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Prof. Kille zum Fachkräftemangel Gemeinsam Lösungen statt auf Technik vertrauen

Handschlag Foto: May Chanikran - stock.adobe.com

Der Logistikweise Prof. Christian Kille über den Fachkräftemangel – und warum zu viel Technikgläubigkeit die Zukunft gefährdet.

Das Thema ist alles andere als neu: der Fachkräftemangel. Der macht sich zunehmend auch in der Logistik bemerkbar. Und zwar längst nicht nur beim Fahrpersonal. Denn auch in klassischen branchenspezifischen Berufsbildern wie bei den Speditionskaufleuten oder eben in branchenfremden wie bei IT-Spezialisten fehlt der Nachwuchs. Das liegt nur zum Teil an dem immer noch angekratzten Image der Logistik.

Der Logistik geht der Nachwuchs aus

Das bestätigt Prof. Christian Kille vom Institut für angewandte Logistik an der Hochschule Würzburg im Gespräch mit trans aktuell. Der Forscher beschäftigt sich bereits seit Jahren als Teil der Logistikweisen mit dem Problem. „In den letzten drei Jahren hat es aber extrem zugenommen. Unsere Aufgabe ist es, dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr einen kurzfristigen Ausblick auf die kommenden Jahre zu geben“, berichtet Kille. Darüber hinaus appellieren sie an die Politik, indem sie auf besondere Schwierigkeiten hinweisen. „Aber wir entwickeln keine Lösungen“, erklärt Kille.

Ein Beispiel aus der Vergangenheit ist das erwähnte Image der Logistik. Wie von vielen Institutionen auch wurde es von den Logistikweisen als Herausforderung identifiziert, und das mündete schlussendlich in der Initiative „Die Wirtschaftsmacher“. Ziel ist, die Funktion der Logistik und die Vielfältigkeit der Beschäftigungsmöglichkeiten aufzuzeigen. „Die Logistik hat eine Schnittstellenfunktion zwischen Versender und Empfänger. Oftmals gibt es dabei Reibungspunkte. Aus Sicht der Wirtschaftsweisen müssen die Beteiligten miteinander sprechen und aufeinander zugehen. Nur so können Lösungen entstehen“, erläutert der Wissenschaftler. Das Credo der Logistikweisen lässt sich demnach in einem Wort beschreiben: „gemeinsam“.

Laderaum gibt's nur mit genügend LKw-Fahrern

Natürlich sei die Außenwirkung aber nur ein Teilbereich, den es gemeinsam anzugehen gelte. „So ist der Laderaum eben auch deshalb knapp, weil es nicht genügend Lkw-Fahrer gibt“, sagt Kille. An dieser Stelle müsse man sich eine Frage stellen: „Muss alles, was ich heute bestelle, tatsächlich schon am nächsten Tag kommen, nur weil es möglich ist?“ Aus Sicht von Kille und den anderen Logistikweisen führt dies lediglich zu mehr Ineffizienz und letztlich mehr Transportverkehren – inklusive einer schlechteren Ökobilanz.

Prof. Dr. Christian Kille Foto: Dierk Kruse
Prof. Dr. Christian Kille warnt vor zu viel Technikgläubigkeit.

In diesem Zusammenhang warnt Kille auch vor zu viel Technikgläubigkeit. Natürlich helfe die Digitalisierung dabei, Prozesse zu automatisieren und so die Abläufe in der Supply-Chain zu verbessern. Das dürfe aber nicht als Allheilmittel verstanden werden. Und vor der Idee, dass innerhalb weniger Jahre alle Lkw autonom unterwegs seien, warnt er sogar ausdrücklich. Denn das werde noch Jahrzehnte dauern. „Es ist ein Unterschied, ob ich einen kurzen Teilabschnitt einer Strecke fürs autonome Fahren ausbaue oder das gesamte Autobahnnetz. Unabhängig von der zeitlichen Dimension sei diese Technikgläubigkeit eher kontraproduktiv: „Wenn ich mich als junger Mensch für einen Job interessiere und dann lese, dass es bald keine Fahrer mehr braucht, entscheide ich mich für einen anderen Beruf. Gefragt ist also Zukunftssicherheit“, erklärt Kille. Und die ist seiner Meinung nach auf jeden Fall gegeben.

Attraktivität des Berufs steigern

Darüber hinaus gelte es, gemeinsam daran zu arbeiten, die Attraktivität dieses Berufs zu steigern. Dafür sei es unabdingbar, einen Blick auf die aktuellen Abläufe zu werfen – vor allem an den Stellen, an denen unterschiedliche Akteure aufeinandertreffen. „Es lassen sich Routen oft so planen, dass die Fahrer ihre Ruhezeit etwa an einem Distributionszentrum verbringen können. Dort sollte dann aber gewährleistet sein, dass eine menschenwürdige Überbrückung der Wartezeit möglich ist“, sagt Kille. Das gelte auch dann, wenn die Fahrer außerhalb der Anlieferzeit ankommen und entsprechend warten müssen. „Das lässt sich nur gemeinsam mit den anderen Partnern in der Lieferkette erreichen – ob weiterer Logistiker oder Auftraggeber aus Industrie und Handel.“ Klar ist für den Logistikweisen, dass es mit mehr Geld für einen bequemeren Sitz in der Lkw-Kabine nicht getan ist. „Ich bin mir allerdings nicht sicher, wie groß der Stellhebel ist, auf weibliche Fahrer zu setzen – sodass sich diese auch sicher fühlen.“

Potenziale bei Begegnungsverkehren

Ein anderer Punkt liegt für ihn und seine Kollegen aber klar auf der Hand: Im Nahverkehr sei es kein so großes Problem, Fahrer zu finden, im Fernverkehr hingegen schon. Der Wissenschaftler plädiert daher für die Analyse der Potenziale von Begegnungsverkehren – und zwar über die Grenzen von Ladungskooperationen hinaus und sogar wettbewerbsübergreifend. Die Marke der Zugmaschine oder die Bedruckung der Plane dürften keine Ausschlusskriterien für eine Belieferung mehr sein. In den Fokus müssten aber wirtschaftliche wie auch ökologische Gesichtspunkte rücken. „Natürlich lassen sich mit modernen Transport-Management-Systemen auch Routen berechnen, die alle Restriktionen berücksichtigen. Richtig sinnvoll werden die Touren damit aber nicht. Dafür müssen wir gemeinsam an anderen Stellschrauben drehen“, sagt Kille.

Ein Lösungsansatz sind die bereits angedeuteten Staffelverkehre, wie sie etwa auch das spanische Start-up Trucksters etablieren will und dazu erst Ende 2021 eine deutsche Niederlassung in Bielefeld gegründet hat. Wobei natürlich auch dort künstliche Intelligenz (KI) für die Planung zum Einsatz kommt.

Streng genommen gehe es also darum, Synergien zwischen Unternehmen zu schaffen und die Routen zu synchronisieren. Das gelte besonders für den KEP-Bereich. Denn auch dort mache sich der Fahrermangel zunehmend bemerkbar. Und bis jeder eine Paketstation in fußläufiger Reichweite habe, „gehen noch 10 bis 20 Jahre ins Land“, ist Kille sich sicher. Entsprechend müsse jetzt nachjustiert werden, wenn die Lieferketten weiterhin funktionieren sollen.

Konsortium aus Logistik, Industrie und Handel

Ganz aktuell ist ein Konsortium im Entstehen, das Logistikdienstleister sowie Verlader aus Industrie und Handel zusammenbringt, da der Expertenkreis hier auch Forschungsbedarf und mehr Transparenz in dem Status quo, den potenziellen Auswirkungen und den möglichen Lösungen identifiziert hat. Das Konsortium setzt sich aus wissenschaftlichen und Praxispartnern der Logistikweisen sowie weiteren Unternehmen zusammen. Das Projekt wird von Kille, Prof. Wolfgang Stölzle von Logistics Advisory Experts, einem Spin-off der Universität St. Gallen, und Prof. Thorsten Schmidt von der Technischen Universität Dresden umgesetzt. Bis Herbst 2022 werden die ersten Ergebnisse erwartet. Dabei werden auch die Fahrerinnen und Fahrer direkt in die Untersuchung integriert.

Die Logistikweisen

  • Bei dem sogenannten Gipfel der Logistikweisen handelt es sich um ein Expertengremium unter Schirmherrschaft des Bundesverkehrsministeriums
  • Das Gremium setzt sich aus 31 Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammen
  • Ziel ist, die Entwicklung der Logistik jeweils für das Folgejahr zu prognostizieren und mit anderen Wirtschaftsbereichen zu vergleichen
Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
Ta 02 2022 Titel
trans aktuell 02 / 2022
11. Februar 2022
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