SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles trifft Lkw-Fahrer Der Wahlkampf und die Wahrheit

Foto: Raymond Lausberg
Meinung

An einem Samstag hat sich die SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles auf der Raststätte Aachener Land an der A 4 mit Fahrern aus Deutschland und Osteuropa getroffen. Sie beklagt, dass dort alle Gesetze, an denen sie als Arbeits- und Sozialministerin beteiligt war, gebrochen würden.

Die Einladung des Kraftfahrerkreises (KfK) Düren-Aachen zum Sondertreffen mit Andrea Nahles am 28. Juli auf der Raststätte Aachener Land kam leider viel zu spät, da hatte ich meinen leider viel zu kurzen Urlaub schon lange geplant und war bereits auf dem Weg zum Wandern. Ich wäre allerdings schon gerne dabei gewesen – auch um die richtigen Fragen zu stellen. Doch zum Glück gibt es den Lkw-Fahrer Alexander Scheurer, einen Hobbyfilmer, der einige entscheidende Momente dieses Tages in einem Film festgehalten hat. Mitte September will der WDR die Informationen aus dem Treffen zudem für eine längere Reportage in der investigativen Reihe „Die Story“ verwenden. Ich kann wirklich nur hoffen, dass die Kollegen dort bis dahin noch etwas recherchieren.

Daher widme ich diesen Blog einer Nachbetrachtung des Treffens. Denn ich bin vor allem an dem Satz hängen geblieben, den Nahles am Ende quasi als Resümee vor den rund 70 Zuhörern im Saal des Rasthauses wortwörtlich gesagt hat: „Es gibt definitiv nicht ein einziges Gesetz, was ich mir je ausgedacht habe, was hier nicht gebrochen wird. Ein Gang durch die Reihen (Anmerkung: der parkenden Lkw) macht es deutlich.“ Das ist, wie ich hier belegen werde, vor allem viel Wahlpampf und wenig Wahrheit. Immerhin – die Fahrer der Kraftfahrerkreise, die sich in ihrer Freizeit wirklich sehr engagieren, hatten nun einmal die Gelegenheit, dass ihnen eine hochrangige Politikerin zuhört. Als kritischer Journalist ist es allerdings meine Aufgabe, solche Aussagen zu hinterfragen und im Sinne der Wahrheitsfindung zu relativieren.

Wahlkampf pur

Derzeit tourt Nahles durch Deutschland und trifft Berufsgruppen. Landeswahlen in Hessen und Bayern stehen an. Die SPD verliert weiter an Zustimmung. Daher nutzt Nahles auch das Treffen in Aachen, wie es auf ihrer Facebookseite am 29. Juli mit einem durchaus aussagestarken Foto dokumentiert ist, für Wahlkampfversprechen. Es heißt dort: „Im Transportgewerbe wird an manchen Stellen viel getrickst. Sozialdumping von Unternehmern, die ihren Sitz ins Ausland verlegen, um Sozialabgaben zu sparen. Darunter leiden sowohl die ausländischen Kraftfahrer, als auch die deutschen. Prekäre Arbeitsverhältnisse machen die Jobs unattraktiv. Darüber konnte ich heute mit vielen Betroffenen auf einem Rastplatz bei Eschweiler sprechen. Wir brauchen europaweit bessere Arbeitsbedingungen: ein funktionierendes Kontrollwesen zum Schutz der Fahrerinnen und Fahrer, sozialversicherungspflichtige Löhne und in Deutschland mehr Parkplätze mit anständigen Sanitäranlagen für die Trucker, denn an vielen Stellen ist die Situation unwürdig. Dafür werde ich mich einsetzen!“

Der Verweis auf Europa

Nahles wäre keine so ausgebuffte Politikerin, wenn sie nicht gleich die Entschuldigung, warum die Situation in Deutschland so ist, wie sie ist, mit dem Standardsatz „Wir brauchen eine europäische Lösung“ nach Brüssel weiterreichen würde. Denn um es klar zu sagen: Für viele der von ihr vor Ort erlebten Probleme ist weder die SPD noch die Bundesregierung zuständig – sondern die EU. Und es ist natürlich das Bundesverkehrsministerium unter Andreas Scheuer (CSU), das seine Position für eine mögliche Abstimmung des Rates der Verkehrsminister längst festgelegt hat: keine weitere Lockerung der bestehenden Gesetze zu den verkehrsrechtlichen Fragen im EU-Mobilitätspaket. Ein Lob für den Kollegen aus Bayern geht im Wahlkampf natürlich nicht. Zumal das gesamte Mobilitätspaket nach den Chaoswochen im Parlament vor der Sommerpause abgelehnt wurde und es gar nicht sicher ist, ob es vor Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2019 überhaupt noch einen Versuch gibt, sich europaweit auf bessere Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrer zu einigen.

Prekär beschäftigte Lkw-Fahrer und der Mindestlohn

Grundsätzlich ist es eine tolle Idee, dass sich die langjährige Arbeits- und Sozialministerin der Großen Koalition, Andrea Nahles, in ihrer roten Sommerbluse einmal mehr an die Basis begibt, um sich ein Bild über die „prekären Arbeitsbedingungen“ der Lkw-Fahrer zu machen. Das tut Nahles, die aus der Eifel kommt und dort immer noch wohnt, auf eigenen Wunsch und mit Unterstützung des Viersener SPD-Verkehrspolitikers Udo Schiefner, der ja auch Schirmherr des KfK Düren-Aachen ist. Begleitet wurde das Treffen von einer weiteren Aktion des DGB-Projekts „Faire Mobilität“ mit Michael Wahl, der sich ebenfalls stark macht, dass auch den osteuropäischen Fahrern, die in Deutschland unterwegs sind, der deutsche Mindestlohn zusteht.

Nahles hat sich in der Tat das deutsche Mindestlohngesetz ausgedacht, das nicht nur alle Probleme der prekären Beschäftigung in Deutschland auf einen Schlag lösen soll, sondern die Ausbeutung der ausländischen Fahrer gleich mit. Dagegen hat bereits die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Verschiedene deutsche Gerichte haben bereits unterschiedliche Urteile gefällt. Doch wie ich bereits in meinem Blog „Kochen für den Mindestlohn“ beschrieben habe, liegt ein grober Fehler im Gesetz von Nahles selbst – denn dort steht eben der fatale Satz: "In Fällen, in denen die tatsächlichen Aufwendungen des Arbeitnehmers niedriger als das Tagegeld sind, kann die Differenz auf den Mindestlohn angerechnet werden."

Das nutzen die Unternehmen aus. Den Kontrolleuren des Zolls sind hier eigentlich die Hände gebunden. Nach den Gesetzen der Länder, aus denen die osteuropäischen Fahrer kommen, ist ein dort gesetzlicher Mindestlohn plus Spesen für die internationalen Touren nicht illegal. Da unter anderem eine Änderung der Entsenderichtlinie vom Europäischen Parlament, die eine Beweislastumkehr zu diesem „Spesenthema“ vorgesehen hatte, an die Ausschüsse zurückgewiesen wurde, ist die Aussage zumindest strittig, dass beim Mindestlohn gegen ein Gesetz von Andrea Nahles verstoßen wird. Außerdem hat die EU weder das Recht noch die Möglichkeit, in die Sozialversicherungssysteme der Mitgliedstaaten einzugreifen. Ein Fahrer aus Osteuropa erfährt dort eine andere Art der sozialen Absicherung, etwa bei Krankheit. Sie ist natürlich deutlich schlechter als die deutsche. Daran ändert auch der deutsche Mindestlohn nichts. Er ist in diesem Fall eine rein protektionistische Maßnahme.

Verstoß gegen die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit

Beim „Gang durch die Reihen“ war natürlich auch der potentielle Verstoß gegen das Verbot, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen, ein Thema. Das nationale Verbot hat sich allerdings federführend Udo Schiefer mit dem Verkehrsausschuss ausgedacht und über den deutschen Bundesrat als Gesetzesvorlage eingebracht. Der Text zur Ergänzung in der deutschen Fahrpersonalverordnung kommt aus dem Justizministerium, ist allerdings so unglücklich formuliert, dass die deutschen BAG-Kontrolleure große Probleme bei der Umsetzung haben.

Die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit beginnt ab der 45ten Stunde. Die Lkw, die also an einem Samstag, wie hier in Aachen, auf einer deutschen Raststätte stehen, stehen dort mit größter Wahrscheinlichkeit noch nicht einmal 24 Stunden. Auch 44:59 Stunden können die Fahrer im Lkw verbringen, erst danach beginnt der Verstoß. Eine rückwirkende Bestrafung des Fahrers, wie es etwas die belgische Polizei anhand der Daten der Fahrerkarte macht, ist nicht möglich. Der Fahrer muss auf „frischer Tat“ ertappt werden. Entsprechend gering aber mit Steigerung ist die „Ausbeute“ des BAG, wie mir heute die Pressestelle mitgeteilt hat: 2017 haben wir 45 Bußgeldbescheide ausgestellt, 2018 sind es –Stand 15.07.2018– bereits 123 Bußgeldbescheide. 64 davon sind gegen Fuhrunternehmer ausgestellt worden und 59 gegen Lkw-Fahrer. Die Regelbuße beträgt nach dem Tatbestandskatalog für Unternehmer 1.500,- € für Vorsatz und 750 € für Fahrlässigkeit. Beim Fahrer liegt diese bei 500,- € (Vorsatz) bzw. 250,- € (Fahrlässigkeit).

Deutsches Sonntagsfahrerverbot für Lkw verstärkt das Problem

Nüchtern betrachtet verstärkt gerade das deutsche Sonntagsfahrverbot für Lkw das Problem der Osteuropäer – jedenfalls derjenigen aus den angrenzenden Ländern im Transit. Um am Montag auszuladen, müssen sie bereits vor dem Wochenende los fahren und sind so leider gezwungen, auf einer deutschen Raststätte zu campieren. Das führt dann zu den von Nahles aufgeführten Problemen der überfüllten Parkplätze – ein Problem, dass die Regierung Merkel – und hier das von der CSU geführte Bundesverkehrsministerium – beim Neubau von Parkplätzen (aus den satt fließenden Mautgeldern auch der Lkw aus Osteuropa) längst hätte angehen können.

Übrigens wurde Aachener Land Nord gerade erst erweitert. Die sanitären Anlagen sind dort vollkommen in Ordnung, sie kosten halt – für alle Fahrer – Geld. Vielleicht könnte sich Nahles einmal dafür einsetzen, dass Lkw-Fahrer, die oft zitierten „Versorger der Nation“, auf den Anlagen von Tank & Rast gebührenfrei duschen und zur Toilette gehen können. Aber wer als Staat die Autobahnraststätten zu fragwürdigen Kondition privatisiert, wie nun die FAZ herausgefunden hat, verliert halt dort den Einfluss.

Mehr Kontrolleure gefordert – und längst bekommen

Ebenfalls nichts hat Nahles mit dem immer wieder angesprochen Verbot, die Leistung der Fahrer nach Kilometern zu belohnen, zu tun. Der gesetzliche Passus steht sehr lange im Artikel 10 der VO (EG) 561/2006 und ist leider kaum zu kontrollieren, wenn die Fahrer sich mit gefälschten Arbeitsverträgen darauf einlassen und das Spiel mitmachen – angeblich aus sozialer Not – weil sie sonst keinen Job bekämen. Und das im Zeichen des Fahrermangels. Gespräche mit deutschen Unternehmern, die Fahrer aus Osteuropa beschäftigen, zeigen, dass viele Fahrer aus Osteuropa gerne so lange und für so viel Nettolohn wie möglich fahren wollen – und so dabei in ihren Ländern oft besser stehen als Akademiker und Ärzte. Dass die Unternehmen es ausnutzen, ist eine andere Geschichte.

Grundsätzlich: Die EU macht zwar die meisten Gesetze. Kontrolliert werden sie allerdings ausschließlich durch die jeweilig zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten. Eher peinlich ist es dann, wenn Nahles wie in Aachen fordert, dass es auch in Deutschland mehr Kontrolleure geben soll. Für die Aufstockung der Polizei der Länder ist sie zum einen nicht zuständig. Das passiert aber bereits – und deckt gerade den Weggang der künftigen Rentner ab. Ich gehe zum anderen einmal stark davon aus, dass sie am Koalitionsvertrag beteiligt war. Dort ist es längst vereinbart: Bis 2019 wird das Kontingent des BAG nur im Bereich der Straßenkontrollen von derzeit 2015 auf 300 Kontrolleure aufgestockt. Das wäre bei dieser Wahlkampfveranstaltung in Aachen mal eine gute Nachricht gewesen. Aber vielleicht habe ich diese Botschaft einfach nur verpasst.

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