Arbeitszeiten in der Krise Fahrer am Limit

Foto: Jan Bergrath

Die aktuelle Krise kennt zwei Seiten der Medaille: Einige Fahrer sind bereits in Kurzarbeit, andere arbeiten nach eigenen Aussagen bald „rund um die Uhr“.

Mehr Spesen oder bezahlte Überstunden als Anreiz sind leider derzeit auch nicht möglich, da es laut Arbeitszeitgesetz nur einen Zeitausgleich geben darf – wenn die Krise längst vorbei ist. Hier ein Überblick über die Regeln.

Die Hotline läuft praktisch heiß, und es sind immer wieder dieselben Fragen und Klagen der Fahrer: jetzt in der Krise sind wir als Versorger die Helden, aber wenn das alles vorbei ist, sind wir wieder die Deppen der Nation. Über die teils katastrophalen sanitären Bedingungen auf den Autobahnen hatten wir bereits berichtet, immer mehr Verbände schließen sich den Forderung an, in den Krisenzeiten die Versorgung der Fahrer zu garantieren.

Teils chaotische Zustände

Immer mehr Fahrer und Unternehmer berichten ebenfalls über teils chaotische Zustände, weil nun etwa die Lager des Einzelhandels zum Bersten voll sind, sogar von Wartezeiten von bis zu 24 Stunden ist zu hören. Ein Teil der Fahrer, die etwa aus dem Bereich der Automobillogistik kommen, sind in Kurzarbeit, andere Unternehmen wie aus der Event- oder Messe-Logistik, haben auf einen Schlag alle Aufträge verloren und stehen vor der Insolvenz – falls der Staat nicht mit seinen versprochenen Hilfspaketen unterstützend eingreift. Wie etwa Glomb Container Dienst aus Bremerhaven der Krise trotzt, steht im Heft 5/2020 des FERNFAHRER, der am 4. April erscheint und zumindest in den Shops der Tankstellen weiter zu kaufen ist. Immerhin ein guter Grund, dort weiter seine Pause zu machen.

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Keine weitere Erhöhung der Spesen

Viele Fahrer sagen nun: Wir sind ja gerne bereit, unseren Job zu machen, und in der Krise auch länger zu arbeiten, aber dafür wollen wir auch mehr Geld. Schließlich explodieren gerade in den noch geöffneten Tankstellenshops von Tank & Rast die Preise für simple Gerichte wie Bockwurst mit Brötchen. Da die Spesen gerade erst marginal erhöht wurden, ist hier wenig Spielraum. Mit der neuen Übernachtungspauschale lassen sich vom Chef immerhin die Parkplatzgebühren auf manchen Autohöfen ausgleichen, wenn es dort als Gegenwert nun nichts mehr zu essen gibt.

Dazu ein Tipp: Da nun fast alles geschlossen hat, können wir für die zur Selbstverpflegung vergatterten Fahrer immerhin auf das Buch „Sternköche“ und seine einfachen Rezepte für die Unterwegsversorgung verweisen. Schnell und kontaktlos auch über den FERNFAHRER-Shop zu beziehen.

Europaweit teils unterschiedliche Lenkzeiten

In der vergangenen Woche haben viele Nationalstaaten ohne Absprache mit der EU-Kommission teils unterschiedlichen Regelungen der Flexibilisierung der Lenkzeiten erlassen. In Deutschland gab es dazu einen Erlass aus dem Bundesverkehrsministerium, den das BAG noch einmal konkretisiert hat. Diese Lockerung gilt vorerst nur bis zum 17. April. Achtung: Und sie gilt auch nur für die dort genannten Güter zur täglichen Versorgung. Ob aktuell Toilettenpapier unter diese Güter fällt wird spätestens der freundliche BAG-Kontrolleur vor Ort entscheiden.

Ein Schulungsexperte klärt auf

„Grundlage hierfür ist Artikel 14 Abs. 2 der EG-Verordnung 561/2006“, erläutert der Schulungsexperte Tom Döhler. „Es dürfen für einen Zeitraum von 30 Tagen Ausnahmen im Mitgliedsstaat erlassen werden.“ Das bedeutet: Nur in diesem Mitgliedsstaat sind die genannten Ausnahmen zulässig. Alle anderen Mitgliedsstaaten wurden darüber informiert. Das heißt hier für deutsche Fahrer: „Fahre ich also ausschließlich in Deutschland, betreffen mich auch nur die deutschen Ausnahmen, hier also eine Verlängerung fünf Mal pro Woche auf zehn Stunden, zwei verkürzte wöchentliche Ruhezeiten hintereinander, mit entsprechendem Ausgleich.

Fahre ich international, dürfen also diese Lenkzeitverlängerungen, die ich in Deutschland ausgenutzt habe, nicht beanstandet werden. Umgekehrt dürfen ausländische Fahrzeuge, die diese Ausnahmen in Deutschland nutzen auch nicht beanstandet werden, wenn sie solche Güter fahren. Fahre ich als deutscher Fahrer zum Beispiel in Polen, hier gibt es eine Ausnahme, einmal elf Stunden zu fahren, darf ich nur dort elf Stunden fahren. Aber es ist nicht erlaubt, als polnischer Transportunternehmer in Deutschland elf Stunden zu fahren. Einfach ausgedrückt: In dem Staat, in dem ich mich gerade befinde, darf ich die dort gültigen Ausnahmen in Anspruch nehmen. Ausnahmen aus meinem Heimatstaat darf ich jedoch nicht in einem anderen Staat ausnutzen.“

Verkehrssicherheit geht vor

Achtung: wir weisen noch einmal darauf hin, dass weiterhin allein der Fahrer am Ende die Verantwortung dafür trägt, ob er fit genug ist, mehr zu lenken, als erlaubt. Auch das Bundesverkehrsministerium weist ausdrücklich darauf hin, dass die Ausnahme ausschließlich unter der Voraussetzung in Anspruch genommen werden darf, dass die Verkehrssicherheit dadurch nicht beeinträchtigt wird. Der Verkehrsunternehmer muss gleichwohl vor Fahrantritt prüfen, ob der Fahrer in der Lage ist, die vorgesehene Beförderung durchzuführen. In unserem Recht Aktuell zur Sommerhitze 2019 haben wir bereits aufgezeichnet, welche Konsequenzen es hat, wenn der Fahrer aus Übermüdung eine Gefährdung des Straßenverkehrs in Kauf nimmt.

Lockerungen nur bis 17. April – Verantwortung bliebt beim Fahrer

Eine der Forderungen des Bundesverbandes Güterverkehr, Logistik und Entsorgung, BGL, an das Bundesverkehrsministerium war, die derzeit maximal zulässige Arbeitszeit von 60 Stunden in der Woche auf bis zu 70 Stunden pro Wochen ausdehnen zu können. Der nötige Ausgleich, um laut Paragraf 21 a Arbeitszeitgesetz auf das erlaubte Mittel von 48 Stunden pro Woche in vier Monaten zu kommen, soll laut BGL bis spätestens zum 31.12.2020 erfolgen. Damit ist hier zum Schluss auch die Frage der Fahrer nach den in der Krise erwünschten bezahlten Überstunden beantwortet.

„Die zu leistende Arbeitszeit steht normalerweise im Arbeitsvertrag und beträgt in der Regel 40 oder 48 Stunden“, so der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Harry Binhammer, „ alles was drüber rausgeht, muss entweder bezahlt oder in Freizeit abgegolten werden. Natürlich nur, wenn der Fahrer seine Arbeitszeit auch ordnungsgemäß im digitalen Tacho erfasst.“ Der Paragraf 21a ArbZG regelt zunächst nicht die Bezahlung von Überstunden, sondern nur den Schutz der Arbeitnehmer vor zu langer Arbeit und Übermüdung. In einem weiteren Recht Aktuell haben wir bereits beschrieben, dass auch hier die Verantwortung beim Fahrer liegt, wenn er auf Anweisung des Unternehmers länger arbeitet als erlaubt und einen Unfall verursacht.

Da aber in der Forderung des BGL nur von einem Freizeitausgleich die Rede ist, gibt es bis Ende des Jahres für alle Fahrer, die nicht in einem tarifgebundenen Unternehmen beschäftigt sind, nach Erreichen der Höchstgrenze der wöchentlichen Arbeitszeit eben keine bezahlten Überstunden.

Freizeitausgleich – wenn der Verkehr wieder normal läuft

Sollten sich also die Verbände der Transportwirtschaft, das Arbeitsministerium, das Bundesverkehrsministerium und das Finanzministerium nicht bald darauf verständigen, dass es hier für die Zeit der Krise eine gesonderte Klausel gibt, die eine leistungsgerechte finanzielle Zulage für die Fahrer, die derzeit am Limit sind, bei Transporten bei Mehrarbeit ermöglicht, dann schauen sie vom Lohn her weiter in die Röhre. Das drückt nicht nur die bisherige professionelle Haltung, trotz Krise einen guten Job zu machen. Das rächt sich spätestens, wenn nach der Krise, wann auch immer, alle Lkw wieder rollen sollen, aber die Fahrer erstmal ihren Freizeitausgleich nehmen müssen.

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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwalt Matthias Pfitzenmaier Matthias Pfitzenmaier Fachanwalt für Verkehrsrecht
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