Ford Otosan Fuß fassen in Westeuropa

Ford F-Max Foto: Karl-Heinz Augustin 11 Bilder

Ob Lkw-Hersteller Ford Otosan oder türkische Frächter: An der Nahtstelle zwischen Orient und Abendland gleicht für sie das Leben derzeit einem Ritt auf der Rasierklinge.

Fatih Sener hat schon leichtere Zeiten als die heutigen Tage erlebt. Denn egal, in welche Himmelsrichtung sein Auge auch blickt: Kein Silberstreif ist am Horizont zu sehen. Stattdessen "türmen sich eher die Steine überall", so der Experte für den grenzüberschreitenden Verkehr. Er muss es wissen. Denn schließlich gehört Fatih Sener zur Führungsriege des Verbands der international tätigen Frächter der Türkei (UND alias International Transporters’ Association of Turkey).

Wie Nahost-Märkte ansteuern?

Rund 63.000 Lkw ziehen da unter türkischer Flagge derzeit im internationalen Verkehr ihre Bahnen. Das ist zwar bloß ein Drittel dessen, was zum Beispiel Polen im grenzüberschreitenden Verkehr laufen hat. Doch haben es die Türken eben an allen Ecken und Enden mit Handicaps zu tun, die sich gewaschen haben. Richtung Südost sieht es zum Beispiel ganz zappenduster aus: Iran mit Handelsembargo belegt, Irak vermintes Gelände und Syrien teilweise noch Schlachtfeld.

Wie also überhaupt solche Nahost-Märkte wie Jordanien, Saudi-Arabien oder die Emirate ansteuern, mit denen noch Geschäfte zu machen sind? "Das geht nur noch per Schiff über den Sueskanal und dann die Häfen am Roten Meer", sagt Sener. Nordnordost ist die Lage kaum besser. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind die Grenzen Russlands für die türkischen Frächter "fast schon das Ende der Welt". Es winkt nun aber vermehrt das Chinageschäft als kleines Licht am Ende des Tunnels. Doch für die Fahrten gen kasachische Grenze, wo die Ware umgeladen wird, fehlt es an RoRo-Kapazitäten übers Kaspische Meer und gangbaren Wegen dorthin. Folge davon: Riesenumwege über Bulgarien, Rumänien und die Ukraine, um an die Fracht aus China zu gelangen, sind kaum zu vermeiden.

Und für die Fahrten gen EU gilt erst recht, dass es ein dorniger Weg ist, den der türkische Lkw dahin zurückzulegen hat. Ein Halbjahresvisum können die Fahrer zwar bekommen, dürfen sich damit aber bloß maximal 90 Tage in der EU aufhalten. Serbien, Ungarn und Österreich sparen zudem nicht mit sonstigen Hürden. Und auch der Nachbar Griechenland hat sich etwas Nettes einfallen lassen: Mehr als 200 Liter sollten nicht im Tank schwappen, wenn der türkische Lkw die Grenze zu den Hellenen passiert.

Was tun? Auch gen Westen bringt einen die Seefahrt weiter. So zieht jetzt mancher türkische Frächter das Anlanden in Häfen wie Livorno (Toskana) oder dem südfranzösischen Sète dem Spießrutenlauf zu Lande vor. Das hilft aber alles nichts gegen ein ganz anderes Menetekel: Seit der Abwertung der türkischen Währung hapert’s mit dem Import. Und das heißt: Waren früher Leerfahrten zurück in türkische Lande so gut wie kein Thema, verschärft der ernsthafte Mangel an Rückladung die kritische Lage ein weiteres Mal.

Türkischer Binnenmarkt dramatisch eingebrochen

Nicht minder happig sind die Probleme, mit denen Ford Otosan als großer heimischer Lkw-Hersteller zu kämpfen hat. Der türkische Binnenmarkt ist dramatisch eingebrochen. In normalen Zeiten ist er für insgesamt rund 33.000 schwere Lkw pro Jahr gut. Das Volumen heute: gerade mal ungefähr 7.000 Einheiten jährlich. Rund 17.000 Einheiten pro Jahr umfasst die Kapazität von Ford Otosan. Da liegt also einiges brach. Gar nicht gut.

Konsequenz aus diesem Schlamassel: Vermehrte internationale Aktivitäten müssen es richten. Und wenn die nächste Nachbarschaft ein ziemliches Pulverfass ist, dann gilt es eben erst recht, in die Ferne zu schweifen. Fuß gefasst hat Ford Otosan in den Zeiten vor dem neuen F-Max seit 2003 nicht nur in Russland und in einigen vormaligen Satellitenstaaten der Ex-UdSSR, sondern auch in acht afrikanischen Staaten (von Ägypten bis Ghana). Die Türken haben zudem den Nahen Osten intensiv bearbeitet, wo das Unternehmen heute in zehn Staaten präsent ist. Seit 2018 sind exakt 16 osteuropäische Staaten flugs noch dazugekommen.

Flucht nach vorn

Seit 2019 richtet Ford Otosan seine Augen zudem auf die wohl härteste Nuss bei der internationalen Expansion: die Gefilde Westeuropas. Dabei hat der Hersteller immerhin schon in Spanien, Portugal und Italien einen Fuß in der Tür. Zudem sollen bis 2021 die Regionen Benelux, Frankreich und der deutschsprachige Raum unter Dach und Fach sein. Für den Service wurde hierzulande TIP Trailer gewonnen. Ersatzteile sollen binnen 24 Stunden aus dem großen Zentrallager in Polens Hauptstadt Warschau kommen. Den Fuß nach Nordeuropa setzen – bis hin ins ferne Island – will Ford Otosan dann schließlich im Jahr 2022.

Fehlt da nicht wer? Ja, doch, die Briten natürlich, die der EU eben erst bye-bye gesagt haben. Doch der Grund für die rigorose Zurückhaltung der Türken gegenüber der Insel ist ein ganz anderer. "Rechtslenker", benennt Emrah Duman, als Manager für die internationalen Aktivitäten verantwortlich, das Problem, "bauen wir bei Ford Otosan nun mal nicht."

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FF 04 2020 Titel
FERNFAHRER 04 / 2020
7. März 2020
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