Fernfahrer-Romantik Alles besser in den 80ern?

Spedition Wehle Foto: Spedition Wehle
Meinung

In den sozialen Netzwerken kursieren Hunderte Bilder von Lkw aus der „guten alten Zeit“ der 80er- und 90er-Jahre und dokumentieren die von vielen Fahrern hochgehaltene Erinnerung an Abenteuer und Freiheit des Straßengüterverkehrs. Doch wie war diese Zeit mit ihren eigenen Regeln wirklich? Darüber diskutieren wir am 11. Juni 2020 ab 17 Uhr bei FERNFAHRER live mit einem Unternehmer und vier Fahrern.

Über Pfingsten waren meine Frau Christina, mit der ich seit April die Sendung FERNFAHRER live moderiere, und ich zu Gast bei Freunden im Nordschwarzwald. Auf dem Weg dorthin haben wir in Straubenhardt die Spedition Wehle besucht, ein Familienunternehmen im wahrsten Sinne des Wortes. Mit zehn Jumbogliederzügen, fünf top-gepflegten Scania der R-Baureihe und fünf Scania der S-Baureihe, ist Wehle schon seit den 80er-Jahren vor allem im Italientransport höchst erfolgreich, bringt Traktoren in den Süden und holt großvolumige Rückladungen zurück nach Deutschland.

Siegfried Wehle, heute 65, hat das Unternehmen 1976 mit einem Lkw gegründet, sein Bruder Hartmut, heute 59, ist zuerst bei ihm gefahren und dann 1984 in den wachsenden Betrieb mit eingestiegen. Auch die Söhne Timo (38) und Fabian (33) sind als Fahrer Teil einer sehr motivierten mobilen Belegschaft. Im FERNFAHRER 8/2020, der am 4. Juli erscheint, stellen wir das Unternehmen Wehle im Rahmen unseres Speditionsporträts vor.

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath

Mit dem alten MAN in den Irak

Mit dem Blick fürs Detail ist mir natürlich sofort das Bild aufgefallen, das bei Wehle sorgsam gerahmt im Büro hängt: links der blau-rote MAN 13.168, bereits als Jumbogliederzug, die Windschutzscheibe voller Wimpel, auf der Stoßstange in arabischen Lettern der Schriftzug „Europa-Asien-Afrika“, Kind und Hund im Fahrerhaus, eine spartanische Liege an der Wand, das TIR-Zeichen und der legendäre Aufkleber „Les Routiers“ auf der Front.

Rechts der eher nüchterne grün-gelbe Mercedes-Benz aus der kubischen LP-Serie mit ebenfalls 168 PS, aber ganz ohne Bett. Es zeigt die beiden Fahrer Udo (links) und Gerd, die 1982 verwegen auf dem Pariser Flughafen Charles-De-Gaulle neben ihren Fahrzeugen posieren. „Mit dem gebraucht gekauften MAN habe ich das Unternehmen als selbstfahrender Unternehmer gegründet“, erzählt Siegfried Wehle, „und war damit auf Tour im Irak, mit für die damalige PS-Leistung heute kaum vorstellbaren 20 Tonnen Baumaterial.“

Mit einer Nahverkehrsgenehmigung ging es über die nur 40 Kilometer entfernte französische Grenze, eine rote Konzession konnte sich der junge Unternehmer damals nicht leisten. Bald kam schon der zweite Lastzug. „Der Mercedes-Benz lief mit Stückgut im Frankreichverkehr, ohne Schlafkabine. Als ich mit meiner Frau Martina einmal eine Tour nach Südfrankreich gemacht habe, mussten wir beide auf dem Auflieger schlafen.“ Ich habe es Wehle sofort angemerkt – seine Erinnerungen an die Anfangsjahre sind so lebendig wie seine Arbeit für das heutige Unternehmen. „Seit dieser Zeit kaufe ich die Lkw. Eine Strategie, die sich bis heute absolut bewährt hat.“

Verklärte alte Zeit

Auch ich gebe gerne zu: Nach meinen Erfahrungen als Lkw-Fahrer nach Italien, Spanien, Irland und Schottland blicke auch ich immer wieder gerne auf diese Zeit zurück, die für mich vor allem bedeutet hat, als Student fremde Länder kennen zu lernen und dabei auch noch gutes Geld zu verdienen. Doch wenn heute in so manchen Foren der sozialen Netzwerke von so manchen Fahrern oft verklärend kommentiert wird, dass man als Fahrer früher im Fernverehr schon genauso viel Geld wie heute verdient hat, dann schaue ich zur schnellen Abkühlung der aufkommenden Euphorie immer wieder in meine Reportage „Alle Räder standen still“ über den ersten großen Fahrerstreik 1983 – der in dieser Form gleichzeitig auch der letzte war.

Dieser in der Tat relativ hohe Verdienst mit teilweise vielen Spesen war vor allem durch überlange Arbeitszeiten schwer erarbeitet. Unter weitest gehender Verleugnung rudimentär vorhandener Regeln zu den Lenk- und Ruhezeiten, die sich mit Tachoscheiben sehr flexibel gestalten ließen.

Ich erinnere mich sehr genau an einen deutschen Fernfahrer, den ich 1992 in der Türkei getroffen habe. Ich war auf der Rückfahrt von einem Dreh mit Manfred Krug und Rüdiger Kirchstein in Anatolien für die letzten Folgen der generationenprägenden TV-Serie „Auf Achse“. Während der tagelangen Wartezeiten in einem Truck Stop bei Istanbul hatte er leere Tachoscheiben jeweils auf genau acht Stunden Ruhezeit vorgeschrieben, damit er nach der Non-Stop-Rückfahrt an der Grenze bei Waidhaus kurz vorher die genau passende Scheibe einlegen konnte.

Ausdruck der Leistungsfähigkeit

Dennoch: Ein Kommentar der Berliner TAZ aus dieser Zeit der frühen 80er-Jahre scheint auch bis heute bei weiten Teilen der Fahrer nichts von seiner Bedeutung verloren zu haben: "Sicher spielt bei den unglaublichen Arbeitszeiten, die die Spediteure von den Fahrern verlangen, eine große Rolle, dass hinter jedem, der unerlaubte Überstunden ablehnt, einer steht, der sich willig zeigt. Dieser Druck wird für die Fahrer nur dadurch halbwegs erträglich, dass sie versuchen, diese durchgehende Tätigkeit als Ausdruck ihrer Leistungsfähigkeit zu interpretieren. Der Lkw wird zur Ersatzdroge."

Auch wenn es mit den Sozialvorschriften aus der EU-Verordnung (EG) 561/2006 zu einer massiven Eindämmung der illegalen Lenkzeiten gekommen ist, so bleibt das dort beschriebene Grundproblem doch erhalten. Vor allem das Thema der Gesamtarbeitszeiten, die nach wie vor von vielen Fahrern falsch dokumentiert werden, hat bis heute Bestand.

Erst der eklatante Fahrermangel der Neuzeit, weil nun die Fahrergeneration der 80er-Jahre nach und nach in Rente geht, hat den Stellenwert der Lkw-Fahrer deutlich gestärkt. Bis die Coronakrise mit plötzlich steigenden Arbeitslosenzahlen den Fahrermangel abrupt umkehrte. Und noch nicht wirklich klar ist, wie sich das Blatt in naher Zukunft wenden wird.

Reden wir über die 80er, 90er und das Beste von heute

Meine Frau Christina Petters, die in den 80er-Jahren selbst als Beifahrerin mit einem deutschen Lkw-Fahrer im Irak war, und ich haben daher beschlossen, am 11. Juni 2020, dem bundesweit nicht einheitlichen Feiertag Fronleichnam, bei FERNFAHRER live eine Reise in die Vergangenheit zu unternehmen: mit dem Unternehmer Siegfried Wehle und den langjährigen Lkw-Fahrern Mike Fickenwirth, Frank Kirch, Manfred Pietsch sowie Burkhard Taggert.

Da sich offensichtlich viele Fahrer für das Thema begeistern, könnt Ihr uns auch gerne Eure schönsten Fotos von damals einscannen und fürs Fotoalbum im FERNFAHRER einsenden, oder einfach in der FERNFAHRER Reporter-App hochladen.

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