Maßnahmen gegen Fahrermangel Der Image-Stau

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath

Kann man die derzeit kritisierten schlechten Arbeitsbedingungen im Transportgewerbe durch eine positive Kampagne aus der Welt schaffen oder müssen diese sich erst ändern, damit auch das Ansehen der Branche besser wird? Eine Auseinandersetzung mit PROFI – auch dem am Steuer.

Die A6 zwischen Heilbronn und dem Kreuz Walldorf Nähe Mannheim ist eine der am stärksten frequentierten Transitrouten durch Deutschland, der Anteil osteuropäischer Lkw liegt hier nach Polizeiangaben mit bis zu 70 Prozent deutlich über dem durchschnittlichen Mautanteil für ausländische Fahrzeuge auf der Autobahn. Die Folge: Staus ohne Ende, kaum ein Tag, an dem rund um das Kreuz Walldorf nicht ein Lkw ins Stauende rast. Auch für die einheimischen Fahrer, die hier lang müssen, ein unnötiger Nervenkitzel.

Und es hat Auswirkungen, wie es das Beispiel der alteingesessenen Spedition Graeff aus Mannheim zeigt, wie mir der Geschäftsführer Jochen Graeff bereits im vergangenen Jahr erzählt hatte. Bislang fuhren die eigenen Fahrer mit ihren Ladungen in Tagestouren in den Raum Nürnberg, doch immer öfter kamen sie auf der Rückfahrt dank des Staus nicht mehr bis zur Firma und mussten unterwegs zwangsläufig ihre tägliche Ruhezeit einlegen.

Also weigerten sie sich, die Tour überhaupt noch zu fahren. Nun holen sie im Nahverkehr die Ladungen aus dem Rhein-Main-Gebiet vor, die bei Graeff im Lager umgeschlagen werden, die Touren nach Nürnberg werden verchartert. Das löst zwar nicht das Stauproblem auf der Autobahn. Aber die Fahrer von Graeff sind bei der Stange geblieben.

Reales Unfallgeschehen

Die Rhein-Neckar-Zeitung ist jetzt aktuell der Frage nachgehen, wie sich die Vorurteile zum Unfallgeschehen aus den vielen negativen Schlagzeilen der Presse darstellen. Fazit: „Zwar sind Pkw die Verursacher Nummer eins und bestätigen den Eindruck "Immer wieder sind es die Lkw" nicht. Doch richtig gefährlich wird es, wenn Lastwagen beteiligt sind: Bei schweren Unfällen sind Lkw überproportional involviert. In den meisten Fällen handelt es sich dabei tatsächlich um Auffahrunfälle, weil Fahrer zu schnell unterwegs sind oder zu wenig Abstand zu den vorausfahrenden Fahrzeugen halten. Und das passiert oft: An weit mehr als zwei Drittel aller Tage kommt es zu Unfällen.“

PROFI steht für Pro Fahrer Image

Spätestens seit diesem Jahr ist der drohende Mangel an qualifizierten Fahrern in der deutschen Transportwirtschaft eines der beherrschenden Themen, über das sogar immer mal wieder in der Tagespresse berichtet wird. Ein Bedrohungsszenario, wie es oft von Professor Dirk Engelhardt, dem Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) heraufbeschworen wird, ist der bevorstehende Versorgungskollaps.

Auch um diesem Engpass beim Fahrpersonal entgegen zu wirken sowie um das durch viele Berichte über Unfälle oder betrunkene osteuropäische Fahrer enstandene negative Bild der Branche in der Öffentlichkeit zu verbessern, wurde bereits im Mai 2019 der Verein "Pro Fahrer Image", kurz PROFI, gegründet. Der BGL, Vertreter der Nutzfahrzeughersteller und der Fachmedien, wie dem ETM-Verlag, sind Mitglied dieses Vereins, dessen offizielle Eintragung ins Frankfurter Vereinsregister nach einem langwierigen Verfahren nun wohl unmittelbar bevorsteht. Immer wieder fällt dabei der Begriff der besseren Wertschätzung für die Fahrer. In einem meiner letzten Blogs hatte ich bereits argumentiert, dass Wertschätzung allein nicht reicht, um den Fahrermangel zu beheben.

Die Realität ist brutal

Das alles bringt mich heute nun zu der Frage, die ich mir bereits länger stelle: Kann man die kritisierten schlechten Arbeitsbedingungen im Transportgewerbe durch eine Imagekampagne aus der Welt schaffen oder müssen diese sich erst ändern, damit auch das Image besser wird? Während ich im Zug nach Berlin sitze, lese ich eine dieser traurigen lokalen Nachrichten: Wieder ist ein Fahrer am Steuer kollabiert. Diese Meldungen vom „Notruf an der Autobahnkante“ häufen sich. Für mich sind das die größten Alarmzeichen zum akuten Fahrermangel. Die Überalterung der Fahrer fordert ihren Tribut. Diese Realität ist einfach zu brutal, als dass sie durch ein besseres Image einfach verdrängt werden könnte.

Mythos Auf Achse

Eins steht allerdings bereits fest: die Öffentlichkeit der „Konsumenten und Verbraucher“ interessiert sich nicht wirklich dafür, wie die Ware ins Geschäft oder zunehmend per Lkw und Paketbote „aus dem Internet“ auf der Straße zu Ihnen nach Hause kommt. Ich bin daher immer wieder verwirrt, wenn selbst Vertreter der Nutzfahrzeugindustrie von der uralten Truckerserie „Auf Achse“ schwärmen, in der zwei sympathische Haudegen im Lkw den Mythos geschaffen haben, man könne ohne das irdische Problem von Zeit und Raum durch die Umgehung jeglicher, damals noch nicht wirklich vorhandener Sozialvorschriften, Fracht von A nach B befördern. Nach der amtlichen Kontrollstatistik des BAG glauben das rund 20 Prozent der deutschen Fahrer und ihre Disponenten noch bis heute. Wir sind mittlerweile im dritten Fünf-Jahres-Zyklus der Weiterbildung laut Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz – und noch immer werden auf Facebook die unglaublichsten Fragen zu den Lenk- und Ruhezeiten gestellt. Und teilweise noch unglaublicher beantwortet.

Auch die beiden aktuellen Serien im privaten Fernsehen, die „Asphalt Cowboys“ und die „Trucker Babes“, führen unter den Fahrerinnen und Fahrern selbst zu Diskussionen, ob das breite Publikum aus diesen Doku-Soaps einen Imagegewinn generieren kann. Auch wenn die charmante Botschafterin des BGL, Christina Scheib oder die lebenslustige Tinka im positiven Sinne aus der Rolle des Klischees fallen.

Die Idee, die Mitgliedsbeiträge des Vereins etwa für Werbespots im TV zu verwenden, ist gut. Doch wem nützt es, wenn dann in der Öffentlichkeit ein kurzes doch möglicherweise arg geschöntes Bild verbreitet wird?

Die Löhne und die Zuverlässigkeit der Fahrer

Wie ich im nächsten FERNFAHRER 1/2020 zeigen werde, besteht mittlerweile ein durchaus fragwürdiges Selbstverständnis vieler Fahrer, was sich in hoher Fluktuation niederschlägt. Oder anders gesagt: Gut geführte mittelständische Unternehmen wie etwa March Transporte aus Rheinbach haben zwar immer wieder Fahrerbedarf – aber eigentlich keinen Mangel, weil es dort mehr Bewerber gibt als offene Stellen. Doch spätestens beim Vorstellungsgespräch fallen viele Fahrer dann wieder durchs Raster – weil sie einfach nicht dem entsprechen, was sich ein Unternehmer vorstellt. Immer öfter höre ich, dass sogar Arbeitsverträge unterschrieben werden, die frisch eingestellten Fahrer dann aber wieder abspringen, und sei es per WhatsApp eine Stunde vor der Abfahrt mit dem disponierten Lkw.

Andere Unternehmer, die ich lange kenne, erzählen mir von Fahrern, die bei Ihnen anfangen und es sich beim Einlesen der Fahrerkarte ins eigene System herausstellt, unter welch katastrophalen Bedingungen diese Fahrer vorher selbst bei Firmen mit einem halbwegs guten Ruf gearbeitet haben. Ja, auch unter Verwendung einer zweiten Fahrerkarte. Weitere Fahrer, so heißt es, hätten Lohnvorstellungen deutlich jenseits der finanziellen Möglichkeiten der zukünftigen Arbeitgeber, deren Umsatz sich aus den Frachtraten am wettbewerbsorientierten Markt ergeben. Wenn diese dann in Insolvenz gehen, ist der Schaden fürs Gewerbe schon passiert.

Ein realistische Einschätzung der Löhne

Eine realistische Einschätzung der Löhne, die der Transportmarkt wirklich hergibt, bietet derzeit das Portal „Truckjobs“, die sie in einem ansprechenden Film verpackt haben. Wer sich in der Branche umhört, der muss feststellen, dass es nach oben wie nach unten jeweils noch Luft gibt.Seit Ende vergangener Woche arbeitet der ETM-Verlag nun eng mit der Hamburger Partnerbörse zusammen, was ich ausdrücklich begrüße. Die Trefferquote für Unternehmer, so sagen mir diese, ist jedenfalls höher als über eigene Anzeigen. Ich persönlich denke, dass hier der Markt über kurz oder lang entscheiden wird, welches Unternehmen überhaupt noch gute Fahrer bekommen wird – und welche nicht.

Klare Aufgabenverteilung

Der Verein PROFI dreht sich also nicht nur um das Image der Branche – sondern auch um die Fahrer selber. Die, man muss es so sagen, durch ihr Verhalten unterwegs nicht selten dem eigenen gute Image im Wege stehen. Das betrifft nicht ausschließlich die viel gescholtenen Fahrer aus Osteuropa, sondern auch deutsche Kollegen. Denn eins ist klar: Die Qualität wird nicht linear zur staatlich geförderten Umschulung von bald 19.000 Quereinsteigern aus anderen Berufen mit teils kritischer Biografie besser. Die Unternehmen haben noch nie so viele kleine und große Schäden im Fuhrpark beklagt, wie heute. Auch weil heute aus purer Not Fahrer ans Steuer eines Lkw gelassen werden, die früher noch nicht mal ein Bewerbungsgespräch bekommen hätten.

Wer zwischen den Zeilen lesen kann, der deutet auch die aktuelle Statistik des Bundesamtes für Güterverkehr genau in diesem Sinne. Den Zuwachs an Fahrern im deutschen Gewerbe machen die Fahrer aus Osteuropa, die hier in der Regel im Rhythmus drei Wochen arbeiten, eine Woche Heimaturlaub beschäftigt sind. Die Abbrecherquote bei der dreijährigen Ausbildung zum Berufskraftfahrer, den jungen Menschen, die in naher Zukunft die Lkw steuern sollen, bleibt hoch. Und der Frust wächst angesichts deutlich zu langer Gesamtarbeitszeiten. Sogar der DGB hat jetzt gefordert, dass die Arbeitszeiten der Fahrer europaweit besser kontrolliert werden müssen. Doch daran scheitert es in erster Linie.

Zwischen BGL und Verdi

Eigentlich werden Fahrer von Verdi betreut. Doch eins ist klar: Fahrer müssen sich zuerst selbst in der Struktur der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft mit ihren Problemen und Forderungen Gehör verschaffen. Dafür gibt es gewählte Vertreter, wie ich hier beschrieben habe. Das ist allerdings ein langer und mühsamer Weg.

Auf der anderen Seite stehen die Arbeitgeber, von den rund 7.000 immer noch überwiegend tarifgebundene meist mittelständische Speditionen über die Landesverbände alle zwei Jahre mit den Vertretern von Verdi über die Lohn- und Tarifbedingungen verhandeln. Beide Organisationen leiden darunter, dass sie zu wenig Mitglieder haben. Der BGL selber versucht daher, seinen Einfluss durch konstruktive Vorschläge bei den politisch Verantwortlichen in Berlin und Brüssel im Sinne des deutschen Gewerbes durchzusetzen. So konnte für PROFI auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheurer als Schirmherr gewonnen werden.

Die „goldene Ameise“ für die schlechteste Rampe

Was der BGL nicht kann: Parkplätze bauen, Baustellen beschleunigen oder Staus aus der Welt schaffen. Auch der Einsatz einer noch zu bestimmenden App zur Bewertung von guten oder schlechten Rampen, also den Zuständen für die Fahrer bei den Kunden, ist immer nur so gut, wie die Konsequenz, die eine schlechte Bewertung in der Praxis nach sich zieht. So wie sich Fahrer, anlog zum Stau auf der A6, offenbar schon heute weigern, bestimmte Abladestellen anzufahren. Doch solange eine etwa zu vergebene „goldene Ameise“ für die schlechteste Rampe nicht wirklich dazu führt, dass dort niemand mehr anliefert, bleibt es ein schöner Gedanke. Das wird die Zukunft zeigen.

Fahrer wollen mitreden

Nun ist allerdings eine interessante Frage aufgetaucht, die das engagierte PROFI-Team um Dirk Engelhardt, Miriam Schwarze und Nina Zimmermann vom BGL vergangenen Samstag auf dem SVG-Autohof Kirchheim an der A7 beantworten wollte. Dorthin hatte der BGL eingeladen, um auch die Fahrer selbst über den Verein und die Möglichkeit einer PROFI-Mitgliedschaft zu informieren. Sie kostet für Fahrer 40 Euro im Jahr. Enttäuschend daher, dass, wie so oft, statt der über Facebook angekündigten rund 40 Teilnehmer an diesem informativen und am Ende höchst konstruktiven Dialog nur eine Handvoll „alter Bekannter“ teilgenommen hat, die sich den beiden Fahrerorganisationen Allianz im deutschen Transportgewerbe (Aidt) und den gewerkschaftlich betreuten Kraftfahrerkreisen (KfK) zuordnen.

Nachdem aus gutem Grund das strittige Thema der Allgemeinverbindlichkeit eines neuen Bundesmanteltarifvertrages vorab ausgeschlossen wurde, kam die recht schnelle Einigung darauf, gemeinsam immerhin unter anderem eine mehrsprachige Broschüre mit den wichtigsten Verhaltensregeln, quasi einen „Fahrer-Knigge“ zu entwickeln und möglichst breit zu streuen.

Bemerkenswert ist für mich vor allem die Tatsache, dass sich für den Beruf engagierte Fahrer quasi unter das Dach des BGL als federführendes Mitglied von PROFI begeben möchten, weil sie dort offenbar mehr Chancen sehen, ihre Vorstellungen eines besseren Images der Branche umzusetzen als in der eigentlich zuständigen Gewerkschaft. Kein Wunder also, dass sie den Wunsch äußerten, eventuell über einen Beirat in Zukunft über die zu treffenden Entscheidungen mitreden zu wollen.

Der Ball liegt nun beim Vorstand des Vereins, der das entscheiden muss, ob diese Mitsprache der Fahrer gewünscht ist – und wer das in die Hand nehmen soll. Dazu wird der BGL in absehbarer Zeit noch einmal Fahrer nach Kirchheim einladen. Ist das Interesse aus der Fahrerschaft so groß wie vergangenen Samstag, dann ist diese Chance der Mitsprache allerdings gleich wieder gestorben.

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