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DVF kritisiert Sofortprogramm Verkehr Klimaschutz ohne Kohle

Foto: Markus Spiske/Unsplash

Die Bundesregierung arbeitet an einem Sofortprogramm zum Klimaschutz. Ein Entwurf, der auch Maßnahmen für den Verkehrssektor vorsieht, kursiert seit Anfang Mai. Das Deutsche Verkehrsforum (DVF) hält das Papier für unzureichend.

Der Klimaschutz ist seit den ersten „Fridays for Future“-Demos zu einem bestimmenden Thema geworden. Das Bundesverfassungsgericht hatte Berlin 2021 zum Handeln verpflichtet. Seit Anfang Mai kursiert nun der Entwurf eines Klimaschutz-Sofortprogramms, der auch im Verkehrssektor Maßnahmen vorsieht, aber die beteiligten Ministerien wollten den derzeitigen Stand auf Anfrage nicht kommentieren. Zwischen Wirtschafts- und Finanzministerium gibt es offenbar noch gehörigen Abstimmungsbedarf.

Verkehrsforum: Verkehrswende fällt aus

Das Deutsche Verkehrsforum (DVF) jedenfalls hält das Papier für unzureichend. „Vieles hört sich ganz gut an, aber im Bundeshaushalt sehe ich davon nichts“, sagt DVF-Geschäftsführerin Dr. Heike van Hoorn. „Eine Verkehrswende findet so jedenfalls nicht statt. Das muss man einfach knallhart sagen.“ Dabei wird die globale Klimakatastrophe von der Regierung in Berlin als „eine der größten Herausforderungen der Menschheit“ gesehen.

Verzögerung bedeutet Tod

„Das vorliegende Klimaschutz-Sofortprogramm soll sicherstellen, dass die Ziele des 2021 novellierten Bundes-Klimaschutzgesetzes eingehalten werden“, heißt es in der Einleitung des 99 Seiten langen Textes. Das Programm sei ein wichtiger Meilenstein, um die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent zu reduzieren und bis 2045 in Deutschland Netto-Treibhausgasneutralität zu erreichen. Die Bundesregierung bezieht sich auch explizit auf den IPCC-Bericht der Vereinten Nationen und ihren Generalsekretär Antonio Guterres. Der hatte einen Verzicht auf Führung als „kriminell“ bezeichnet. „Verzögerung bedeutet Tod“, sagte er im Februar.

Nebulöses Papier

Auch wenn es sich bei dem Papier nicht um einen Beschluss handele, könne man daraus eine Tendenz ablesen, hebt van Hoorn hervor. Das Ganze bleibe schlichtweg nebulös. So werde für die Schiene die wichtige Digitalisierung angesprochen. „Eine Förderung von Lokomotiven, die wir dafür dringend brauchen, wird zwar erwähnt, aber es wird nichts Verbindliches gesagt.“ Das europäisch einheitliche Zugbeeinflussungssystem ETCS entfalte jedoch keine Wirkung, wenn die Signale im Zug nicht verarbeitet werden können.

5,7 Milliarden Euro für On Board-Units

Jedes der etwa 13.000 Triebfahrzeuge in Deutschland braucht ein spezielles Empfangsgerät, die Kosten dafür wurden bislang auf 5,7 Milliarden Euro geschätzt. Es reiche nicht aus, wenn lediglich neue Fahrzeuge mit den entsprechenden Systemen gekauft würden, sagt van Hoorn. „Es muss auch viel nachgerüstet werden, denn Loks fahren viele Jahre, und das können die Eisenbahnunternehmen nicht allein tragen.“ Eine Studie von Unternehmensberater McKinsey kam darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass man für die Ausrüstung der Infrastruktur 1,9 Milliarden Euro jährlich brauche. „Momentan haben wir nicht einmal ein Drittel davon“, kritisiert die Verkehrsexpertin.

Nicht finanziell gesichert

„Es gibt in dem Papier einige Vorschläge, die wir für gut und sinnvoll halten“, unterstreicht sie. Finanziell nicht gesichert seien aber unter anderem die Fortführung der Trassenpreissenkung, die Stärkung der Anlagenpreissenkung sowie die Aufstockung des Bundesprogramms Zukunft Schienengüterverkehr. Das Sofortprogramm fordere im Zusammenhang mit dem Bedarfsplan Schiene eine schrittweise Anhebung der Mittel auf drei Milliarden Euro im Jahr 2027. „Der Haushalt sieht für dieses Jahr 1,9 Milliarden vor und für die nächsten Jahre nur ein paar Kleckerbeträge“, moniert die DVF-Geschäftsführerin. Die Gesamtsumme an Verpflichtungsermächtigungen liege bei vier Milliarden Euro – aber auf den langen Zeitraum bis 2034. „Die drei Milliarden Euro jährlich gibt es schlichtweg nicht.“

Ab 2023 viel weniger Geld

Die Übersicht der Verkehrsmaßnahmen im Klimaschutz-Sofortprogramm listet neun Punkte zum Straßenverkehr auf, bevor an zehnter Stelle „Stärkung des Schienenfernverkehrs“ und an elfter Stelle „Verlagerung auf Schiene und Wasserstraße intensivieren“ folgen. Auf den ersten Blick sieht es für die Straße also besser aus – aber nicht bei näherem Hinsehen. „Es ist prima, dass der Masterplan Ladeinfrastruktur überarbeitet wird. Die Anhebung der Förderung für E-Pkw und Ladeinfrastruktur im Bundeshaushalt 2022 ist gut. Allerdings ist nicht nachvollziehbar, warum diese Posten im Finanzplan der Bundesregierung bereits ab 2023 signifikant sinken“, kommentiert van Hoorn.

Streichkonzert bei Lkw

Geschrieben stehe auch, dass Kaufanreize für klimafreundliche Nutzfahrzeuge inklusive Trailer gestärkt werden müssten. „Im Bundeshaushalt für 2022 fällt aber auf, dass das nationale Flottenerneuerungsprogramm für Nutzfahrzeuge um zwei Drittel reduziert wurde. Die Zuschüsse für die Anschaffung von klimaschonenden Antrieben wurden fast halbiert.“ Van Hoorn fordert, dass es konkrete Zusagen gibt, bevor das Programm im Kabinett abgesegnet wird. Das Ziel von Finanzminister Christian Lindner (FDP), im nächsten Jahr die Schuldenbremse wieder einzuhalten, sei nicht praktikabel, hebt sie hervor. „Wir können für den Verkehrssektor sagen, dass wir so nicht arbeiten können.“

Planungssicherheit - das A und O

Unternehmen investierten nur, wenn sie eine langfristige Planungssicherheit hätten, das gelte unter anderem auch für die Bauwirtschaft. „Wir plädieren deshalb bei großen Aufgaben im Verkehrssektor für Finanzierungsvereinbarungen über einen längeren Zeitraum oder auch für ein Sondervermögen wie bei der Bundeswehr“, erläutert van Hoorn. Nötig sei eine Lösung mit einem großen Volumen, mit der Mittel entsprechend lange gebunden werden. Von einigen Sparmaßnahmen der Vergangenheit habe sich die Infrastruktur nämlich bis heute nicht erholt.

Bahn: 60 Milliarden Euro Invest-Stau

Die bestehende Investitionslücke im Straßenbereich werde auf etwa 30 Milliarden Euro geschätzt, auf der Schiene liege der Investitionsstau sogar doppelt so hoch. „Wenn die Bedarfsplanmittel für Neu- und Ausbau nicht dramatisch steigen, werden die Klimaziele nicht erreicht“, erklärt van Hoorn. Auch das Verlagerungsziel, das sich die Koalition mit der Erhöhung des Schienengüterverkehrs auf einen Anteil von 25 Prozent am gesamten Aufkommen gesetzt habe, könne nicht umgesetzt werden. Die jahrelange Sparpolitik habe bereits jetzt dramatische Folgen mit Brückensperrungen oder viel zu vielen Baustellen zur gleichen Zeit.

Mehr Störungen befürchtet

Van Hoorn befürchtet, dass die Störungsanfälligkeit der Infrastruktur jetzt noch weiter zunimmt: „Wir sind aber das Land in der Mitte Europas. Bei uns müssen alle durch“, warnt sie. Wenn hierzulande die Infrastruktur nicht funktioniere, habe das nicht nur Auswirkungen auf Deutschland, sondern auf die gesamte europäische Volkswirtschaft. „Wenn wir auf Teufel komm raus versuchen, an der schwarzen Null festzuhalten, dann gefährden wir unser aller Wohlstand, weil es keine Investitionen in die Zukunft mehr gibt.“

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