 Absätze 1 und 2 und von Artikel 8 Absatz 2 abweichen, indem er die tägliche und die wöchentliche Lenkzeit um bis zu eine Stunde überschreitet, um die Betriebsstätte des Arbeitgebers oder den Wohnsitz des Fahrers zu erreichen, um eine wöchentliche Ruhezeit einzulegen.“

Das wiederum wurde nun noch einmal gesplittet – je nachdem, wie lang die nun anstehende Wochenruhezeit sein muss: „Unter den gleichen Bedingungen kann der Fahrer die tägliche und die wöchentliche Lenkzeit um bis zu zwei Stunden überschreiten, sofern eine ununterbrochene Fahrtunterbrechung von 30 Minuten eingelegt wurde, die der zusätzlichen Lenkzeit zur Erreichung der Betriebsstätte des Arbeitgebers oder des Wohnsitzes des Fahrers, um dort eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit einzulegen, unmittelbar vorausgeht.“

Auch hier steht es eindeutig: Der Fahrer kann den Artikel 12 nur dann als „Joker“ ziehen, wenn er bereits auf den buchstäblich letzten Kilometern auf dem Weg zum Firmensitz oder, sollte er den Lkw mitnehmen dürfen, nach Hause ist, und etwa ein massives Unwetter, ein völlig unerwartet eintretender Stau oder eine Sperrung der Autobahn, wie erst im September etwa auf der A 40 nach einem Tankzugbrand, dazwischen kommen. Auch wenn einige Unternehmer es bereits erwägen: am letzten Arbeitstag noch eine zusätzliche Ladestelle einzuplanen und diese zwei „gottgegebenen“ Stunden dabei mit einzukalkulieren, geht also definitiv nicht.

Einmal mehr zeigt sich im Dialog zwischen Götz Bopp und Jan Bergrath, dass eine grundsätzlich gute Idee im Mobilitätspaket nur in unzureichender Qualität im Gesetzestext umgesetzt wurde. Das zeigt sich zum Beispiel auch bei der Frage, welche Fahrtunterbrechung der Fahrer denn nun konkret einlegen muss, bevor er in die Lenkzeitverlängerung startet. Oder bei den Tücken hinsichtlich der Lenkzeit in der Doppelwoche. Etwas konkreter gelingt es da, die neu eingeführte Ausgleichspflicht der Überschreitungen darzustellen.

Als weiteres Thema der vierten Folge und mit deutlich geringerem Wirrwarr-Potenzial behandeln Jan Bergrath und Götz Bopp außerdem die neuen Vorgaben, wenn eine Wochenruhezeit im Zusammenhang mit der Fähre/Zug-Regelung unterbrochen wird.

Das orangefarbene Licht im Foto ist übrigens keine Warnung, dass die zusätzliche Lenkzeit bereits überschritten wurde, sondern der Spurwechsel-Assistent im neuen MAN TGX 18.580 von Sascha Schulz, begeisterter Fahrer des Spedition HVL Hoppenstock aus Pattensen, die wir in Heft 12/2020 des FERNFAHRER ausgiebig vorstellen.

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