Risiko beim Risk Management Erfolgreiche Gegenwehr

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath
Meinung

Weil ein altgedienter Lkw-Fahrer im Rahmen einer höchst umstrittenen Risk-Management-Maßnahme den Führerschein zu verlieren drohte, griff ein Experte von eurotransport.de gemeinsam mit Verdi ein und verhinderte, dass die berufliche Existenz des Fahrers vernichtet wurde.

Ich nutze meinen Blog für diese Woche, um anschaulich darzustellen, was FERNFAHRER und eurotransport.de, das gemeinsame Infoportal der ETM-Zeitschriften, abseits der klassischen Berichterstattung über den Straßengüterverkehr auch noch tun – und das mit schöner Regelmäßigkeit. Sie versuchen, Berufskraftfahrern in Not zu helfen. Dazu hat die Redaktion ein Netzwerk von Experten aufgebaut. Diese Experten beantworten die Fragen, die ihnen von Abonnenten über eurotransport.de gestellt werden. In jeder FERNFAHRER-Ausgabe findet ihr gleich ganz vorne im Heft eine Anleitung, wie das geht und für wen das Angebot kostenfrei zugänglich ist. Antworten, die von Interesse für die Allgemeinheit sind, findet ihr ebenfalls an gleicher Stelle im FERNFAHRER. Auch die feste Rubrik "Recht Aktuell" im FERNFAHRER basiert auf diesem Prinzip.

Ein Anruf von Verdi

Im FERNFAHRER 10/2018 hatte ich einen Artikel zum Thema Risk Management bei der Spedition Berners in Obergartzem veröffentlicht. Risk Management kommt dann ins Spiel, wenn in Transportunternehmen die Schadensquote steigt. Der Grund dafür sind meist viele Rangierschäden. In solchen Fällen erlegen die Versicherer den Unternehmern auf, ihre Fahrer entsprechend zu unterweisen. Bei Berners durfte ich an so einem Tag teilnehmen. Ein tolles Erlebnis, weil Unternehmer, Fahrer und Risk Manager vor Ort versucht haben, gemeinsam eine Lösung zu finden, die Schäden im Unternehmen wieder zu verringern.

Kaum war der Artikel erschienen, erhielt ich einen Anruf von Patrick Gerson, Fachsekretär von Verdi in Aschaffenburg, den ich sehr lange kenne und dessen erste Initiative, einen Kraftfahrerkreis zu gründen, ich schon vor bald zehn Jahre vorgestellt hatte. Er war selber Fahrer, ist heute Jurist und setzt sich über alle Maße für die Fahrer ein, die bei ihm Hilfe suchen. Gerson schilderte mir nun kurz den Fall von Peter Vetter, dessen Namen ich zu seinem Schutz geändert habe.

Das, was sich hier ereignet hat, war das komplette Gegenteil von Risk Mangement. Nachdem ich auch mit Peter im Beisein seines Betriebsrates selber sprechen konnte und dieser mir eine Vollmacht erteilte, mich an seinen Arbeitgeber und an das Risk-Management-Unternehmen zu wenden, schlug ich gleichzeitig unserem eurotransport.de-Experten für Verkehrsrecht, Matthias Pfitzenmaier vor, Peter in dieser Angelegenheit rechtlich zu vertreten.

Eine höchst fragwürdige Beobachtungsfahrt

Peter, 61 Jahre alt, ist ein langjähriger Fahrer in einem großen Unternehmen. Er ist eher der gutmütige Typ, der sich immer für die Firma einsetzt, aber auch viel mit sich machen lässt. Er hatte gerade eine Krebserkrankung überstanden. Und er hatte, wie es im "Recht Aktuell" kurz geschildert wird, in einem Jahr zwei größere Schäden. Das ist, wie mir ein Lkw-Versicherer im Hintergrund anvertraute, für eine Versicherung "eingepreist". Für mich klang es nach Peters Schilderungen daher eher so, als ob man ihn schlicht loswerden wollte. Er war zwar körperlich wieder fit – aber für die Kostenkalkulation eines Unternehmers auf Dauer möglicherweise eine Belastung durch Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Aber das sind nunmal die Bedingungen, unter denen Fahrer in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.

Und so wurde Peter nach seiner letzten Fahrt am Ende der Arbeitswoche und drei Stunden Schlaf von einem Risk Manager kurzerhand zu einer Beobachtungsfahrt gebeten, über die der Risk Manager, ein Fahrlehrer, ein Protokoll verfasste. Dieses hat mir Peter persönlich vorgelegt. Was darin steht, kommt einer Existenzvernichtung gleich. Peter wurde darin mehr oder weniger als Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer beschrieben. Normalerweise, so lautet zumindest mein Verständnis eines gewissenhaften Risk Managements, hätte man Peter erstmal in den verdienten Resturlaub schicken sollen, den er sich über den Betriebsrat allerdings erst noch erkämpfen musste. Anschließend hätte ein Fahrlehrer mit ihm ein paar Fahrschulstunden im ausgeruhten Zustand absolvieren sollen. Nur so hätte man wirklich Aufschluss über sein Fahrvermögen gewinnen können.

Der Fachanwalt greift ein

Rechtsanwalt Pfitzenmaier nahm im Auftrag von Peter zunächst Akteinsicht. Peter ließ mich dann ebenfalls diese Schriftsätze lesen. Dort ist dann auch jene Mail zu finden, mit der Peters Chef sich an die Fahrerlaubnisbehörde wandte, um mehr oder weniger deutlich zu verlangen, ihm doch bitte den Führerschein zu entziehen – und zwar auf Grund des beigefügten Protokolls des Fahrlehrers. Meine sofortige Nachfrage bei der Spedition blieb unbeantwortet. Lediglich der Firmenanwalt setzte mich in Kenntnis, dass man mit mir nicht über den Fall sprechen möchte.

Trotz allem musste Peter im Oktober die Begutachtungsfahrt mit einem Sachverständigen des Tüv Süd absolvieren. Im Vorfeld nahm er auf eigene Kosten noch einmal Fahrstunden. Am Ende hat es mich nicht wirklich überrascht, dass Peter sowohl die Fahrstunden als auch die alles entscheidende Begutachtungsfahrt ohne Problem bestanden hat. Das amtliche Gutachten des Tüv Süd ist so ziemlich das genaue Gegenteil des rein inoffiziellen Protokolls des Risk Managers. Peter ist also zunächst einmal fein raus. Den Führerschein darf er behalten und er ist weiterhin auf Tour für das Unternehmen.

Wer kommt für den Schaden auf?

Und nun? Das Risk-Management-Unternehmen wollte sich zu dieser Sache nicht weiter äußern. Knifflig ist der Fall grundsätzlich schon. Hätte das Unternehmen nicht auf das Protokoll reagiert und es wäre in der Tat etwas passiert, so hätte es ganz andere rechtliche Folgen gehabt. Aber das ist nicht eingetreten. Rechtsanwalt Pfitzenmaier findet daher: „Schlimm ist, wenn ein offensichtlich zur Ausübung seines Berufes geeigneter Fahrer durch aktive Mitwirkung seines Arbeitgebers hinter seinem Rücken sich plötzlich der Situation ausgesetzt sieht, kostenpflichtig seine Eignung der Fahrerlaubnisbehörde nachweisen zu müssen. Und das Ganze durch eine höchst fragwürdige Beobachtungsfahrt unter dem Deckmantel einer Dokumentation eines Risk Managers. Man kann nur hoffen, dass dies keine Schule macht. Im nächsten Schritt werden wir prüfen, ob wir vom Arbeitgeber oder dem Risk Management Kostenersatz für die Aufwendungen erlangen können, die Peter im Zusammenhang mit der erzwungenen Beobachtungsfahrt hatte.“

Und Patrick Gerson von Verdi meint: „Mehr als beachtlich ist es, dass der Arbeitgeber im Ton eines Verwaltungsaktes das Landratsamt aufforderte, Peter die Fahrerlaubnis zu entziehen. Das entspricht alles andere als einer arbeitgeberseitigen Führsorgepflicht und lässt die Frage nach der wirklichen Absicht stellen.“ Peter selbst ist jedenfalls jetzt erleichtert: „Ich dachte ich bin in einem falschen Film, so etwas mit sich machen lassen zu müssen wünsche ich niemanden“. Sein Fall, welcher Peter neben Nerven, viel Geld gekostet und für eine Zeit sogar seine wirtschaftliche Existenz auf das Spiel gesetzt hat, wird nunmehr weiter die Juristen beschäftigen, um zu klären, wer für den Schaden, also auf alle Fälle die Kosten, die ihm entstanden sind, aufkommen muss.

Ich werde darüber weiter berichten, sobald auch dieser Punkt geklärt ist.

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