Reallöhne für Lkw-Fahrer Der Teufelskreis

Foto: Dirk Baumgart
Meinung

Die Reallöhne der Berufskraftfahrer sind zum zweiten Mal in Folge gesunken, dafür steigen die Kosten, auch für die Transportunternehmer. Reden wir also über Geld!

Wenn Dirk Baumgart aus Neubrandenburg, begeisterter Lkw-Fahrer seit sieben Jahren und Gründer der „Interessengemeinschaft pro Lkw“, derzeit sorgenvoll in sein Portemonnaie blickt, dann verbergen sich dahinter wenig erfreuliche Zahlen. Zum zweiten Mal in Folge sind die Reallöhne im vergangenen Jahr gesunken. Die hohe Inflation beschert derzeit auch dem zweifachen Familienvater rund 120 Euro Mehrkosten im Monat. Alles wird teurer, die Preise für Lebensmittel gehen nach oben, aber auch für den Treibstoff, um zur Arbeit zu kommen. Seit Anfang des Jahres fährt Dirk mit einem DAF und einem Kipperzug für Stehlmann Trucking, einem Familienbetrieb mit fünf Lkw aus Burg Stargard die ganze Woche über Touren mit Schüttgut in Mecklenburg-Vorpommern. „Das Geld, das ich verdiene, passt“, so Dirk. „Zusätzlich zum Gehalt können wir 40 Euro pro Monat in das private Fahrzeug tanken. Das hilft.“

Lohnforderungen gegen Unternehmerkosten

Die aktuelle Inflation drohe zu einem Teufelskreis zu werden, befürchtet Daniel Stancke, Mitbegründer von JobMatchMe aus Hamburg im Trailer zur 77. Sendung von FERNFAHRER LIVE (siehe Terminhinweis). „Eine Inflation betrifft zuerst immer die Geringverdiener“, sagt Stancke. „Diese Entwicklung ist aber noch neu, es gibt daher im Augenblick noch viel Klärungsbedarf.“ Stancke beobachtet auf Grund der vielen anonymisierten Daten natürlich die aktuelle Entwicklung der Fahrerlöhne bei den Kunden von JobMatchMe in ganz Deutschland, also konkret, welchen Lohn die Unternehmer den Fahrern heute bieten müssen, um auf Grund des sich weiter verschärfenden Fahrermangels überhaupt noch als Arbeitgeber attraktiv zu sein. „Hier gab es regional einige Schwankungen. Bedingt auch durch die Corona-Pandemie.“ Die bundesweiten Zahlen als Benchmark von JobMatchMe aus dem dritten Quartal 2021 finden sich hier. „Die Fahrerlöhne werden steigen“, davon ist Stancke überzeugt. „Doch der Lohn allein ist natürlich nicht alles, warum sich Fahrer auf eine Stelle bewerben. Aber er hilft.“

Ist die mangelnde Tarifbindung das Problem in der Transportbranche?

Die grundsätzliche Antwort auf die Frage, ob mangelnde Tarifbindung das Problem in der Transportbranche ist, kommt aktuell ausgerechnet von der CDU, die sich nach der verlorenen Wahl im vergangenen September in der Opposition wieder neu sortiert. „Die stetig sinkende Tarifbindung in Deutschland ist besorgniserregend“, sagen die beiden Autoren Kai Whittaker und Dennis Radtke in einem bemerkenswerten Gastbeitrag im Spiegel. „Durch sie haben aber nicht nur Arbeitnehmer Sicherheit und Einfluss auf die Lohnentwicklung, sondern auch die Arbeitgeber profitieren von Planbarkeit und sparen Kosten durch geordnete Verhandlungen. In Deutschland sind aktuell weniger als die Hälfte der Beschäftigten von einem Tarifvertrag erfasst. Stattdessen tritt der Staat als Reparaturbetrieb auf. Der Mindestlohn ist ein prominentes Beispiel. Als CDU beschwören wir die Tarifpartnerschaft. Wir müssen endlich Antworten liefern, wie wir diese tragende Säule unseres sozialen Systems stärken.“

Foto: BGL
Übersicht über Unternehmensgrößen laut BGL

Das wäre auch für die deutsche Transportwirtschaft eine Grundvoraussetzung, um für bessere und verlässliche Beschäftigungsbedingungen zu sorgen. Denn auf Basis der vom Bundesamt für Güterverkehr, BAG, turnusmäßig erstellten Unternehmensstatistik sind von den derzeit 46.903 Transportunternehmen im gewerblichen Güterverkehr in Deutschland lediglich 7.000 in den Landesverbänden des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) vertreten. Ein Grund ist die Kleinteiligkeit des deutschen Gewerbes: 30.187 Betriebe haben ein bis neun Beschäftigte, 8.107 haben zehn bis 19 Mitarbeiter. Die Mitglieder des BGL kommen daher überwiegend aus den 8.621 mittelständischen Firmen ab 20 Mitarbeitern – ein teil davon allerdings als Mitglieder ohne Tarifbindung. Zum Vergleich sind von den letztmalig gezählten rund 572.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigten Lkw-Fahrern im deutschen gewerblichen Güterverkehr auch nur etwa fünf Prozent Mitglied im Fachbereich „Speditionen, Logistik und KEP“ der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, Verdi.

Das beidseitige Problem des geringen Organisationsgrades

„Die Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben beide das Problem des geringen Organisationsgrades“, sagt Sven Fritzsche aus Chemnitz, Sprecher der Kraftfahrerkreise in Deutschland, der als ehrenamtlicher Vertreter der Fahrer heute Mitglied im Bundesfachgruppenvorstand der Fachgruppe „Speditionen, Logistik und KEP“ ist. Er beschreibt die Realität der Transportwirtschaft. „In einigen Unternehmen bekommen die Arbeitnehmer teilweise neue Arbeitsverträge mit dem gleichen Lohn, aber für weniger Arbeitsstunden. In der Praxis werden aber nicht weniger Stunden gearbeitet, im Gegenteil.“ Wenn die Arbeitgeber in ihren Verbänden besser organisiert wären, so sein Argument, könnten sie sich auch besser gegen den Preisverfall stellen. „Und wenn die Arbeitnehmer endlich verstehen würden, was sie im Moment für eine Macht haben, dann wäre es ein Traum, was geregelt werden könnte.“

Als Mitglied der Tarifkommission Sachsen Spedition/Güterverkehr verweist er auf messbare Erfolge: „Bei den letzten Verhandlungen zum Flächentarifvertrag erzielten wir ein Ergebnis von zehn Prozent Lohnsteigerung in zwei Jahren. Aber nur mein Unternehmen mit 240 Angestellten und 60 gewerkschaftlich organisierten Mitarbeitern war das einzige Unternehmen, was wirklich streikfähig gewesen wäre.“ Sein Argument: „Solange von den Unternehmen Kopfgeld, übertarifliche Zulagen, Heimfahrgeld ab 150 Kilometern gezahlt werden, kann es den Unternehmen nicht so schlecht gehen.“

Die Lage aus Sicht der Unternehmen

Für seinen Landesverband beschreibt Marcus Hover, Stv. Hauptgeschäftsführer Wirtschaft und Kommunikation im Verband Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen e.V., die Lage etwas anders: „Ver.di forderte in den Tarifverhandlungen im letzten Jahr bei einer Laufzeit von zwölf Monaten eine Erhöhung von sechs Prozent, mindestens aber 150 Euro undifferenziert für jeden Beschäftigten“, so Hover. „Daneben forderte ver.di noch die Einführung eines 6-stufigen Entgeltgruppensystems für gewerbliche Arbeitnehmer, mit der die Dauer der Beschäftigung in der Branche zusätzlich honoriert werden sollte. Die Abstände sollten, so die Forderung von ver.di, jeweils 145 Euro betragen. Eine derartige Forderung wäre schlichtweg unbezahlbar gewesen, denn die Einführung der Entgeltgruppen hätte in der Spitze zu einer Erhöhung von rund 38 Prozent geführt. Da ver.di lange Zeit auf einer Erfüllung der Forderungen bestanden hat, waren die Verhandlungen naturgemäß schwierig.“

Dass an den Löhnen etwas getan werden müsse, so Hover, habe die Tarifkommission dabei die ganze Zeit betont. Darum komme die Tariferhöhung, auf die man sich letztendlich einigen konnte, auch den steigenden Lebenshaltungskosten entgegen: „Zum Jahresbeginn sind die tariflichen Löhne und Gehälter in NRW pauschal für jeden Mitarbeiter um 110 Euro monatlich gestiegen, zum 1. Januar 2023 steigen die Löhne und Gehälter um weitere 45 Euro und ab dem 1. Januar 2024 abermals um 45 Euro. Zusätzlich honoriert der Tarifvertrag ab Januar 2022 die Dauer der Betriebszugehörigkeit. Mitarbeiter mit langer Betriebszugehörigkeit erhalten zum Ende der Laufzeit des Tarifvertrages in 2024 bis zu 200 Euro brutto monatlich zusätzlich.“

Wann ist eine Entlohnung fair?

Nachdem die Fahrerlöhne in der Vergangenheit unter dem Durchschnitt vieler Branchen lagen, betont Hover, zeige sich aktuell in den Vergütungsentwicklungen der letzten zwei Tarifrunden in NRW doch, „dass die Branche ihre Hausaufgaben gemacht hat und den Weg zu einer fairen Entlohnung beschreitet“. Allerdings müsse insbesondere im europäischen Vergleich ein fairer Wettbewerb möglich sein. Daran arbeiten wir auch gemeinsam mit anderen westeuropäischen Verbänden. „Das schrittweise in Kraft tretende Mobilitätspaket ist dazu ein ganz wichtiges Werkzeug. Ohne den jahrelangen Einsatz unseres Bundesverbandes BGL hätte es das in der jetzt vorliegenden Form nicht gegeben. Es liegt weiter sehr viel Arbeit vor uns, damit das Gesetzespaket nicht nur auf dem Papier gut aussieht, sondern auch auf der Straße umgesetzt wird.“ Dass es allerdings gerade hier an der Umsetzung der Entsenderichtlinie hapert, habe ich bereits in meinen Blog-Artikel „Gleiche Arbeit, gleicher Lohn?“ kritisiert.

Grundsätzliche Zweifel

Grundsätzliche Zweifel an vielen aktuellen Beschäftigungsverhältnissen hat Manfred Pietsch, langjähriger Fahrer eines auf Pakettransporte spezialisierten Transportunternehmens aus Bayern, und ebenfalls Mitglied bei Verdi. Mit seinem Wechselbrückenzug pendelt er regelmäßig zwischen Aschaffenburg und Paris. Er schrieb mir auf meine Frage, was er von der für den Herbst von der Ampelregierung im Koalitionsvertrag geplanten Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro halte. „Es stellt sich nicht die Frage, ob ich für oder gegen die zwölf Euro Stundenlohn bin“, sagt Manfred. „Eher stelle ich mir die Frage, was den Leuten an Lohnnebenleistungen abgezogen wird, um sie dann in den Stundenlohn einzuflicken.“ Und so stellt er weitere Fragen, über die wir ebenfalls in der Sendung debattieren werden. „Was ist mit dem Tageslohn? Ich kenne viele Fahrer, die einen solchen haben. Wann ist dieser bedient? Nach 9,6 Stunden, nach zehn Stunden oder nach fünfzehn Stunden, was auch so manche Chefs denken? Wie ist es mit den Spesen? Es gibt eine Empfehlung. Bezahlt der Arbeitgeber sie nur teilweise, so soll sich der Arbeitnehmer die am Jahresende über den Steuerausgleich holen. Aber was ist, wenn das Brutto so gering ist, dass die Restspesen gar nicht alle geholt werden können. Und was ist mit den Nachtzuschlägen?“ Auch hier verweise ich vorab auf meinen Blog-Beitrag „Streit um die Mehrarbeit“, ein offensichtliches Dauerproblem der Branche.

Es geht nur über Transparenz

Für Daniel Stancke steht schon lange fest: Nur mit wirklicher Transparenz auf beiden Seiten finden sich am Ende die Fahrer und die Arbeitgeber, die zueinander passen. Daher freuen wir uns, dass wir die 77. Sendung von FERNFAHRER LIVE diesmal wieder live senden, und zwar bei der Containerspedition Glomb aus Bremerhaven, die wir bereits 2020 schon einmal besucht haben. „Die Schiffsankünfte sind derzeit leider zu rund 70 Prozent außerhalb der Fahrpläne“, berichtet Glomb vorab über die Lage vor Ort. „Nur noch rund 30 Prozent der Schiffe kommen pünktlich. Das sorgt natürlich immer wieder für Probleme in den Häfen, weil kaum noch Planbarkeit gegeben ist.“ Und zum Thema der Sendung sagt er: „Die Lage in Bremerhaven ist durchaus ähnlich wie in den meisten Teilen Deutschlands. Man muss sich als Unternehmer schon deutlich um seine Fahrer bemühen, ihnen ein gutes Arbeitsumfeld mit attraktiven und hochwertigen Fahrzeugen und einem positiven Betriebsklima ebenso bieten sowie ein angemessenes Lohnniveau und eventuelle Nebenleistungen“.

Terminhinweis:

In der 77. Sendung von FERNFAHRER LIVE am 24.2. ab 17 Uhr reden wir daher über Geld. Unsere Gäste sind: Daniel Stancke von JobMatchMe, Sigward Glomb, Unternehmer im Containertransport in Bremerhaven, Marcus Hover, Stv. Hauptgeschäftsführer Wirtschaft und Kommunikation im Verband Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen e.V., Sven Fritzsche aus Chemnitz, Sprecher der Kraftfahrerkreise, der als „Ehrenamtlicher“ im Bundesfachgruppenvorstand der Fachgruppe 2, „Speditionen, Logistik und KEP“ ist, Manfred Pietsch, Fahrer einer großen Spedition aus Bayern, sowie Dirk Baumgart von der „Interessengemeinschaft pro Lkw“ aus Mecklenburg-Vorpommern.

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