Hamsterkäufe Die Versorgung ist sicher

Johannes Roller Foto: Johannes Roller
Meinung

Die Ausbreitung des Corona-Virus besorgt viele Deutsche, sie legen Vorräte mit Konserven, Teigwaren und Hygieneartikeln an. Nordrhein-Westfalen erlässt bereits eine Ausnahmegenehmigung, damit der Nachschub auch am Sonntag kommissioniert werden darf. Doch was ist mit den Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer, wenn es wirklich zu einer Krise kommt?

Die Regale in den deutschen Supermärkten sind immer voll. Kein Samstag, an dem ich einkaufen gehen, an dem nicht fleißige Helfer alle Waren sofort wieder auffüllen, damit der Kunde am Montag wieder aus dem Vollen greifen kann. So war es alle Jahre, Rentner mögen sich noch an andere Zeiten erinnern, doch die liegen zum Glück sehr weit zurück.

Die Renaissance des Notvorrats

Bis vergangenen Samstag. Da wurde bundesweit eingekauft, als gäbe es kein Morgen mehr. Angesichts der globalen Ausbreitung des Corona-Virus, womöglich auch aus Misstrauen gegenüber der abwartenden Haltung der Bundesregierung, erlebte der Notvorrat eine ungeahnte Renaissance. Vor allem Konserven, Nudeln oder Kartoffeln gehören dazu, lang haltbare Produkte eben. Außerdem Medikamente, Hygieneartikel, soweit noch verfügbar, und jede Menge Toilettenpapier. Am Montag, 2. März 2020, verkündete der Handelsverband Deutschland (HDE) noch höchst frohgemut in einer Pressemitteilung: „Die Verbraucherstimmung verbessert sich spürbar“.

Ein Minister versucht zu beruhigen

Da hatten die Bilder der bundesweiten Hamsterkäufe auch den nordrhein-westfälischen Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) erreicht. Im Radio mühte er sich darum, die Bevölkerung zu beruhigen: Keine Panik, liebe Mitbürger, es ist genug für alle da. Es ist nämlich simple Psychologie, dass Hamsterkäufe und die im Internet am Wochenende rasend schnell verbreiteten Bilder jener teils geplünderten Regale andere Menschen dazu animieren könnten, ebenfalls mehr einzukaufen, als es üblich ist. Weil ja plötzlich nichts mehr da sein könnte, wenn die anderen schneller sind.

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So wurden einige Verbraucher im Einkaufsschlaraffenland Deutschland vergangenes Wochenende jäh daran erinnert, dass der Bund grundsätzlich sogar empfiehlt, Vorräte für rund zehn Tage im Haus zu haben. Falls es eines Tages eben etwa durch einen Blackout für einige Tage nichts mehr geben sollte. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gibt seit Jahren schon eine Broschüre mit Check-Liste heraus, die jeder als gedrucktes Exemplar bestellen oder als PDF herunterladen kann.

Die Lizenz zum Auffüllen

Auf meine Nachfrage konkretisierte das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen die Aussage Laumanns:

„Händler dürfen seit letztem Freitag Bewilligungen nach Paragraf 15 Abs. 2 ArbZG auf Lockerung der Sonntagsruhe bei den zuständigen Bezirksregierungen stellen.“

Diese kann unter folgenden Voraussetzungen erteilt werden:

- die Bewilligung bezieht sich auf die Kommissionierung von Trockensortiment (alle Artikel, die haltbar sind oder haltbar gemacht wurden, etwa Konserven) und z. B. Hygieneartikel. Leicht verderbliche Frischwaren dürfen ohnehin sonn- und feiertags kommissioniert werden.

- die Bewilligung ist auf einen Monat zu befristen,

- der Betriebsrat sollte zugestimmt haben.

„Wir gestatten somit das Kommissionieren im Lager der Lebensmittelketten, damit die Läden am Montagmorgen mit neuer Ware beliefert werden können, auch wenn die Bestellungen aufgrund leerer Regale erst samstags nach Ladenschluss eingehen. Das eigentliche Einräumen der Regale ist von der Ausnahme nicht erfasst, weil das nach unserer Einschätzung ohne Probleme werktags vor Ladenöffnung erfolgen kann. Die dargestellte Sonderregelung ermöglicht aber, dass die Produkte hierfür rechtzeitig angeliefert werden können.

Flexibler Lieferverkehr vermeidet Verunsicherung

Weiter heißt es aus Düsseldorf: „Auch wenn aus Sicht des Ministeriums für ‚Hamsterkäufe‘ aktuell keine Verlassung gegeben ist, soll die Regelung eine Verunsicherung der Konsumenten durch etwaige leere Regale vermeiden. Dabei geht es nach unserer Einschätzung nicht um mehr Lieferverkehr, weil wir ja auch nicht mehr Gesamtkonsum erwarten. Sondern nur um eine flexiblere Einteilung am Wochenbeginn, um ggf. leere Regale zu vermeiden.“

Auch der Handelsverband Deutschland beruhigt auf Nachfrage: „In Deutschland gibt es bisher keine Auswirkungen auf den Konsum durch das Coronavirus. Ob die weitere Verbreitung des Virus die Konsumstimmung beeinflusst, bleibt abzuwarten. Die Versorgunglage ist bundesweit normal, obwohl wir in einzelnen Lebensmittelgeschäften aktuell eine höhere Nachfrage nach länger haltbaren Produkten und Getränken sehen. Alle Lebensmittelbestände werden im Rahmen der routinemäßigen Belieferung der Geschäfte wieder aufgefüllt. Einschränkungen bei der Warenverfügbarkeit im Handel in Deutschland sind bislang nicht festzustellen. Bei dem ein oder anderen Produkt kann es aber bei sich weiter ausdehnenden Quarantänezonen in den Lieferländern künftig auch kurzfristig zu Engpässen kommen. Grundsätzlich sind jedoch die Lieferstrukturen im Handel effizient und gut vorbereitet, so dass die Versorgung der Bevölkerung gewährleistet ist.“

Keine zusätzlichen Fahrer verfügbar

Das ist auch gut so. Denn, so antwortet mir Marcus Hover, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Wirtschaft und Kommunikation des Verbandes Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen e.V. (VVWL) auf meine Nachfrage zur Aussage von Handel und Politik: „Größere Logistikbetriebe haben schon vor Jahren Pandemiepläne erarbeitet, so dass die jetzige Situation unsere Branche nicht unvorbereitet trifft. Eine Lockerung der Sonn- und Feiertagsruhe für die Kommissionierung haltbarer Lebensmittel und Hygieneartikel hilft dabei, dass zum Wochenbeginn die Verbraucher vor vollen Regalen stehen, was wiederum das Vertrauen in die Warenverfügbarkeit stärkt und den Drang zu Hamsterkäufen mindert.

Fahren statt Entladen

Eine Aufhebung des Sonntagsfahrverbotes hingegen würde durch die in vielen Betrieben bereits ausgeschöpfte maximale Lenkzeit wenig bringen, weil trotz konjunktureller Schwäche nicht genügend Fahrpersonal auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sei. „Allerdings können Handelsbetriebe durch einen stärkeren Personaleinsatz an den Laderampen dazu beitragen, dass die Fahrer keine Arbeitszeit verlieren, indem sie die Be- und Entladung vornehmen, während der Fahrer Pause macht – das ist übrigens eine Forderung des VVWL, die wir auch außerhalb einer Pandemie immer wieder an Verlader und Empfänger richten“, betont Hover.

Durststrecke für Container-Trucker?

Fahrer berichten mir derzeit, dass sich an den Wartezeiten in den Zentrallagern des deutschen Einzelhandels bislang nicht viel geändert hat, vereinzelt gibt es Probleme, da angelieferte Unternehmen wohl darauf bestehen, dass die Fahrer Schutzmasken tragen sollen, die aber in der Tat weitestgehend nicht zu bekommen sind. Welche Folge die von Experten prophezeite Wirtschaftslähmung in den nächsten Wochen und Monaten haben wird, muss sich zeigen. In Bremerhaven jedenfalls stellt sich die Logistik darauf ein, dass in absehbarer Zeit die letzten Containerfrachter aus China einlaufen – und dann sehr lange kein Schiff mehr kommen wird. Von möglicher Kurzarbeit wird bereits gemunkelt.

Jan Bergrath Foto: Peter Pilarczyk

Kartoffeln haben wieder Konjunktur

Über die letzten Jahre haben die Nudeln die guten Kartoffeln bei der Beliebtheit der Verbraucher verdrängt, das scheint sich nun zu ändern, berichtet Peter „Pepe“ Pilarczyk von der Spedition Köhnen aus Grefrath, unser Profi im Profi aus dem FERNFAHRER 5/2019. Seit dem letzten Herbst ist er mit seinem neuen Actros auf den alten Touren unterwegs. Für Pepe und seine Kollegen gilt: „Gewaschene Kartoffeln und Speisefrühkartoffeln dürfen auch sonntags transportiert werden, da sie als leichtverderblich gelten.

Er berichtet mir nun von Sondertouren in die Abpackbetriebe. „Am vergangenen Wochenende haben einige Betriebe Kartoffeln nachbestellt“, berichtet er. „Es gibt Firmen, die haben derzeit mehr Kartoffeln zu verpacken als vor den Weihnachtstagen!“ Bislang sei das leichte zusätzliche Aufkommen für seinen Arbeitgeber aber gut zu bewältigen.

Doch was ist, wenn richtig Krise herrscht?

Das führt letzten Endes zu der Frage: Was ist, wenn doch richtig Krise ist, wenn plötzlich alle Lkw rund um die Uhr eingesetzt werden müssten, um die Versorgung der Nation aufrecht zu erhalten? So wie es vor ein paar Jahren in Brandenburg während des Hochwassers der Fall war, als die lokalen Fuhrbetriebe etwa Getreide aus Speichern nahe der Elbe unter Hochdruck in Sicherheit bringen mussten.

Befristete Ausnahmen sind möglich

Für solche Fälle gibt es natürlich klar definierte Regeln der EU-Kommission hinsichtlich der Lenk- und Ruhezeiten. Und so findet sich in der EU-Verordnung 561/2006, trotz Brexit weiterhin nur in englischer Sprache verfügbar, eine Auflistung, wann einzelne Mitgliedsstaaten gemäß Artikel 14 (2) für maximal 30 Tage befristete Ausnahmegenehmigungen bei der EU beantragt haben. In diesem Zeitraum dürfen Fahrer und Unternehmer von der Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten abweichen.

Die letzten Ausnahmen dieser Art machten Frankreich, Großbritannien und Spanien, da zum Beispiel wegen sozialer Unruhen die Versorgung der Tankstellen in Gefahr war. Mit anderen Worten: Solange die Deutschen nicht auf die Straßen gehen, weil es in den Läden nichts mehr zu kaufen gibt, müssen sich die Unternehmen und ihre Fahrer auch weiterhin an die geltenden Vorschriften halten.

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