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Trotz Rekord-Investitionen Das viele Geld wird nicht reichen

Foto: stockadobe.com/bertold werkmann - Montage: Götz Mannchen

So viel Geld wie noch nie steht in diesem Jahr voraussichtlich für Verkehrsinvestitionen zur Verfügung. Doch der Finanzbedarf ist viel höher - daher fordert das Deutsche Verkehrsforum ein Umdenken.

Der Verkehrssektor darf sich über einen beispiellosen Geldregen freuen: Nie fielen die Investitionen in die Landverkehrsträger höher aus als voraussichtlich 2022. Betrachtet man die Planung der alten Bundesregierung, steht die Investitionslinie für Bundesfernstraßen, -schienenwege, -wasserstraßen sowie den Kombinierten Verkehr Schiene–Straße an der Schwelle zur Marke von 20 Milliarden Euro. Die veranschlagten 19,2 Milliarden Euro bedeuten ein Plus von 1,7 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr und annähernd eine Verdopplung innerhalb von nur sieben Jahren.

Also alles eitel Sonnenschein? Nein, denn wie Dagobert im Geld schwimmen kann der neue Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing (FDP) nicht. Das Deutsche Verkehrsforum (DVF) weist im Gespräch mit der Fachzeitschrift trans aktuell darauf hin, dass nicht nur der Bedarf steigt – was die maroden Brücken sowohl im Straßen- als auch im Schienennetz zeigen –, sondern auch die explodierenden Bau- und Materialpreise den Spielraum schmälern. „Hinzu kommt, dass sich die Kurve in der mittelfristigen Finanzplanung wieder nach unten bewegt“, erläutert DVF-Geschäftsführer Dr. Florian Eck. Für 2023 bis 2025 sind 18,3 beziehungsweise 18,4 Milliarden Euro geplant – ein deutlicher Abfall gegenüber 2022.

Bei diesen Summen muss es aber nicht bleiben. „Wir gehen davon aus, dass sich das Ganze noch etwas nach oben bewegen wird“, prognostiziert Eck. Denn Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat von seinen Ministerkollegen einen langen Wunschzettel erhalten. Laut Handelsblatt sollen die Minister von Lindner allein für dieses Jahr Mehrausgaben über rund 70 Milliarden Euro gefordert haben. Besonderen Bedarf haben demnach Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Verkehrsminister Wissing gemeldet. Der Wunsch nach einem Mittelzuwachs geht also über die Parteigrenzen hinweg.

DVF: Steigerung der Baupreise berücksichtigen

Dass eine zusätzliche Finanzspritze in den Verkehr unverzichtbar ist, führt das DVF in erster Linie auf die steigenden Baupreise zurück. „Wir waren mal bei Kostensteigerungen von 2 bis 2,5 Prozent im Jahr. Das klingt nach wenig, macht aber innerhalb von zehn Jahren schon ein Viertel des Verkehrshaushalts aus“, führt Eck aus. „Nun aber hat sich das Ganze drastisch verschärft: Die Materialkosten etwa für Stahl, Holz oder Beton schießen durch die Decke, wir reden über Steigerungen von 30 bis 80 Prozent.“

Es sei aber nicht sonderlich populär, die Baukostensteigerungen von vornherein einzukalkulieren, weil dadurch offensichtlich werde, wie teuer die Projekte tatsächlich sind. Eck hält es jedoch für unvermeidbar, diese Preissprünge als Risikopuffer in der Planung zu berücksichtigen, ebenso wie andere Baurisiken. Sonst steht eine Finanzierung schnell auf tönernen Füßen.

Foto: Deutsches Verkehrsforum/Erika Borbély Hansen
„Der Verkehrssektor benötigt einen erheblichen Mittelzuwachs für die Themen Digitalisierung und Transformation“, das sagt Dr. Florian Eck, Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums.

Hinzu kommt nach Auffassung des DVF ein immenser Bedarf an Investitionsmitteln für neue Themenfelder – abseits von Stahl für die Schiene oder Beton für die Straße. „Der Verkehrssektor benötigt dringend einen erheblichen Mittelzuwachs für die Themen Digitalisierung und Transformation“, sagt Geschäftsführer Eck. Die Finanzierung über den regulären Haushalt stoße angesichts der benötigten Dimensionen schnell an ihre Grenzen. Dem DVF schwebt deshalb ein Klimafonds vor, in dem diese Projekte gebündelt und über mindestens 15 Jahre finanziert werden. Der Vorschlag der Bundesregierung mit einem Klima- und Transformationsfonds über jetzt 90 Milliarden Euro werde daher begrüßt. Wichtig sei, dass die notwendigen Investitionen in Mobilität, Energie und Digitalisierung dabei synchronisiert vorangetrieben werden.

Als Beispiele für Investitionen in die Digitalisierung nennt Eck die flächendeckende Nutzung eines hohen Mobilfunkstandards entlang aller Verkehrswege. „5G wäre das Ziel, flächendeckend wären wir aber bereits über LTE froh“, sagt der 54-Jährige. Auf der Schiene schlage allein die Ausrüstung mit dem Zugbeeinflussungssystem ETCS (European Train Control System) bis 2040 mit 28 Milliarden Euro zu Buche, sagt der gelernte Volkswirt und promovierte Ökonom mit Hinweis auf eine McKinsey-Studie aus dem Jahr 2018. Hinzu kommen laut der Studie 4 Milliarden Euro für die Umrüstung der Loks.

Geld für Digitalisierung auf Straße und Schiene

Doch auch in anderer Hinsicht müsse die Schiene digitaler werden und werde frisches Geld benötigt – unter anderem, um die digitale automatische Kupplung an den Waggons voranzutreiben, was die Zusammenstellung der Güterzüge beschleunigt und damit neue innovative Angebote unter anderem für einzelne Wagenladungen ermöglicht. Was das Thema Transformation angeht, benennt Eck den Aufbau einer Ladeinfrastruktur und das im Koalitionsvertrag festgehaltene Ziel von einer Million Ladepunkten bis 2030. Die notwendigen Förderprogramme seien nur bedingt aus dem Haushalt zu finanzieren, was auch hier für einen Klimafonds spricht.

Und noch aus einem weiteren Grund ist für das Deutsche Verkehrsforum ein Aufstocken des Etats von Minister Wissing ohne Alternative: Es häufen sich die Unwetterereignisse. Stürme und Fluten machen Verkehrswege temporär unpassierbar – wenn nicht dauerhaft unbrauchbar wie zuletzt im Ahrtal. „Wir brauchen deutlich mehr Resilienz im Sinne einer höheren Klimafestigkeit des Verkehrsnetzes sowie für die nächsten Jahrzehnte völlig neue Ausbaustandards“, sagt der Verkehrsexperte.

Zu einer höheren Resilienz tragen im Fall der Schiene auch elektrifizierte Ausweichstrecken bei, sollte eine Magistrale – wie im Fall von Rastatt oder in den vergangenen Monaten aufgrund von Baustellen – gesperrt sein. Daher plädiert auch das DVF bei der Bewertung von Ausweichstrecken für eine andere Methodik als die bisherige Kosten-Nutzen-Untersuchung, nach der viele Projekte keine Chance auf Realisierung haben. „Wenn wir die wirtschaftlichen Schäden, die aufgrund von Lieferausfällen entstehen, mit in die Betrachtung aufnehmen, kommen wir zu ganz anderen Einschätzungen“, sagt Florian Eck. Das Ertüchtigen einer Ausweichstrecke sei dann vielleicht vordergründig teuer, rechne sich auf lange Sicht aber trotzdem. Auch dieser Aspekt rechtfertigt nach Auffassung des DVF eine deutlich höhere Mittelausstattung für die Schiene.

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Dass die Schiene Nachholbedarf hat, scheint unbestritten. Die alte Bundesregierung räumt ihr bei den Investitionen ab diesem Jahr erstmals Priorität ein: 9,3 Milliarden Euro sollen auf die Schiene entfallen, 8,4 Milliarden auf die Straße. Was buchstäblich als Weichenstellung von der Großen Koalition getätigt wurde, findet nun unter der Ampel seine Fortsetzung. „Wir wollen erheblich mehr in die Schiene als in die Straße investieren, um prioritär Projekte eines Deutschlandtaktes umzusetzen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Auch Verbandsmann Eck begrüßt den Paradigmenwechsel zugunsten der Schiene. „Der Verkehrsträger ist in den vergangenen Jahren stark vernachlässigt worden: Es gab einen Rückbau, unter anderem von Weichen, um die Performance der Bahn in Sachen Börsenfähigkeit zu verbessern“, erläutert der leidenschaftliche Mobilist und bezeichnet diese Vorgehensweise als einen großen Fehler.

Die Straße dürfe aber nicht hinten runterfallen. Man dürfe nicht von vornherein ausschließen, neue Projekte in Angriff zu nehmen. „Denn es gibt auch im Bereich von Neubauvorhaben sinnvolle Projekte im Sinne einer Resilienz und Redundanz.“ Will der Bund zum Beispiel mehr Transporte im Kombinierten Verkehr, brauche es dafür auch gute Autobahnanbindungen. „Es gibt auch gute Kurzstreckenverkehre, die besser auf der Autobahn stattfinden, als die Ortschaften zu belasten.“

Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung für Straße

Schiene und Straße vernetzt und nicht isoliert zu sehen, hilft auch in anderer Hinsicht – bei der Finanzierung. Die Schiene profitiert von einer langjährigen Mittelplanung im Rahmen der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zwischen Bund und Bahn. Im Rahmen der LuFV 3 stehen für den Zeitraum von 2020 bis 2029 insgesamt 63,4 Milliarden Euro für Ersatzinvestitionen in das Schienennetz zur Verfügung, das Gros stammt mit 51,4 Milliarden Euro aus dem Haushalt.

Eine vergleichbare Finanzierungslösung regt das DVF für die Straße an – was auch die Ampelkoalitionäre aufgegriffen haben. „Zwischen Bund und Autobahn GmbH wollen wir eine überjährige Finanzierungsvereinbarung abschließen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Der große Vorteil laut DVF ist die Sicherheit. „Die Behörden und Bauunternehmen können ihre Kapazitäten und Einstellungen planen“, sagt Eck. Das gebe Stabilität und man komme weg vom Schweinezyklus – also einer periodischen Schwankung der Angebotsmenge und des Marktpreises. Insgesamt, so attestiert Eck der neuen Bundesregierung, habe sie viele Herausforderungen erkannt. Er begrüßt es, dass die sozial-grün-liberale Koalition eine Synchronisierung der Sektoren anstrebt. Soll heißen: Silodenken wird es nicht geben, in den Bereichen Verkehr, Energie und Digitalisierung rechnet Eck bei vielen Punkten mit einem Schulterschluss. „Das ist die Partnerschaft, die wir brauchen.“ Denn das viele Geld allein für 2022 macht nicht glücklich.

Schnellere Planung erforderlich

  • Angesichts überlasteter Verkehrswege und maroder Brückenbauwerke sind sich Verkehrsexperten darin einig, dass keine Jahrzehnte ins Land gehen dürfen, bis Neu- oder Ersatzbauten geplant und umgesetzt sind. Nun gibt es in Deutschland schon ein Planungsbeschleunigungsgesetz, bestehend aus mehreren Teilen, trotzdem dauern die Verfahren zu lange. „Wir werden Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich beschleunigen“, verspricht der Koalitionsvertrag unter der Rubrik erneuerbare Energien. Das DVF baut darauf, dass diese Aussage auch für den Verkehrssektor gilt.
  • Das DVF fordert, dass die – auch für das DVF unverzichtbaren – Einspruchsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger um Stichtagsregelungen und juristische Redaktionsschlüsse ergänzt werden. Ändert sich zu einem bestimmten Stichtag die juristische Grundlage nicht, dürfe das Verfahren bei späteren Änderungen nicht neu aufgerollt werden. Die öffentlichen Einrichtungen bräuchten zweitens ausreichend Mitarbeiter, um die Verfahren schneller zu bearbeiten.
  • Das DVF spricht sich dafür aus, Verfahren parallel oder integriert durchzuführen, um schneller zu werden. Je nach Gegebenheiten gehe es um eine Verzahnung zwischen Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren, um Doppelprüfungen zu vermeiden, und um Vereinfachungen für Ersatz- und Ergänzungsbauten im Zusammenhang mit existierenden Infrastrukturen. Ein Planungsverfahren dürfe nicht länger als zwei bis drei Jahre dauern. Die genannten Punkte gelte es umzusetzen, wenn die Beschleunigung kein Lippenbekenntnis bleiben solle.
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