Das ZDF und der Adblue Skandal Auf einem Auge blind

Foto: Jan Bergrath

Bei einer Veranstaltung des Truck-Grand-Prix am Nürburgring sprach Andreas Marquardt, der Präsident des Bundesamtes für Güterverkehr, von einer Skandalisierung des Adblue-Betrugs durch die öffentlich-rechtlichen Medien, die sich durch die tatsächlichen Kontrollzahlen nicht ergeben würde. Ein Vorwurf, dem der ETM Verlag bereits seit Anfang 2017 nachgeht. In der Tat werden belegbare Fakten, die diese Vorwürfe des massenhaften Missbrauchs widerlegen, konsequent verschwiegen.

Der arithmetische Inhalt der Sätze ist fatal: „Ich habe 30 Lkw. Ich habe noch nie Adblue getankt. Macht pro Lkw eine Ersparnis von bis zu 2.000 Euro pro Jahr.“ „Das sind“, so rechnet es das ZDF-Magazin „Frontal 21“ im Januar 2017 schnell um, „60.000 Euro zu Lasten der Umwelt“. Der Mann selbst, wie es in der längeren originären Fassung des Polit-Magazins „ZDF-Zoom“ heißt, sei ein rumänischer Transportunternehmer aus einer Kleinstadt nördlich von Bukarest. Er ist nie im Bild des ZDF zu sehen. Sein Text ist als Gedächtnisprotokoll lediglich nachgesprochen, während sein Lastzug mit einem orangefarbenen MAN Euro 5, nachweislich, wie Recherchen des ETM Verlages schnell ergeben haben, einst gebraucht aus einer deutschen Flotte erworben, langsam davonfährt.

Nachgesprochene Inhalte sind ein beliebtes Stilmittel des investigativen politischen TV-Journalismus. Erst auf Nachfrage schreibt ZDF-Autor Christian Bock seinerzeit, ob der Unternehmer jetzt 28 oder 35 Lkw habe, konnte er nicht nachzählen. Der Fahrer selbst sei noch nie im Ausland kontrolliert worden, heißt es in der Szene zuvor, als sich Bock und sein Begleiter, Andreas Mossyrsch von Camion Pro e.V., als an Adblue-Manipulation interessierte deutsche Spediteure ausgeben und diesen Lkw ausgerechnet vor dem Pförtnerhäuschen der österreichisch-rumänischen Papierfabrik Rondo-Ganahl in Targoviste auf dem Smartphone filmen. Laut ZDF nach Absprache mit den Protagonisten als „technische Dokumentation“.

Vor allem diese Szenen aus Rumänien, gedreht im Sommer 2016, sind Teil der reißerisch erzählten Grundlage in den beiden politischen Magazinen - angekündigt per Pressemeldung mit einem Schaden für die Umwelt „doppelt so groß wie bei den Abgas-Manipulationen von VW in den USA.“

Ein gewaltiger Vorwurf

Es geht, so der heftige Titel, um nichts Geringeres als die „Die Lüge vom sauberen Lkw“, auch heute noch in der Mediathek zu sehen und im Januar 2019 im Rückblick „Nachgezoomt“ zum Teil nicht nur wiederholt sondern mit neuen Vorwürfen noch weiter verschärft. Die sind gewaltig: „Durch die Manipulation wird die Umwelt mit bis zu 14.000 Tonnen Stickoxiden jährlich mehr belastet. Etwa 1,6 Milliarden Kilometer fahren manipulierte Lkw jährlich durch Deutschland. Dadurch, dass die manipulierten Lkw in einer falschen Maut-Klasse fahren, entgehen dem Staat Einnahmen in Höhe von bis zu 110 Millionen Euro jährlich.“

Frühe Zweifel am Ausmaß des Betrugs

Dass vor allem in Osteuropa Lkw manipuliert werden und ebenfalls Emulatoren zum Einsatz kommen, war Brancheninsidern und Kontrolleuren bereits bekannt. Doch seit der ersten Ausstrahlung im ZDF - und kurz danach einer ähnlichen Reportage in der Schweizer TV-Sendung „Kassensturz“ - hat der ETM Verlag in mehreren Beiträgen wie etwa im Blog „Rohrkrepierer“ erhebliche Zweifel am geschilderten Ausmaß des mutmaßlichen Betruges geäußert und das ZDF mehrfach um Stellungnahme gebeten. Denn, so steht es geschrieben, „der öffentliche-rechtliche Rundfunk ist zur Ausgewogenheit verpflichtet, um Meinungspluralität zu erzeugen. Geboten ist insofern stets eine unabhängige, sachliche und überparteiliche Berichterstattung. Die vermittelten Informationen müssen aktuell, nachhaltig, abgesichert und glaubwürdig sein“.

Genau das ist nach Einschätzung des ETM Verlages nicht in letzter Konsequenz der Fall. Denn die bis heute in unseren Reportagen aufgezeichneten Erkenntnisse ebenjener vom ZDF der Unfähigkeit bezeichneten Kontrollbehörden, die diese erheblichen Vorwürfe zum Teil widerlegen, werden vom ZDF konsequent verschwiegen – oder gezielt angezweifelt. Zuletzt hieß es am 10. Juni 2019 als Antwort aus Mainz: „Das ZDF hält an den Rechercheergebnissen des Autors Christian Bock fest. Es gibt aus Sicht der „ZDF-Zoom“-Redaktion keine Zweifel gegenüber den Interviewpartnern und deren wissenschaftlicher Expertise und Studien. Die Redaktion bleibt aus oben genannten Gründen bei ihrer Darstellung und der Berichterstattung zum Thema.“

BAG beklagt die Skandalisierung des Adblue-Betruges

Genau das ist, so beschreibt es die nachfolgende ausführliche Gegenthese, das Problem. Erst beim Trucksymposium 2019 anlässlich des soeben zu Ende gegangenen Truck-Grand-Prix am Nürburgring sprach Andreas Marquardt, der Präsident des Bundesamtes für Güterverkehr, BAG, unter Berufung auf die Kontrollzahlen seiner eigenen und ausländischer Kontrollbehörden von einer „Skandalisierung des Adblue-Betrugs durch die öffentlich-rechtlichen Medien“. Diese Schlagzeilen, die auch von anderen Medien immer wieder zitiert würden, seien so einfach nicht richtig. „Die Gespenster, die gesehen werden, sind zwar schön schaurig“, so Marquardt, „aber man muss sie nur sichtbar machen.“ Das ist nun die Aufgabe des Fachjournalismus.

Der wissenschaftliche Beweis

Basis der wissenschaftlichen Untermauerung der These ist das Gutachten „Bestimmung von realen LKW NOx Emissionen (Real Driving Emissions) auf deutschen Autobahnen“ aus dem Sommer 2016, das der Redaktion vorliegt. Durchgeführt von Dr. Denis Pöhler vom Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg, in Auftrag gegeben vom ZDF und von Camion Pro e.V., gefördert vom Bundeswirtschaftsministerium. Auf insgesamt 92 Seiten, mit vielen Grafiken und Bildern angereichert, liefert es den theoretisch in sich gut erklärten Beweis, dass man bei diesem „Plume Chasing“-Verfahren in der Abgasfahne eines Lkw die NOx-Werte ermitteln kann. Im Laufe der letzten beiden Jahre wurde dieses Verfahren auch immer wieder von anderen Wissenschaftlern theoretisch bestätigt.

Diese Studie besagt in Kürze: Im Sommer 2016 wurden an sieben Tagen für 254 Lkw die NOx Emissionswerte unter realen Fahrbedingungen auf mehreren sehr stark frequentierten deutschen Autobahnen bestimmt. Unter Missachtung jeglichen Sicherheitsabstandes zeichnete ein „Schnüffler“ an einem Transporter die Abgaswerte auf, die man mehr oder weniger den vorher identifizierten Euro 5 und Euro 6 Lkw zuordnen konnte. 53 dieser Lkw hatten ein deutsches Kennzeichen, 201 Lkw ein ausländisches Kennzeichen, die sich unterteilen auf die Länder: Polen (73), Bulgarien (20), Tschechei (21), Rumänien (13), Slowakei (10), Ungarn (11), Baltische Staaten (Litauen, Lettland, Estland) (17), Türkei (7), Slowenien (5) und noch 24 andere Nationalitäten.

Nicht gerichtsfest bewiesen

Zusammengeführt mit den Ermittlungen des ZDF in der halbseidenen Werkstattszene rund um Bukarest, bei der Bock mit mehreren Anbietern gesprochen haben will, wurde daraus schnell der ganz große Abgasskandal. Die deutschen Lkw waren alle seltsam unauffällig. Vor laufender Kamera werden dagegen an einem Drehtag elf von 40 osteuropäischen Lkw als eindeutig auffällig gemessen. Dann heißt es vom Sprecher: „Manipulationen können wir heute nicht gerichtsfest beweisen. Doch die Indizien sind alarmierend.“ Vor laufender Kamera spricht Dr. Denis Pöhler schließlich den zweiten fatalen Satz der frühen Reportagen: „Es sind zwar jetzt nur vorläufige Ergebnisse, aber bei denen wird man schon sagen, die haben irgendwo an dieser Abgasanalage manipuliert.“ Nicht gerichtsfest bewiesen heißt – es fand keine zeitgleiche Kontrolle etwa durch das Bundesamt für Güterverkehr, BAG, oder die Polizei statt, um direkt an Ort und Stelle herauszufinden, ob tatsächlich ein Emulator ursächlich für die auffälligen Werte war.

Die anklagende Konfrontation

Denn die bekannte Strategie der ZDF-Politikmagazine ist grundsätzlich die anklagende Konfrontation. Statt etwa vorab mit dem BAG über die Vorwürfe in Kontakt zu treten, um ebenjene gemeinsame gleichzeitige Kontrolle durchzuführen, hat sich das TV-Team zu einer Standardkontrolle des BAG angemeldet und die Kontrolleure durch die gezielt gestellten Fragen schlicht düpiert. Nur so schafft man den quotenträchtigen Skandal. Vollkommen bloßgestellt wird das BAG durch den Besuch einer polnischen Kontrolle, bei der die Polizei einen gefundenen Emulator kurzfristig abschneidet und den Lkw, der im Notlaufprogramm zu einem Verkehrshindernis wird, wieder fahren lässt. Dass dies unter den rechtsstaatlichen deutschen Kontrollbedingungen hierzulande gar nicht erlaubt ist, wird schlicht verschwiegen. Bis heute ist es dem ETM Verlag selbst über einen polnischen Kollegen eines internationalen Recherchenetzwerkes nicht gelungen, offizielle Zahlen zu Adblue-Kontrollen der polnischen General Inspectorate of Road Transport (GITD) zu bekommen. Einer Behörde, die immerhin vom BAG geschult wurde.

Hochgepuschte Zahlen

Und so puscht das ZDF mal eben auf Grund der Indizien die eigenen Zahlen anhand der verfügbaren Mautdaten ein zweites Mal arithmetisch hoch. „20 Prozent aller Lkw aus Osteuropa sind auffällig. Laut Statistik fahren Osteuropäer im Jahr acht Milliarden Kilometer auf der Autobahn. Wenn tatsächlich 20 Prozent von ihnen auffällige Werte liefern, hieße es, dass in Deutschland 1,6 Milliarden Kilometer von abgasmanipulierten Lkw gefahren werden.“ So schnell geht er, der kriminelle Dreisatz. Im öffentlich-rechtlichen ZDF bringt er es schließlich auf jene 110 Millionen Euro, die dem Staat an Mauteinnahmen entgehen würde.

Selbst die ehemalige Polizistin und heutige Sprecherin für Verkehr und digitale Infrastruktur in der SPD-Bundestagsfraktion, Kirsten Lühmann, lässt sich in einem Interview am 15.11. 2016 vor der Kamera auf folgende Aussage ein: „Ich bin nicht sehr überrascht. Also Abgasreinigung mit Adblue ist im Moment das Beste, das wir haben. Wenn’s denn funktioniert. Und es ist immer so, wenn wir eine neue Technik einführen, die dann natürlich auch etwas Geld kostet - in unserem Fall das Geld für diese Adblue-Flüssigkeit - dass es dann kriminelle Elemente gibt, die versuchen das zu umgehen. Im Moment ist es ja so: die Fahrzeuge fahren über unsere Straßen und haben ein Entdeckungsrisiko, das gegen Null geht.“ Heute schreibt sie dazu: „Daher halte ich diese Aussage zum damaligen Zeitpunkt für absolut gerechtfertigt. Zum Umfang eines solchen Betruges und den Herkunftsländern der betreffenden Logistikunternehmen habe ich mich dort nicht geäußert.“

Großer Aufwand für die Messergebnisse

Bei diesem Vorwurf um den mutmaßlichen neuen Dieselskandal geht es zunächst um hypothetische Zahlen des vorgeworfenen gezielten Mautbetrugs. Er bedeutet: wenn ein Transportunternehmer in der von ihm angegebenen Mautklasse Euro 5 oder Euro 6 fährt, dann zahlt er faktisch diese niedrige Maut. Nur mit dem tatsächlichen Einbau eines Emulators käme er in die teurere Mautklasse 0 oder 1. „Doch erst wenn sich der Mautbetrug durch die Manipulation in der Tat beweisen lässt“, so heißt es vom BAG aus Köln, „würde ein Nacherhebungsverfahren und ein Bußgeldverfahren hinsichtlich der für die falsche Gebührenklasse entrichteten Maut beim BAG eingeleitet.“

Das muss allerdings hundertprozentig bewiesen werden. Die Nutzfahrzeugindustrie, die ja nicht selber der Verursacher dieses auf Betrug basierenden Dieselskandals ist, hat Zweifel an der Messmethode, hält sich aber bis auf wenige Ausnahmen bewusst aus der Diskussion heraus. „Aus unserer Sicht scheint es sehr schwierig, während des Vorbei-, bzw. Hinterherfahrens, eine einigermaßen akzeptable Messung vornehmen zu können“, heißt es auf Nachfrage nur von DAF aus Eindhoven. „Der Aufwand, den man dafür betreiben muss, um zuverlässige Messergebnisse zu erhalten, ist sehr groß.“

Betriebserlaubnis erlischt

Eine Sprecherin von Daimler aus Stuttgart schreibt: „Mercedes-Benz Lkw sind nach den einschlägigen rechtlichen Vorschriften zertifiziert und zugelassen. Zudem statten wir unsere Mercedes-Benz Lkw ab Werk generell mit einem sehr hohen Manipulationsschutz aus, so dass Umrüstungen oder Manipulationen von Dritten nahezu unmöglich sind. Grundsätzlich gehen wir daher nicht davon aus, dass unsere Mercedes-Benz Lkw im Nachgang von Dritten technisch so manipuliert werden, dass beispielsweise dem Motor- bzw. dem Abgasmanagement eine Adblue Einspritzung nur suggeriert wird.

Trotzdem können wir Manipulationen in Gänze nicht ausschließen. Allerdings erlischt die Betriebserlaubnis des Lkw durch jede nicht von Mercedes-Benz autorisierte Umrüstung oder gar kriminelle Manipulation am System der Abgasnachbehandlung. Ebenso erlischt auch der Garantieanspruch im Falle von Schäden an Motor oder Abgasnachbehandlungssystem.“

Zuverlässige Emissionsmessung problematisch

In der Tat ist das größte Problem der Studie in einem Nebenabsatz versteckt. Wortwörtlich heißt es: „Des Weiteren ist zu erwähnen, dass sich die Emissionsmessung an gewissen Lkw als schwierig herausgestellt hat. Dies sind Fahrzeuge mit einem sehr unregelmäßigen Aufbau (Flüssigtransporter, Tieflader, Autotransporter, Baufahrzeuge, extra lange Transporter), der zu einer sehr starken Verwirbelung der Abgase führt, was die Schadstoffkonzentration in der gemessenen Abgasfahne deutlich verringert. Bei anderen Lkw befindet sich das Abgasrohr oben oder soweit an der Seite, das hinter dem Fahrzeug keine eindeutige Messung in der Abgasfahne möglich war. In diesen Fällen ist eine zuverlässige Emissionsmessung nicht mehr gewährleistet und die Daten wurden verworfen. Aus diesem Grund wurden derartige Fahrzeuge in dieser Studie weitestgehend gemieden, bzw. konnte manchen Fahrzeugen kein Emissionswert zugeordnet werden.“

Warum man nun ausgerechnet bei Euro 6 Lkw, die überwiegend den Auspuff auf der rechten Seite haben, und 13,50 Meter langen Sattelaufliegern, dem Standardlastzug aus Osteuropa, die ebenfalls für Verwirbelungen der Abgase sorgen, plausible Messdaten garantieren will, wird bis zum Beweis des Gegenteils durch die von der Industrie durchgeführte PEMS-Messung direkt am Abgasrohr und flächendeckende Kontrollen wohl für immer das Geheimnis der Autoren bleiben. „Mittlerweile kontrolliert das BAG verstärkt die Funktionstüchtigkeit der Adblue-Systeme, was ich sehr begrüße“, lenkt Kirsten Lühmann auf Anfrage ein. „Dennoch bleibt auch heute das Entdeckungsrisiko sehr gering, allein aufgrund der im Verhältnis zum Verkehrsaufkommen niedrigen Kontrolldichte und des hohen Kontrollaufwandes.“

Gegenbeweis abgewiegelt

Bei der geringen Menge an verdächtigen Fahrzeugen müssen die Vorwürfe eindeutig sein. Jeder einzelne Gegenbeweis verstärkt die Zweifel an der Lauterkeit. Der ETM Verlag konnte hier in den letzten zweieinhalb Jahren immer auf die Mithilfe des renommierten rumänischen Fachmagazins Tranzit zurückgreifen, dem vor allem die pauschalen Vorwürfe gegen den rumänischen Transportsektor ein Dorn im Auge waren. Für Euro 6 Lkw sind demzufolge Emissionen von 600 bis 1.000 mg/kWh zulässig. Ein in Rumänien zugelassener Volvo FH wies laut der Studie einen am 13.6.2016 gemessenen erhöhten Wert von 1.467 mg/kWh auf. Da ein Foto als Beleg, dass es ein Euro 6 Fahrzeug ist, beigefügt war, hatte sich der schnell identifizierte Unternehmer über Volvo in Rumänien bereit erklärt, seine Adblue-Belege für den entsprechenden Zeitraum zur Verfügung zu stellen. Sie wiesen eine nachvollziehbare Betankung mit Adblue weit über den genannten Zeitraum auf.

Auch der Technische Direktor eines bei Messungen in der Schweiz im Film „Kassensturz“ explizit gezeigten Lkw aus der Slowakei gab auf Nachfrage ebenfalls an, es handele sich um eine der größten und modernsten Flotten der Slowakei. Dort seien die Lkw nicht nur, wie im Falle des grünen Volvo aus Rumänien, in einem Servicevertrag mit den Herstellern, man habe auch eine eigene Adblue-Tankstelle. Die Fahrer seien aufgefordert, jederzeit Adblue zu tanken. Ein Tank fasse 60 Liter, damit komme man etwa 3.000 km weit. Beide Argumente wurden nie aufgegriffen oder vor Ort überprüft. Stattdessen schrieb Dr. Denis Pöhler auf die Frage, ob es sich vielleicht um Fehlmessungen handele, genervt: „Wir stimmen Ihren Aussagen nicht zu. Ich sehe es aber nicht als weiter sinnvoll an, auf weitere Fragen einzugehen. Die Fragen basieren auf keiner faktischen Grundlage und ohne sich Rat eines Experten heranzuziehen. Wir werden aus Zeitmangel derartige Fragen nicht mehr beantworten.“

Skepsis an den BAG-Kontrollen

Foto: Jan Bergrath
Beim Truck Symposium 2019 zum Truck-Grand-Prix stellte BAG-Präsident Andreas Marquardt die aktuellen Kontrollzahlen aus 2018 vor

Das BAG und auch die Schweizer Polizei waren zu Beginn der ZDF-Berichterstattung auf kaltem Fuß erwischt. Mittlerweile gibt es höchst verlässliche Zahlen, mit denen die Thesen des ZDF weiter entschärft werden. Das BAG hat, nach einer aktuellen Aufschlüsselung der Kontrollen, ab Juni 2017 demnach 6.961 Lkw besonders auf Adblue-Manipulation kontrolliert, davon 2.083 Lkw aus Deutschland (BAG-Terminus: Gebietsansässige) und 4.879 Gebietsfremde. Beanstandet wurden dabei 9 Gebietsansässige und 122 Gebietsfremde, insgesamt 131 Lkw. Im Jahr 2018 waren es 3.583 Gebietsansässige und 9.715 Gebietsfremde, 13.298 Lkw in Summe. 11 deutsche Lkw wurden beanstandet, 300 mehrheitlich aus Osteuropa, 311 Lkw zusammen. Eine Beanstandungsquote von 1,9 Prozent in 2017 und 2,4 Prozent im Jahr 2018, wobei das BAG darauf hinweist, dass die Zahlen nicht direkt vergleichbar sind, weil sich das Know-how der Kontrolleure verbessert hat, was zu mehr aufgedeckten Fällen und der steigenden Quote von Manipulationen an der SCR-Anlage führe.

Ähnlich niedrige Zahlen in der Schweiz

Auch die Kantonspolizei Uri hat in diesen zweieinhalb Jahren auf der Gotthard-Route an der festen Kontrollstation in Erstfeld an der A 2 ihre Kontrollen verschärft. 2017 wurden 16.913 Lkw vor allem aus Osteuropa gezielt kontrolliert, es gab 113 Adblue-Fälle, 2018 wurden 16.407 Lkw kontrolliert bei 36 Adblue-Fällen, bis Mitte Juni 2019 gab es bei 8.000 Lkw noch ganze sechs Adblue-Fälle. Aus heutiger Sicht lässt sich also nach Auswertung der Kontrollen in Deutschland und der Schweiz ein realistisches Bild zeichnen: es wurden ausschließlich Lkw mit Euro 5 Motoren und einer sehr hohen Laufleistung ermittelt, deren SCR-Anlage defekt war. Da eine Reparatur mehrere Tausend Euro kostet, war es den teilweise befragten, in der Regel eher kleinen Unternehmern recht und „billig“, das Risiko einzugehen, einen Emulator zu verwenden, um diese Kosten zu sparen. Vor allem in der Schweiz konnte trotz einer ständigen Verbesserung der polizeilichen Kontrollmöglichkeiten bis heute kein Lkw mit Euro 6 Motoren wegen Manipulation der SCR-Anlage erwischt werden. Dort spielt das Thema mittlerweile auch in der öffentlichen Diskussion keine Rolle mehr.

Tirol schlägt Alarm

Anders dagegen in Österreich. Laut einem aktuellen Bericht der Zeitung Kurier sollen auf Wunsch der Grünen kostensparende Tricksereien an Abgasanlagen ausländischer Lkw im Transitland Österreich bald härter bekämpft werden. „Gutachten der Universität Heidelberg haben ergeben, dass in Deutschland ein Fünftel der Euro 6-Lkw manipuliert und damit der Stickoxid-Ausstoß um ein Vielfaches höher war“, schildert dort Umweltlandesrat Rudi Anschober, Grüne. Ein ebenso dramatisches Bild haben Kontrollen der Heidelberger Experten im Vorjahr auf Tiroler Transitrouten ergeben. „Es ist davon auszugehen, dass 30 Prozent der Euro-6-Lkw auf diese Weise manipuliert sind. Juristisch ist das Mautbetrug, weil für diese Fahrzeuge ja wegen der angeblich geringeren Emissionen weniger Gebühr gezahlt wird“, beklagt Tirols Umwelt- und Verkehrsreferentin Ingrid Felipe, Grüne. Wie aus der altbekannten Heidelberger Studie mit Werten für Euro 5 und Euro 6 Lkw plötzlich nur noch Euro 6 Lkw betroffen sein sollen, wollte Anschober auf Anfrage des ETM-Verlages bis heute allerdings nicht kommentieren.

Realistische Zahlen spielen beim ZDF keine Rolle

Das deutsche BAG konnte auch längst die immer raffinierteren Manipulationsmethoden enttarnen. Diese realistischen Zahlen sind dem ZDF durch Hinweise des ETM Verlages bekannt, spielen allerdings keine Rolle. Doch statt sich mit den Erkenntnissen der Kontrollbehörden konkret auseinanderzusetzen, wie etwa das BAG nach Emulatoren sucht, wirft man insbesondere dem BAG lieber Unfähigkeit vor, den „gerichtsfesten Beweis“ zu den eigenen Behauptungen der massenhaften Adblue-Manipulation zu erbringen, den das ZDF bislang allein auf Grund der Messungen erhebt. Die Argumentation ist recht simpel gestrickt: Da aktuell weder die Polizei noch das BAG Manipulationen bei Euro 6 Lkw finden, sei die Technik mittlerweile so verfeinert worden, dass sie gar nicht mehr gefunden werden kann.

Doch nicht nur das. Andreas Mossyrsch, Vorstand des Vereins Camion Pro, hat dem ETM Verlag in einem auf seiner Homepage veröffentlichten, teils sprachlich erheblich aggressivem Text unterstellt, dem BAG „einen Persilschein auszustellen“. Grund sind laut Mossyrsch unterschiedliche Interpretationen der Leistungsfähigkeit der vom BAG bei den Kontrollen eingesetzten handelsüblichen Diagnosegeräte im Vergleich zu einem im ZDF mehrmals bewusst hervorgehoben Diagnosegerät der Firma AVL aus Cadolzburg, so wie es eine filmische Auskopplung des Beitrags „nachgezoomt“ aus 2019 angeblich demonstriert. Das BAG hat dieses Gerät nach eigener Aussage bislang nicht eingesetzt, da es vom Ergebnis her über weniger Funktionalitäten als die beim Bundesamt eingesetzten Geräte verfüge.

Emulatoren selber suchen – trotz moderner Diagnosegeräte

Foto: Jan Bergrath
Das BAG setzt handelsübliche Diagnosegeräte von namhaften Herstellern ein, die in der Lage sind, Fehler im Abgasnachbehandlungssystem zu erkennen.

Zwar gibt es in diesem Diagnosegerät einen eigenen Menüpunkt „Adblue-Manipulation prüfen“. Doch finden, so sagt der AVL-Techniker, muss der Kontrolleur den Emulator schon selber. Nichts anders, das belegt ein Foto der vom ETM Verlag begleiteten Kontrolle an der A 2 im Januar 2019, kann das vom BAG derzeit bevorzugte Multi-Diagnose-Gerät auch. „Die Diagnosegeräte sind in der Lage, Fehler im Abgasnachbehandlungssystem zu erkennen“, bestätigt das BAG auf Nachfrage. „Im Rahmen der darauffolgenden technischen Überprüfung des Fahrzeuges durch die besonders geschulten BAG-Experten wird festgestellt, ob ein technischer Defekt in der Abgasnachbehandlungsanlage vorliegt, oder, ob technische Veränderungen, wie z.B. der unzulässige Einbau eines Emulators, vorgenommen wurde.“

Test mit der Polizei von AVL nicht wahrgenommen

Foto: Privat
Das Diagnosegerät von AVL hat zwar eine auf Emulatorensuche erweitere Menüführung, erkennt aber bei einem auffälligen Euro 6 Lkw keine Manipulation

Bereits 2018 hatte der ETM Verlag Kontakt mit AVL aufgenommen, um gemeinsam mit der Polizei das neue Gerät zu testen. Diese schriftliche Anfrage wurde nie beantwortet. Wohl aus gutem Grund: Bei einer gemeinsamen Kontrolle mit der Polizei Sachsen an der A 4 ist dem Team um Denis Pöhler, Andreas Mossyrsch und ZDF-Autor Christian Bock der Nachweis, dass auch Euro 6 Lkw massenhaft manipuliert sind, vorerst nicht gelungen. Oder anders gesagt – die angebliche Wunderwaffe von AVL hat die gewünschten Ergebnisse vor allem bei Euro 6 Lkw nicht geliefert. Gefunden wurde lediglich der typische Euro 5 Lkw mit hoher Laufleistung und defekter SCR-Anlage. Inwieweit das nun in einem weiteren Beitrag des ZDF interpretiert wird, bleibt abzuwarten.

Grüner Politiker mittlerweile verunsichert

Vor allem der grüne Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Verkehrsausschuss, Stephan Kühn aus Sachsen, der die von der Deutschen Umwelthilfe finanzierte Messung angeregt hatte, ist nun verunsichert. „Die geringe Anzahl der bei meinem damaligen Besuch auf der A4 kontrollierten Lkw kann die These, dass 20 Prozent der osteuropäischen Lkw manipuliert sein sollen, natürlich weder bestätigen, noch widerlegen“, antwortet er auf Anfrage des ETM Verlages. „Vielmehr hat mir der Besuch verdeutlicht, dass weitere Untersuchungen durchgeführt werden müssen, damit nach einem Anfangsverdacht, den das Plume Chasing geben kann, auch tatsächlich rechtssichere Nachweise für Defekte oder Manipulationen an Fahrzeugen geführt werden können.“

Für Kühn heißt das: „Nicht nur muss das Plume Chasing verlässliche Messwerte liefern, sondern bei den Fahrzeugkontrollen müssen Defekte oder Manipulationen auch tatsächlich gefunden werden können. In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion hieß es im Frühjahr, dass Adblue-Emulatoren „durch die fortschreitende Entwicklung und den steigenden Kontrolldruck aufwendiger, kleiner und damit einhergehend schwieriger aufzufinden“ sind. Das wiederum gelingt nur durch mehr und besser geschultes Personal beim Bundesamt für Güterverkehr und bei der Polizei sowie durch bessere Technik, mit denen Hard- und Software von Lkw durchleuchtet werden können. Auch die Kontrolldichte des BAG insgesamt muss erhöht werden. Mir liegt also viel daran, die Kräfte zu bündeln, um Lkw mit überhöhten Emissionen verlässlich zu entdecken und zu sanktionieren.“

Was ist, wenn alles nur blauer Dunst ist?

Die bisherige These des ZDF geht, im Gegensatz zu den amtlichen Kontrollergebnissen, weiter davon aus, dass die praktische Einsparung von Adblue und die fiktive Einsparung an Maut der einzig denkbare Grund für die Manipulationen ist. Doch was ist, wenn das alles nur blauer Dunst ist? Laut der Journalistin Marilena Matei vom rumänischen Magazin Tranzit liegen die aktuellen Betriebskosten eines rumänischen Lkw (inklusive Lohnkosten) bei rund 114.745 Euro im Jahr, davon allein 32 Prozent Dieselkosten. Seit 2014 steigt in Rumänien nicht nur der Anteil der modernen Euro 6 Lkw kontinuierlich an, zwei Unternehmen, Brenntag und DIVVOS, die dort Adblue vertreiben, sprechen von einem Anstieg des Adblue-Umsatzes in Rumänien um 30 bis 35 Prozent allein im ersten Halbjahr 2019 – eben auf Grund der kontinuierlichen Flottenerneuerung.

Großes Risiko für große Flotten

Im Gegensatz dazu belaufen sich die jährlichen Kosten für Adblue auf 1.300 bis 1.500 Euro im Jahr. „Kein wirtschaftlich denkender Transportunternehmer riskiert bei dieser niedrigen Gewinnsumme die Gewährleistung der überwiegend geleasten Neufahrzeuge durch die europäische Nutzfahrzeugindustrie“, so Matei. „Das macht schlicht und einfach keinen Sinn. Das Risiko ist viel zu hoch.“ Früher, so bestätigt es auch eine interne Untersuchung von DIVVOS, waren es in der Tat die kleinen Frachtführer mit bis zu zehn Lkw, vornehmlich im nationalen Verkehr, die vor allem die älteren Euro 5 Lkw manipuliert haben, um hohe Reparaturkosten zu vermeiden. Bei den modernen Euro 6 Lkw dagegen seien die SCR-Anlagen vergleichsweise deutlich robuster. Das ist eben der Unterschied – laut ZDF und einigen anderen Medien, die auf diese These aufgesprungen sind, macht der wirtschaftliche Vorteil durch Betrug mit Adblue vor allem Sinn für große Flotten. Das ist, so das BAG und die deutsche Polizei, allein schon deshalb nicht der Fall, weil das Risiko, dass ein Fahrer zur Polizei geht und eine Anzeige erstattet, schlicht mit der Größe der Flotte wächst.

Das vorläufige Fazit

Der Eklat an der bisherigen Berichterstattung des ZDF über den gigantischen Adblue-Betrug ist die Tatsache, dass die Redaktion in Mainz trotz der mittlerweile bekannten Gegenbelege weiterhin ausschließlich an der eigenen These festhalten will. Diese beruht auf Messungen, zu denen auch zweieinhalb Jahre danach weiter der „gerichtsfeste Beleg“ fehlt, dass den von der Norm abweichenden NOx-Werten allein eine Manipulation zugrunde liegt. Aufgesetzt ist diese These durch die Aussage eines Transportunternehmers aus dem Sommer 2016. Schon damals hatten rumänische Verbände die pauschalen Vorwürfe gegen ihre Unternehmer zurück gewiesen – was nie berücksichtigt wurde.

Foto: Jan Bergrath
2017 behauptete das ZDF, ein rumänischer Transportunternehmer spare pro Lkw bis zu 2.000 Euro Adblue im Jahr und damit 60.000 Euro zu Lasten der Umwelt

Zweieinhalb Jahre nach den ersten Vorwürfen sollte sich das ZDF nun vielleicht doch die Zustände vor Ort in Rumänien genau ansehen, statt sich weiterhin ausschließlich auf die Aussage eines einzelnen nicht bekannten Informanten zu beziehen. Es könnte ja gut sein, dass er mittlerweile ebenfalls seine Flotte erneuert hat. Trotz mehrmaliger Versuche über die sozialen Medien ist es dem Magazin Tranzit bis heute nicht gelungen, diesen Unternehmer ausfindig zu machen. Nach der Lesart des ZDF wurde er „durch diese Ermittlungen in Gefahr gebracht.“ Möglicherweise wurde er sogar direkt durch das organisierte Verbrechen, das ja seit Jahren das Emulatoren-Kartell in Rumänien beherrscht, eiskalt aus dem Weg geräumt.

Die Recherchen des ZDF haben in der Tat, wie sicher beabsichtigt, dazu geführt, dass die Adblue-Manipulation von den Kontrollorganen aufgegriffen wurden und die erwischten Unternehmer auch strafrechtlich verfolgt werden. Doch die amtlichen Kontrollzahlen sind meilenweit von den hochgerechneten Betrugszahlen entfernt – eine sukzessive Erneuerung der Flotten aus Osteuropa führt offensichtlich zu einer Senkung der Manipulationen. Statt Indizien gibt es eindeutige Fakten. Doch leider ist hier das ZDF auf einem Auge blind.

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