Tachostunde Folge 2: Lenkzeit-Reserve Hauptsache nach Hause

Foto: Christina Petters 3 Bilder

Der ergänzte Artikel 12 aus der VO (EG) 561/2006 erlaubt es Fahrern, ihre Lenkzeit um maximal zwei Stunden zu überschreiten, um für eine Wochenruhezeit noch zur Firma oder nach Hause zu kommen.

Die Freitagnacht des 11. März hat sich Udo Skoppeck, 59, Fernfahrer aus Leidenschaft seit 1980, mehrfach notiert. In seinem persönlichen Kalender und auch auf dem Tagesausdruck seines Tachos im Actros der Spedition Karthaus aus Remscheid. Für das Transportunternehmen mit 22 Lkw, das sich auf den Bereich Handel und Stahl spezialisiert hat, fährt Udo immer wieder auch in die Schweiz. "Ich lade dort am Freitagmorgen aus, fahre nach Villingen-Schwenningen, lade zurück ins Rheinland und mache dort noch meine neun Stunden tägliche Ruhezeit", sagt Udo, der sich seit 2012 auch politisch für den Beruf engagiert.

Unvorhergesehene Vollsperrung

Udo kennt sich als Berufskraftfahrer natürlich mit den bekannten Lenk- und Ruhezeiten aus der VO (EG) 561/2006 aus. Und er hat die Neuerungen in den am 21. August 2020 im Rahmen des Mobilitätspakets 1 in Kraft getretenen Sozialvorschriften kritisch verfolgt. In der Nacht des 11. März konnte er nun zum ersten Mal persönlich einen Vorteil nutzen.

Denn auf der Rückfahrt geriet er in eine für ihn nicht vorhersehbare Vollsperrung auf der Autobahn, die ihn genau jene 55 Minuten kostete, die er veranschlagt hatte, um im Rahmen der verbliebenen Lenkzeit bis zur Betriebsstätte von Karthaus zu kommen. Natürlich hatte sich Udo bereits im Vorfeld mit der neuen Sonderregel im Artikel 12 beschäftigt. Diese ermöglicht ihm, unter bestimmten Voraussetzungen, die Lenkzeit zu überschreiten, um nach Hause in Solingen zu kommen, statt die anstehende regelmäßige wöchentlich Ruhezeit in einem Gewerbegebiet bei Montabaur an der A 3 zu verbringen. "Zu mir nach Hause war kürzer."

Artikel 12 hilft bei außergewöhnlichen Umständen

"Es geht dabei um den bereits seit 2006 in der VO (EG) 561/2006 bestehenden Artikel 12, der in seiner Urform vom Fahrer immer dann herangezogen werden kann, wenn irgendwelche außergewöhnlichen Umstände seine Tourenplanung durcheinandergebracht haben und er für das Erreichen eines geeigneten Halteplatzes länger fahren muss", erläutert Götz Bopp. Neu hinzugekommen ist nun durch das Mobilitätspaket folgende Formulierung – der Absatz 2 des Artikel 12: "Sofern die Sicherheit im Straßenverkehr nicht gefährdet wird, kann der Fahrer unter außergewöhnlichen Umständen auch von Artikel 6 Absätze 1 und 2 und von Artikel 8 Absatz 2 abweichen, indem er die tägliche und die wöchentliche Lenkzeit um bis zu eine Stunde überschreitet, um die Betriebsstätte des Arbeitgebers oder den Wohnsitz des Fahrers zu erreichen, um eine wöchentliche Ruhezeit einzulegen."

Kein Freifahrtschein für die Dispo

Das wiederum wurde noch einmal gesplittet – je nachdem, wie lang die nun anstehende Wochenruhezeit sein muss: "Unter den gleichen Bedingungen kann der Fahrer die tägliche und die wöchentliche Lenkzeit um bis zu zwei Stunden überschreiten, sofern eine ununterbrochene Fahrtunterbrechung von 30 Minuten eingelegt wurde, die der zusätzlichen Lenkzeit zur Erreichung der Betriebsstätte des Arbeitgebers oder des Wohnsitzes des Fahrers, um dort eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit einzulegen, unmittelbar vorausgeht." Entscheidend ist: Das Ereignis muss wirklich unvorhersehbar sein und darf nicht in die regelmäßige Planung der Disposition einfließen, die vielleicht gerne am Freitag noch bis zu zwei Stunden "Luft nach hinten" hätte. "Letzten Endes bestimme ich als Fahrer, ob ich mich für eine der beiden Optionen entscheide, die ich natürlich entsprechend dokumentieren muss."

Was heute noch Ausnahme, ist ab morgen bekannt

Wenn also von einem auf den anderen Tag die Rahmedetalbrücke der A 45 wegen Baufälligkeit gesperrt wird, dann ist das ein unvorhersehbares Ereignis. Schon am Tag danach ist das Problem bekannt, die Disposition muss die Zeit für die Staus und Umwege einplanen. Zumal die Brücke, die nun in den kommenden Jahren ersetzt werden muss, bei Google Maps schon gar nicht mehr als solche ausgewiesen ist. Es klafft dort eine deutliche Lücke.

Live auf Facebook am 11.5. ab 18 Uhr

Götz Bopp berät Unternehmen und Fahrer rund um das Thema Lenk- und Ruhezeiten. Am Mittwoch, 11. Mai 2022 ab 18 Uhr, und weiter jeden zweiten Mittwoch im Monat, spricht er unter der Moderation von Jan Bergrath mit Fahrern erneut über die Lenk- und Ruhezeiten und alles, was damit zusammenhängt. Die „Tachostunde“ wird auf der Facebookseite des FERNFAHRER live gestreamt. „Wir behandeln die Grundlagen und beschäftigen uns natürlich auch mit den teilweise komplizierten Neuerungen aus dem Mobilitätspaket“, sagt Bopp. „Stellt eure Fragen direkt in der Sendung – wir freuen uns auf euch!“

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